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„You’re complete crazy“ – sagt man das zu einem (bayerischen) Polizeibeamten?

entnommen: openclipart.org

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Da haben wir mal wieder eine – taufrische – Entscheidung zur Beleidigung/Schmähkritik, und zwar den OLG München, Beschl. v. 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14. Das OLG hatte sich mit folgendem Sachverhalt zu befassen:

„Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Angeklagte in einer Bar mindestens 6 Whiskys getrunken, was zu einem Atemalkoholwert von 2,3 Promille führte. Er geriet mit dem Wirt der Bar über die Höhe der Rechnung in Streit. Ein anderer Gast hatte zahlreiche Getränke auf die Rechnung des Angeklagten setzen lassen, was den Angaben des Angeklagten nach nicht mit ihm vereinbart war. Der herbeigerufenen Polizei nannte der Angeklagte eine Adresse in Berlin und händigte seinen Reisepass aus, aus dem sich jedoch lediglich Berlin als Wohnsitz ergab. Die Überprüfung der Personalien nahm einige Zeit in Anspruch. Da sich der Angeklagte erst kurz zuvor umgemeldet hatte, konnte zuerst nicht die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten festgestellt werden. Während der gesamten Personalienfeststellung war der Angeklagte uneinsichtig und verhältnismäßig laut. Zur Geschädigten Polizeibeamtin pp. sagte der Angeklagte: „You’re complete crazy“, um so seine Missachtung auszudrücken.“

Das AG hatte den Angeklagten verurteilt. Das OLG hat aufgehoben und frei gesprochen:

„Eine ehrverletzende Äußerung ist dann nicht mehr hinzunehmen, wenn mit ihr die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird. Selbst eine überzogene und ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BayObLG NJW 2005, 1291, 1292).

Die Äußerung des Angeklagten ist anlässlich seiner Personalienfeststellung gegenüber der die Abfrage durchführenden Beamtin gefallen und vor dem Hintergrund zu sehen, dass der – zudem stark alkoholisierte Angeklagte vorher von ihrem Kollegen zu Unrecht der Angabe falscher Personalien bezichtigt worden war und sich die Abfrage eine Weile hinzog. Angesichts der Anlassbezogenheit dieser Äußerung, der in der Einlassung des Angeklagten geschilderten Verärgerung über den Vorwurf, gelogen zu haben und der Dauer der Kontrolle kann trotz des Umstands, dass der Vorwurf nicht durch die Geschädigte selbst, sondern durch ihren Kollegen erhoben wurde, nicht davon ausgegangen werden, dass die Diffamierung der Polizeibeamtin, sondern das ihm von der Polizei als Institution entgegengebrachte Misstrauen und die damit verbundene langdauernde Kontrolle durch die beiden Beamten im Vordergrund stand. Trotz der scharfen Kritik ist deshalb die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten. Ein durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung nicht gedeckter Angriff auf die Menschenwürde liegt ebenso wenig vor, wie eine Formalbeleidigung.“

Freispruch ja, aber leicht ist er dem OLG offenbar nicht gefallen. Denn am Ende gibt es dann noch etwas „fürs Leben“:

„Der Senat bemerkt ausdrücklich, dass die Entscheidung nicht als Billigung der Äußerung und der Vorgehensweise des Angeklagten missverstanden werden darf. Die Auseinandersetzung mit tatsächlich oder vermeintlich falschen Entscheidungen oder Vorgehensweisen von Behörden hat grundsätzlich allein mit den Mitteln zu erfolgen, die die jeweiligen Verfahrensordnungen zur Verfügung stellen, ohne, dass Anlass und Raum für verletzende und kränkende, die gebotene sachliche Atmosphäre lediglich vergiftenden Angriffe auf die handelnden Personen veranlasst wären. Strafbar ist das Verhalten des Angeklagten nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Grundsätze aber nicht.“

Tja, auch wenn es schwer fällt…..

Nach dem Unfall „geschummelt“ – kein Versicherungsschutz

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Einen Sachverhalt, wie er im täglichen Leben sicherlich häufiger vorkommt, behandelt das OLG München, Urt. v. 25.04.2014 – 10 U 3357/13. Es geht (mal wieder) um die Frage der (arglistigen) Obliegenheitsverletzung durch Falschauskünfte nach einem Entfernen vom Unfallort und damit um die Haftung der eigenen Kfz-Vollkaskoversicherung. An der Stelle wird ja nicht selten „geschummelt“. So auch hier:

Der Sohn der Klägerin war mit deren Pkw unterwegs. Es kommt am 17.04.2011 zu einem Verkehrsunfall. Der Sohn des Klägers kommt dabei am Unfallort auf einer 6 m breiten Straße von der Fahrbahn ab und fährt gegen einen Erdwall, bei dem er zugleich gegen einen Zaun nebst Begrenzungspfosten gestoßen ist, der durch den Anstoß erheblich beschädigt wurde und auch in entsprechender Höhe deutliche Schadensspuren am Fahrzeug hinterlassen hat. An nächsten Morgen (18.04.2011) sucht er gegen 8 Uhr eine Versicherungsagentur der beklagten Vollkaskoversicherung auf und zeigte den Schadensfall an. Er gibt an, aufgrund einer Kurve bei etwa 50 km/ trotz Bremsens von der Fahrbahn abgekommen zu sein, ohne dass dabei ein Fremdschaden entstanden wäre. Eine weitere Erklärung für das Abkommen könne er nicht angeben, er will aber nach dem Schaden noch gewartet und sich den PKW in Ruhe angesehen haben. Die erlittenen eigenen Verletzungen gibt er ebenso wenig wie den entstandenen Fremdschaden an. Die beklagte Vollkaskoversicherung verweigert die Leistung unter Hinweis auf eine Obliegenheitsverletzung.

Das OLG München gibt der beklagten Versicherung Recht. Es lässt die Klage allerdings nicht daran scheitern, weil der Sohn der Klägerin die erforderlichen Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB ermöglich hat, weil eben nicht jeder Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB zur Leistungsfreiheit führe (vgl. dazu Nach dem Unfall weggelaufen – kein Versicherungsschutz (mehr)?). Aber es bejaht eine Obliegenheitsverletzung des Sohnes der Klägerin, den es als sog. Repräsentanten ansieht, und geht auch von Arglist aus. Der OLG-Entscheidung lassen sich auf der Grundlage etwa folgende Leitsätze voranstellen:

  1. Eine nachträgliche Mitteilung ist dann noch unverzüglich im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB, wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit notwendigen Feststellungen treffen zu können
  2. Trotz demnach unverzüglicher Mitteilung kann es dennoch zur Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens kommen, wenn dessen Unterrichtung mit einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers verbunden ist.
  3. Eine solche liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer wahrheitswidrig angibt, er sei mit dem Fahrzeug an der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h von der Fahrbahn in die angrenzende Wiese abgekommen wobei der Pkw an einem Erdwall erheblich beschädigt worden sei und dabei sowohl überhöhte Geschwindigkeit, Fremdschaden an einem Wildschutzzaun als auch eigenen Personenschaden unerwähnt lässt.

Was lernen wir daraus: Immer schön bei der Wahrheit bleiben, wenn es um solche Dinge geht 🙂 .

Rotlichtverstoß des Linkabbiegers- wer haftet?

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Urheber Mediatus

Mit einemVerkehrsunfall auf einer ampelgeregelte Kreuzung und der Frage der Haftung befasst sich das OLG München, Urt. 09.05.2014 – 10 U 3652/13. Es kommt zu dem Ergebnis:

Kommt es zu einer Kollision eines auf einer ampelgeregelten Kreuzung bei Rotlicht links abbiegenden Fahrzeugs mit einem Fahrzeug des Gegenverkehrs, so trifft den Linksabbieger die volle Haftung:

„…Wie der Sachverständige schließlich unter Auswertung des Ampelphasenplans ebenfalls überzeugend ausgeführt hat, hat eines der beiden verunfallten Fahrzeuge einen Rotlichtverstoß begangen. Die diesbezügliche Beweiswürdigung des Erstgerichts, das die Angaben der unbeteiligten Zeugin H., die auf der linken Spur bei Rotlicht gewartet hat, als das klägerische Fahrzeug auf der mittleren Fahrspur vorbeigefahren ist, zugrunde gelegt hat, ist fehlerfrei und begegnet keinen Bedenken.

2. Im Hinblick auf den erheblichen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) hat die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw zurückzutreten, § 17 I, III StVG. Es verbleibt deshalb bei einer Alleinhaftung der Beklagtenpartei.

Die unheilvolle Begegnung II: Pkw/Fußgänger- Haftungsverteilung?

entnommen wikimedia.org Author: MarianSigler

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Author: MarianSigler

Nach der Die unheilvolle Begegnung I: Schienenbahn/Pkw – Haftungsverteilung? nun Teil II. Auch hier die Begegnung zweier nicht gleichwertiger Komponenten, nämlich eines Pkws mit einem Fußgänger, der nach dem Aussteigen aus einem Bus hinter diesem die Fahrbahn überquert. Das OLG München, Urt. v. 11.04.2014 – 10 U 4757/13 – kommt zur Schadensteilung Halbe/halbe und sagt: Kommt es nach dem Aussteigen aus einem Bus hinter diesem zu einer Kollision eines die Fahrbahn – in diesem Fall – überquerenden 14 Jahre alten Jugendlichen mit einem in Fahrtrichtung des Busses fahrenden Pkw, sei eine hälftige Schadensteilung angemessen. Dabei stehe der Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers, der an einer Bushaltestelle stets mit die Straße überquerenden Fußgängern rechnen müsse, ein gleich zu bewertendes Mitverschulden des Jugendlichen gegenüber, der sich beim Überqueren der Fahrbahn zu vergewissern habe, dass diese frei sei.

Und zum Schmerzensgeld: Bei einer Beckenringfraktur, einer Gehirnerschütterung, einer HWS-Distorsion und einer Fraktur des oberen Schambeinastes mit nicht dislozierter Fraktion des unteren Schambeinastes mit 10 Tage langer stationärer Behandlung und Beeinträchtigungen der Psyche ist unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € angemessen.

(Kein) Kuscheln mit dem Gegenverkehr – Mithaftung?

entnommen wikimedia.org Author Fotograf: Stefan Lampert

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„Kein Kuscheln mit dem Gegenverkehr“?, nun juristisch sauberer wäre der Titel: „Auch auf nicht so breiten Straßen Rechtsfahrgebot beachten“ gewesen; der ist aber (zu) lang 🙂 . Jedenfalls ist das das Fazit aus dem OLG München, Urt. v. 11.04.2014 – 10 U 4173/13 –, das sagt: Auch wenn die Straße breit genug ist oder erscheint, muss möglichst weit rechts gefahren werden. Und wer gegen das Rechtsfahrgebot verstößt, trägt bei einem Unfall mit Streifschaden eine Mitschuld, und zwar selbst dann, wenn das andere entgegenkommende Fahrzeug in den Gegenverkehr hinragte. Aus dem Beschluss:

„Die von den Unfallbeteiligten in jeweiliger Gegenrichtung genutzte Kreisstraße PAN … misst bis zur weißen Linie eine Breite von 4,65 m. Eine Mittellinie ist nicht eingezeichnet. Wie der Sachverständige Dipl.-Ing. Christoph M. in seinem Gutachten vom 29.04.2013 (Bl. 47/71 d. A.) – von den Parteien nicht angegriffen – herausgearbeitet hat, befand sich der beklagtische Pkw im Moment der Kollision vollständig innerhalb seiner Fahrspur. Der klägerische Pkw befand sich demgegenüber mit dem Fahrzeugheck 25 bis 30 cm in der Gegenfahrspur. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Zeuge V., aber auch der Zeuge H., Beifahrer im klägerischen Fahrzeug, übereinstimmend angegeben haben, dass der Zeuge V. vor der Kollision noch nach rechts ausgewichen ist. Damit muss sich der klägerische Pkw unmittelbar vor der Kollision noch weiter innerhalb der Gegenfahrspur befunden haben, wobei nicht exakt festgestellt werden konnte, wie viel Zentimeter genau die Überschreitung der Fahrbahnmitte betragen hat…..

b) Ohne Zweifel sind bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden aber die einander entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer gemäß § 3 Abs. 1 Satz 5 StVO zum Fahren auf „halbe Sicht“ verpflichtet (vgl. BGH NJW 1996, 3003, 3004; OLG Schleswig NZV 1991, 431, 432).

Die Landstraße hat im Unfallbereich im Schnitt eine Breite von 4,65 m, die einen Begegnungsverkehr unter Kfz von normaler Breite, d. h. regelmäßig bis zu 2,50 m (§§ 22 Abs. 2 Satz 1 StVO; 32 Abs. 1 Nr. 1 a StVZO), nur unter ganz besonderen Umständen noch erlaubt, wenn nämlich die Fahrzeuge unter Einhaltung des noch möglichen Sicherheitsabstandes zur Fahrbahnmitte auf ihrer Fahrbahnhälfte mit sehr niedriger Geschwindigkeit und stets bremsbereit fahren. Der Beklagte zu 1) musste demnach davon ausgehen, dass ihm Fahrzeuge, besonders solche unter 2 m Breite, entgegenkommen konnten. Nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO gilt das nämlich schon dann, wenn entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten. Auch wer mit seinem schmaleren Gefährt selbst die Fahrbahnhälfte nicht überschreitet, muss deshalb auf „halbe Sicht“ fahren, wenn für den Gegenverkehr unter Berücksichtigung von Sicherheitsabständen zwischen den Fahrzeugen und zum Fahrbahnrand kein ausreichender Raum verbleibt (vgl. Mayr, in: Kraftverkehrsrecht von A-Z, „Geschwindigkeit“, Anm. II 2 b S. 10). Mit dem Entgegenkommen jedenfalls bis zu 2,50 m breiter Fahrzeuge musste der Beklagte zu 1) jederzeit rechnen. Da die halbe Fahrbahnbreite im Unfallbereich nur 2,32 m betrug (unter voller Einbeziehung der Asphaltierung der Straße), musste er desweiteren stets damit rechnen, dass ihm Pkw entgegenkommen, die höchstens in einem Abstand von 0,15 m zur gedachten Mittellinie fuhren. Sein eigenes Gefährt hatte eine Breite von 1,74 m. Das bedeutet, dass bei Begegnungsverkehr mit breiten Fahrzeugen (2,50 m) ein hinreichender Sicherheitsabstand zwischen den sich begegnenden Fahrzeugen allenfalls dann noch gewährleistet war, wenn beide Fahrzeuge jeweils auf der äußersten rechten asphaltierten Fahrbahnkante gesteuert wurden. Dann war aber, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, bei einer eigenen Geschwindigkeit von 81 km/h eine gefahrlose Begegnung nicht mehr sichergestellt.

Da der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Zeuge V., unstreitig unmittelbar vor der Kollision sein Fahrzeug noch nach rechts gelenkt hat, aber nicht geklärt werden konnte, wie viel weiter er ursprünglich rechts gefahren ist, war für den Beklagten in der unmittelbaren Annäherungsphase nicht erkennbar, dass er durch ein Fahren noch weiter rechts den Unfall hätte vermeiden können. Durch das Sachverständigengutachten konnte jedoch geklärt werden, dass er bei einem Fahren auf „halbe Sicht“ mit maximal 58 km/h rechtzeitig hätte anhalten können.

c) Der Senat hält damit im Hinblick auf die wechselseitigen Verursachungsbeiträge eine Haftungsverteilung von 70 zu Lasten des Klägers und 30 zu Lasten der Beklagtenpartei für sachgerecht.“