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Verein I: Elektronische Einladung zur MV zulässig?, oder: Virtuelle oder hybride MV zulässig?

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Und heute im „Kessel Buntes“ dann mal wieder zwei Entscheidungen zu meiner „Vorkindthematik“, nämlich Vereinsrecht. ich beginne mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.07.2024 – I-3 Wx 69/24.

Der Verein  hatte seine Eintragung in das Vereinsregister beantragt Das AG hat die Registereintragung abgelehnt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der auf die Weitergabe des im gemeinschaftlichen Eigenanbau erwirtschafteten Cannabis gerichtete Vereinszweck sei verboten und daher gesetzeswidrig. Die in § 6 Nr. 3 Satz 2 der Vereinssatzung enthaltene Regelung, wonach die Einladung zur Mitgliederversammlung grundsätzlich elektronisch erfolgen solle, sei zudem unbestimmt, weil mehrere elektronische Übermittlungswege (E-Mail, WhatsApp, dritte Messangerdienste) denkbar seien. Zu beanstanden sei schließlich die Regelung, dass virtuelle oder hybride Mitgliederversammlungen per Video oder Telefonkonferenz stattfinden. § 32 Abs. 2 BGB gestattet lediglich die Durchführung einer Mitgliederversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation, wozu die Telefonkonferenz nicht zähle.

Dagegen die Beschwerde des Vereins, die Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist begründet. Die Satzung ist in dem vom Amtsgericht beanstandeten Punkten rechtlich bedenkenfrei.

1. Das Argument des Amtsgerichts, der Vereinszweck des Beteiligten sei auf einen gesetzeswidrigen Zweck gerichtet, hat sich durch Zeitablauf erledigt. Nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis sind seit dem 1. Juli 2024 Anbauvereinigungen erlaubt, in denen gemeinschaftlich Cannabis angebaut und zum Eigenkonsum an Mitglieder weitergegeben wird.

2. Die Bestimmung der Satzung über die Einladung zu einer Mitgliederversammlung ist – anders als das Amtsgericht meint – nicht zu beanstanden. § 6 Nr. 3 Abs. 1 der Satzung lautet auszugsweise:

Die Mitgliederversammlung wird auf Beschluss des Vorstandes unter Angabe der vorläufigen Tagesordnung mit einer Frist von mindestens drei Wochen eingeladen. Die Einladung erfolgt elektronisch, wenn das Mitglied dem nicht schriftlich – unter Angabe einer vollständigen postalischen Anschrift – widerspricht. ….

Die Regelung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

a) Gemäß § 58 Nr. 4 BGB soll die Satzung u. a. Bestimmungen enthalten über die Form der Einberufung der Mitgliederversammlung. Im Gegensatz zum Recht der Aktiengesellschaft, der GmbH und der Genossenschaft enthält das Vereinsrecht keine Vorschrift, in welcher Form und auf welchem Übermittlungsweg die Mitgliederversammlung einzuberufen ist. Der Satzungsgeber eines Vereins kann deshalb unter den zahlreichen in Betracht kommenden Möglichkeiten der Einladung zur Mitgliederversammlung grundsätzlich frei wählen. Die Einladungsform und der Übermittlungsweg müssen nur so gewählt werden, dass jedes Mitglied ohne Erschwernisse Kenntnis von der Anberaumung einer Mitgliederversammlung erlangen kann (OLG Hamm, Beschluss vom 23.11.2010, I-15 W 419/10; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 25.1.2012, 2 W 57/11; OLG Köln, Beschluss vom 20.4.2016, 2 Wx 54/16). Die Vereinssatzung kann daher ohne weiteres anordnen, dass schriftlich, mündlich, fernmündlich, mittels Fernkopie (Telefax), durch eingeschriebenen Brief, Boten, Anzeigen in einer bestimmten, namentlich zu bezeichnenden Zeitung oder Anschlag im Vereinslokal eingeladen wird. Nicht erforderlich ist, dass alle Mitglieder tatsächlich Kenntnis bekommen, solange die gewählte Einladungsform sicherstellt, dass sie allen Mitgliedern ohne Erschwernisse, insbesondere ohne unzumutbare Erkundigungen, die Möglichkeit der Kenntniserlangung von einer bevorstehenden Mitgliederversammlung verschafft (OLG Hamm, Beschluss vom 23.11.2010, I-15 W 419/10; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 25.1.2012, 2 W 57/11).

b) An diesen Anforderungen gemessen ist die Satzung des Beteiligten rechtlich unbedenklich.

aa) Die Bestimmung, dass zu einer Mitgliederversammlung auf elektronischem Weg eingeladen wird, gewährleistet für jedes Vereinsmitglied, dass es ohne nennenswerte Erschwernisse und ohne unzumutbare Erkundigungen einholen zu müssen, Kenntnis von der Einladung erhalten kann. Denn die Einladung zur Mitgliederversammlung kann ihm zwangsläufig nur auf demjenigen elektronischen Übermittlungsweg übersandt werden, den er der Beteiligten benannt hat.

Teilt das Vereinsmitglied dem Verein beispielsweise lediglich seine E-Mail-Adresse mit, kann die Einladung zur Mitgliederversammlung auch nur auf diesem Wege übermittelt werden. Das vom Amtsgericht angesprochene Problem, dass mehrere unterschiedliche elektronische Übermittlungswege (E-Mail, SMS, WhatsApp  oder einen anderen Messangerdienst) existieren können, spielt in solchen Fällen von vornherein keine Rolle.

Der Gesichtspunkt mehrerer elektronischer Übermittlungswege führt aber auch dann nicht zur Unzulässigkeit der in Rede stehenden Satzungsbestimmung, wenn ein Vereinsmitglied dem beteiligten Verein mehrere Übermittlungsmöglichkeiten benennt, also neben seiner E-Mail-Adresse auch seine Mobilfunknummer mitteilt, so dass ihm die Einladung zur Mitgliederversammlung per E-Mail, über SMS oder per WhatsApp-Nachricht übersandt kann. Dabei kann es auf sich beruhen, ob dem Einwand einer gesetzeswidrigen Erschwernis nicht bereits entgegensteht, dass das betreffende Vereinsmitglied aus freien Stücken und sehenden Auges dem Beteiligten selbst mehrere elektronische Übermittlungsmöglichkeiten eröffnet hat. In jedem Fall führt der Umstand, dass der Beteiligte in derartigen Fällen für die Übersendung der Einladung zur Mitgliederversammlung aus mehreren elektronischen Übermittlungswegen auswählen kann, bei dem betreffenden Vereinsmitglied nicht zu unzumutbaren Erschwernissen. Dem Vereinsmitglied wird weder ein unzumutbarer Nachforschungsaufwand abverlangt noch begründet die mögliche Inanspruchnahme verschiedener elektronischer Übermittlungswege das ernsthafte Risiko, dass die Einladung unentdeckt bleibt. Denn elektronische Nachrichten werden dem Empfänger unverzüglich angezeigt und können mühelos schon mit einem handelsüblichen Smartphone gelesen werden.

bb) Vereinsmitglieder, die entweder über kein elektronisches Postfach verfügen oder die dem Beteiligten eine elektronische Übermittlung der Einladung zur Mitgliederversammlung nicht anbieten wollen, können schließlich durch Widerspruch und Bekanntgabe ihrer Postanschrift erreichen, dass ihnen die Einladung auf dem Postweg übersandt wird.

In der Gesamtschau stellt § 6 Nr. 3 Abs. 1 der Vereinssatzung damit sicher, dass jedes Vereinsmitglied ohne weiteres von einer Einladung zur Mitgliederversammlung Kenntnis erlangt.

3. Zu Unrecht hat das Amtsgericht ebenso § 6 Nr. 3 Abs. 4 Satz 1 der Satzung als unzulässig beanstandet.

a) Die Regelung knüpft daran an, dass Mitgliederversammlungen vorrangig in Präsenz und nachrangig virtuell oder hybrid durchzuführen sind, wobei der Vereinsvorstand nach seinem Ermessen im Einzelfall die jeweilige Veranstaltungsform festlegt (§ 6 Nr. 3 Abs. 3 der Satzung). Im Anschluss heißt es in § 6 Nr. 3 Abs. 4 Satz 1:

Virtuelle oder hybride Mitgliederversammlungen finden per Video oder Telefonkonferenz statt.

b) Entgegen der Ansicht des Registergerichts verstößt die Satzungsbestimmung nicht gegen § 32 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach der genannten Vorschrift kann bei der Einberufung der Mitgliederversammlung vorgesehen werden, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). Dementsprechend ist nicht nur eine Versammlungsteilnahme per Videokonferenz erlaubt, sondern gleichermaßen eine solche über Telefonkonferenz. Das belegt bereits die Entstehungsgeschichte der Norm. Zwar sollte die Möglichkeit einer hybriden und virtuellen Mitgliederversammlung nach dem Gesetzentwurf des Bundesrates vom 1. Juli 2022 (BR.-Drs. 20/2532) auf die Teilnahme „im Wege der Bild- und Tonübertragung“ beschränkt sein. Zur Erläuterung heißt es dazu unter Abschnitt B (Lösung) des Gesetzentwurfs:

Im Unterschied zu § 5 Absatz 2 Nummer 1 und Absatz 3 a GesRuaCOVBekG wird die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme auf die Teilnahme mittels Videokonferenztechnik beschränkt; eine Teilnahme im Wege jedweder Art elektronischer Kommunikation wäre auf Grundlage der vorgesehenen Vorstandsermächtigung zukünftig nicht mehr möglich. Dies ist berechtigt, weil mit einer Präsenzveranstaltung wirklich vergleichbar nur eine per Videokonferenz durchgeführte Mitgliederversammlung sein dürfte.

Die Bundesregierung hat dem in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf allerdings ausdrücklich widersprochen und eine weitere Gesetzesfassung dahin angeregt, dass eine virtuelle Versammlungsteilnahme nicht nur im Wege der Bild- und Tonübertragung, sondern weitergehend „im Wege der elektronischen Kommunikation“ gestattet wird. Zur Rechtfertigung heißt es in ihrer Stellungnahme:

Es sollte Vereinen und Stiftungen weiterhin eine virtuelle Teilnahme an der Mitgliederversammlung oder der Vorstandssitzung sowie die virtuelle Ausübung anderer Rechte der Mitglieder ermöglicht werden, jedoch sollte dies im Wege jedweder geeigneten elektronischen Kommunikation zugelassen werden, nicht nur durch Bild- und Tonübertragung (Videokonferenztechnik“. Dies bietet den Vereinen mehr Flexibilität, da die vorgeschlagene Regelung nicht nur für die Mitgliederversammlung gilt, sondern im Wege der Verweisung durch § 28 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bzw. § 86 Satz 1 BGB auf Sitzungen des Vereinsvorstands entsprechend anzuwenden ist.

Dementsprechend hat sich die Bundesregierung dafür ausgesprochen, die Gesetzesformulierung „im Wege der Bild- und Tonübertragung“ durch die Formulierung „im Wege der elektronischen Kommunikation“ zu ersetzen. Mit diesem Inhalt ist § 32 Abs. 2 Satz 1 BGB sodann auch Gesetz geworden, weshalb seither eine Versammlungsteilnahme auch über das elektronische Kommunikationsmittel der Telefonkonferenz erlaubt ist (ebenso: Westermann/Anzinger in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 32 Rn. 1).“

Und wer sich dann bis hier „durchgekämpft“ hat, der bekommt zur „Belohnung dann auch noch folgenden Hinweis <<Werbemodus an>> auf Burhoff, Vereinsrecht, 11. Aufl., 2023, das man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

beA I: Sammlung zum beA/elektronischen Dokument, oder: sicherer Weg, Ersatz, Wiedereinsetzung, Urteil

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In die 29. KW./2024 starte ich heute dann mit einigen Entscheidungen zum beA. Das sind weitgehend BGH-Entscheidungen, eine der vorgestellten Entscheidungen stammt aber vom OLG Düsseldorf.

Hier sind dann also:

„bb) Ihre einfach signierten Schriftsätze hat die Verteidigerin nicht auf dem hier einzig in Betracht kommenden sicheren Übermittlungsweg zwischen ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle des Landgerichts eingereicht ( § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ).

Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich insoweit nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2022 – 3 StR 251/22 Rn. 6). Der besondere Kommunikationskanal ersetzt die Identifikationsfunktion der Unterschrift (Müller, NZS 2018, 207, 209). Den hiermit verbundenen Anforderungen werden die Eingaben der Verteidigerin nicht gerecht. Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (vHN) dokumentiert. Dieser wird nur an einer Nachricht angebracht, wenn das Postfach in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachricht erstellt wird, sicher an dem Postfach angemeldet ist (vgl. BAGE 171, 28 Rn. 27; Müller, NZS 2018, 207, 209; Biallaß, NJW 2021, 789 [OLG Oldenburg 09.12.2020 – 6 W 68/20] ). Beim Empfänger führt die Übersendung dann zu dem Prüfergebnis „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“. Der vHN ist maßgeblich für die freibeweisliche Prüfung einer formgerechten Einreichung. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 – 4 StR 313/23 Rn. 2, 5; Beschluss vom 7. Februar 2023 – 2 StR 162/22 Rn. 6; s. auch BVerwG, NVwZ 2022, 649 [BVerwG 12.10.2021 – BVerwG 8 C 4.21] Rn. 6 ff.; BAGE 171, 28 [BAG 05.06.2020 – 10 AZN 53/20] Rn. 25 ff.). So liegt es hier. Denn die Prüfvermerke des Landgerichts weisen aus, dass die Revision und ihre Begründung lediglich „per EGVP“ übersandt wurden.

Ist die Revision wirksam elektronisch übermittelt worden, wegen technischer Störungen aber nicht zu den Sachakten gelangt, und hat das erkennende Gericht in Vertrauen auf die Rechtskraft der Entscheidung die Urteilsgründe abgekürzt abgefasst, kann es diese entsprechend § 267 Abs. 4 S. 4 ergänzen, wenn es vom Eingang des Rechtsmittels erfährt. Sofern dem Gericht zu diesem Zeitpunkt die Akten nicht mehr vorliegen, beginnt die Frist zur Absetzung des ergänzten Urteils mit erneutem Eingang der Akten.

Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Verfahrensrügen zu gewähren, wenn er glaubhaft gemacht hat, dass seinem Verteidiger am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist um 23.49 Uhr die Übersendung einer fertiggestellten ergänzenden Revisionsbegründung zur Anbringung der Verfahrensrügen als elektronisches Dokument über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach nicht möglich war, weil das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des jeweiligen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen – was dem Verteidiger im Zeitpunkt des Übersendungsversuchs noch nicht bekannt war – in der Weise gestört war, dass die Gerichte und Behörden elektronische Dokumente nicht empfangen konnten. Denn dadurch war der Verteidiger durch ausschließlich im Bereich der Justiz gründende Umstände gehindert, eine die fristgemäß erhobene Sachrüge ergänzende Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht anzubringen (vgl. zum gestörten Empfangsgerät im Bereich der Justiz BGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705).

Ein Rechtsanwalt muss Vorkehrungen dafür treffen, dass ein Zustellungsdatum, das in einem von ihm abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragen ist, auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird. An die Zustellung anknüpfende Fristen müssen anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis berechnet werden.

    1. Im Falle einer Ersatzeinreichung hat die Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung des Dokuments nach § 130d S. 3 ZPO möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen. Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt.
    2. Die Mitteilung der Gründe für die Ersatzeinreichung nach mehr als einer Woche ist im Regelfall nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 130d Satz 3 ZPO.
    3. Die Bekanntheit einer technischen Störung auf Seiten des Gerichts entbindet den Einreicher jedenfalls nicht gänzlich davon, die Ursächlichkeit der Störung für die Übermittlung in Papierform oder per Telefax glaubhaft zu machen (Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582).

Elektronische Akte im Straf- oder Bußgeldverfahren, oder: Ist das Urteil rechtzeitig „zur Akte gebracht“?

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Und dann im Kessel Buntes heute noch ein Beschluss des OLG Düsseldorf, der ganz gut zum Thema „Digitalisierung“ passt, nämlich der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.07.2023 – 3 RBs 10/23.

Das OLG äußert sich zu der interessanten Frage, wann ein Urteil bei einer Akte, die elektronisch geführt wird, „zur Akten gebracht ist“. Die Frage ist ja für die Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist (§ 275 StPO) von Bedeutung. Das OLG führt dazu aus:

„Die Rechtsbeschwerde hat schon mit der zulässig erhobenen Rüge, das angefochtene Urteil sei verspätet abgesetzt und nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO iVm § 46 OWiG zu den Akten gebracht worden, zumindest vorläufig Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer erneuten Senatszuschrift dazu folgendes ausgeführt:

„Zwar hat die Richterin das Urteil im Ordner „Geschäftsgang“ abgelegt, jedoch genügt dies nicht, um ein Dokument in einer elektronischen Akte zu dieser zu bringen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage (2023), § 32b Rn. 4), da es sich bei dem Ordner „Geschäftsgang“ um einen Zwischenspeicher handelt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 32b Abs. 2 StPO ist ein Dokument zu den Akten gebracht, sobald es in der elektronischen Akte gespeichert ist. Gespeichert wurde das Urteil – wie aus den Dokumenteneigenschaften des Urteils (welche mittels rechter Maustaste abgerufen werden können, Bl. 195 d. A.) ersichtlich – durch die Abteilungsrichterin selbst am 3. November 2022. Unabhängig von der eindeutigen Gesetzeslage ist nicht ersichtlich, wieso die Richterin das Urteil am 3. November eigenhändig in die Akte speichert, wenn sie – wie in der dienstlichen Äußerung angegeben – davon ausgeht, mit der Ablage im Ordner „Geschäftsgang“ bereits alles Erforderliche veranlasst zu haben.“

Dem tritt der Senat bei.“

Vollstreckung I: Erledigung der Unterbringung, oder: Bezug auf unbekannten Vermerk ist keine Begründung

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Ich hoffe, alle haben das Osterfest gut überstanden, hier oben war es ein sehr regenreiches Fest. Nun ja, muss man durch.

Ich bringe heute dann drei OLG-Entscheidungen aus dem Strafvollstreckungverfahren. Die Thematik ist mal wieder dran.

Den Opener mache ich mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.02.2024 – III-1 Ws 31/24 -ergangen in einer Maßregelvollzugsache.

Das LG hatte den Verurteilten am 07.02.2022 wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Maßregel wird nach Untersuchungs- und Organisationshaft seit dem 9. Juni 2022 ivollzogen.

Nachdem die Klinik, in der der Verurteilte untergebracht ist,  zunächst über einen positiven Behandlungsverlauf berichtet hatte, regte sie vor dem Hintergrund eines Suchtmittelrückfalls des Verurteilten mit Kokain sowie synthetischen Cannabinoiden in einer Stellungnahme vom 06.09.2023 die Erledigung der Maßregel wegen „Aussichtslosigkeit“ an. Auf den der ärztlichen Anregung entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat die StVK  den Verurteilten mündlich angehört sowie am 12.12.2023 hierüber einen Vermerk verfasst und durch Beschluss vom gleichen Tage die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt erklärt, insoweit die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt, eine Rückführung des Verurteilten in den Strafvollzug nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses angeordnet  und ferner Begleitanordnungen zu der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht getroffen. Die Entscheidung zur Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Strafvollstreckungskammer wie folgt gerechtfertigt:

„Die Kammer hat einen Anhörungstermin auf den 07.12.2023 bestimmt. Im Rahmen dieser Anhörung hat sich der Eindruck bestätigt, dass die Unterbringung für erledigt zu erklären sei. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Vermerk der Anhörung verwiesen.“

Dagegen die sofortige Beschwerde des Verurteilten, die Erfolg hatte:

„1. Der angefochtene Beschluss ist entgegen § 34 StPO nicht begründet worden, sondern erschöpft sich hinsichtlich der „Begründung“ der Erledigung der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt in einer Bezugnahme auf einen – weder dem Beschwerdeführer noch seiner Verteidigerin bekanntgemachten – Vermerk über die am 7. Dezember 2023 erfolgte Anhörung des Verurteilten. Damit ist die Strafvollstreckungskammer der ihr obliegenden Verpflichtung, eine eigenständige Prognoseentscheidung im Sinne der § 67d Abs. 5 i.A. § 64 Satz 2 StGB n.F. zutreffen, in keiner Weise gerecht geworden. So lässt die „Begründung“ bereits die rechtlichen Erwägungen (zu diesem Erfordernis MüKo-Valerius, StPO, 2. Auflage [2023], § 34 Rdnr. 9) nicht erkennen, auf denen die Entscheidung beruht. Die Entscheidung lässt jegliche Subsumtion des Sachverhalts unter die in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften vermissen. Ferner sind auch das in Bezug genommene Anhörungsprotokoll sowie das Bemerken der Kammer, „[i]m Rahmen dieser Anhörung hat sich der Eindruck bestätigt, dass die Unterbringung für erledigt zu erklären sei“, letztlich inhaltsleer, denn weder sind insofern eigene prognostische Erwägungen der Kammer erkennbar noch wird der von der Kammer im Rahmen der mündlichen Anhörung gewonnene – offenbar als mitentscheidungserheblich erachtete – persönliche Eindruck von dem Beschwerdeführer in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargestellt. Zuletzt setzt sich der Beschluss auch nicht ansatzweise mit der in dem Anhörungsprotokoll angedeuteten aktuellen Lebenssituation des Verurteilten sowie der in diesem Zusammenhang geäußerten Argumentation seiner Verteidigerin auseinander. Dies lässt zudem Zweifel daran aufkommen, ob das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör, dessen Verwirklichung die mündliche Anhörung dienen soll, gewahrt wurde. Die Ausführungen der Kammer verfehlen damit gänzlich die an eine Entscheidung nach § 67d Abs. 5 StGB zu stellenden Begründungserfordernisse. Sie lassen jegliche Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob bei der gebotenen Gesamtschau des bisherigen Behandlungsverlaufs eine mit therapeutischen Mitteln des Maßregelvollzugs nicht mehr aufbrechbare Behandlungsunwilligkeit oder Behandlungsunfähigkeit des Verurteilten vorliegt (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss 1 Ws 304/19 vom 22. Januar 2020 in: BeckRS 2020, 16399 Rdnr. 19).

2. Der vorbezeichnete Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung über die Erledigung des Maßregelvollzugs mangels Erfolgsaussicht. Hierdurch werden die weiteren Anordnungen im angefochtenen Beschluss gegenstandslos. Dies gilt auch für die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung der noch offenen Reststrafe zur Bewährung (Nr. 6 des angefochtenen Beschlusses), denn auch insoweit kann erst dann eine Entscheidung getroffen werden, wenn feststeht, dass die nach § 67 Abs. 1 StGB vorab zu vollziehende Maßregel nicht weiter zu vollstrecken ist.

3. Der Senat sieht abweichend von § 309 Abs. 2 StPO von einer eigenen Entscheidung ab und verweist die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurück. Außerhalb der Hauptverhandlung ergangene Entscheidungen, die nicht nur mangelhaft, sondern — wie hier — überhaupt nicht begründet worden sind, unterliegen der Zurückweisung an das erstinstanzlich zuständige Gericht (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss 1 Ws 92/15 vom 6. Juli 2015 in: BeckRS 2015, 12793 Rdnr. 19; OLG Oldenburg NJW 1971, 1098, 1099; KK-Schneider-Glockzin, StPO, 9. Auflage [2023], § 34 Rdnr. 11). Die Inhaltsleere der „Beschlussbegründung“ gibt dem Senat nämlich Anlass zu der Besorgnis, dass die Kammer der ihr obliegenden Pflicht zur Anstellung einer eigenen Prognoseentscheidung nicht nachgekommen, sondern ohne eigene Sachprüfung der ärztlichen Anregung sowie dem Erledigungsantrag der Staatsanwaltschaft gefolgt ist. Bei dieser Sachlage ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert, denn diese würde im Ergebnis eine Kompetenzverlagerung darstellen und der Senat würde praktisch in erster Instanz tätig werden. Es versteht sich indes von selbst, dass eine derartige Kompetenzverlagerung nicht in Betracht kommen kann (vgl. hierzu OLG Gelle, Beschluss 2 Ws 18/20 vom 27. Januar 2020 Rdnr. 9 <juris>; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2011, 325, 326).“

beA II: Berufungseinlegung nur mit „Word-Dokument“, oder: Wenn der Hinweis des Gerichts verspätet ist

https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/8239.htm

Und dann habe ich als zweite Entscheidung hier noch ein Urteil des OLG Düsseldorf. Ergangen ist das Urteil in einer Patentstreitigkeit. Die Einzelheiten des Verfahrens tun hier für die „beA-Frage“ nichts zur Sache; die muss man auch nicht verstehen, man kann/muss ja nicht alles verstehen.

Nur kurz: Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin eines u.a. Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents. Wegen Verletzung dieses Schutzrechts hat sie die Beklagten auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie auf Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz und zur Leistung einer angemessenen Entschädigung in Anspruch genommen. Diese Klage hat das LG abgewiesen.

Gegen das am 25.08.2022 zugestellte Urteil des LG hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.09.2022, beim OLG am selben Tag eingegangen, Berufung eingelegt, wobei sie diese über das beA im Dateiformat .docx (Word-Datei) übermittelt hat. Auf einen Hinweisbeschluss des OLG-Senats vom 20.03.2023 hat sie mit Schriftsatz vom selben Tag die Berufungsschrift vom 08.09.2022 nochmals im Dateiformat PDF eingereicht, wobei ihr Prozessbevollmächtigter versichert hat, dass die Berufungsschrift vom 08.09.2022 im Dateiformat .docx mit derjenigen im Dateiformat PDF inhaltlich übereinstimmt.

Das OLG hatte zunächst wohl in einem Hinweisbeschluss darauf hingewiesen, dass die Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung bestehen. Daran hat es dann aber im OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.11.2023 – 15 U 99/22 – nicht festgehalten:

1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

Dabei kann dahinstehen, ob die am 08.09.2022 eingegangene Berufung aus den Gründen des Hinweisbeschlusses des Senats vom 20.03.2023 (Bl. 127-130 eA), auf die Bezug genommen wird, zunächst nach § 130a ZPO i. V. m. § 2 ERRV wegen Nichteinhaltung der Form unzulässig gewesen ist, weil die ursprüngliche Übermittlung der Berufung nicht in dem zugelassenen Dateiformat PDF, sondern als Word-Datei erfolgt ist (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.08.2023 – I-6 U 184/22; Siegmund, NJW 2023, 1681 Rn. 35; Bader, NZA 2023, 403). Denn die Klägerin hat einen (etwaigen) Mangel jedenfalls i. S. v. § 130a Abs. 6 ZPO geheilt.

Nach § 130a Abs. 6 ZPO hat das Gericht, wenn sich ein elektronisches Dokument nicht zur Bearbeitung eignet, dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und der geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen (S. 1). Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (S. 2). Diese Voraussetzungen hat die Klägerin hier erfüllt, als sie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 20.03.2023 ihre Berufung noch am selben Tag im Dateiformat PDF hat einreichen lassen und ihr Prozessbevollmächtigter versichert hat, dass die nunmehr eingereichte Berufungsschrift im Dateiformat PDF mit der zuerst eingereichten Berufungsschrift vom 08.09.2022 im Dateiformat .docx inhaltlich übereinstimmt. Unschädlich ist, dass der gerichtliche Hinweis möglicherweise selbst nicht unverzüglich i. S. d. § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO erfolgt ist. Denn dies kann der nachreichenden Partei nicht zum Nachteil gereichen, indem durch den verspäteten Hinweis die Heilungsmöglichkeiten entfielen. Die betreffende Partei ist durch die (möglicherweise) verzögerte Handlung des Gerichts zwar nicht von ihrer Obliegenheit entbunden, nach dem erteilten Hinweis ihrerseits unverzüglich die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Heilung eines Formverstoßes zu ergreifen, was die Klägerin hier getan hat. Die Unverzüglichkeit des gerichtlichen Hinweises ist aber keine Voraussetzung für die Notwendigkeit der Fristwahrung der Partei nach § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO. Der Hinweis dient ausschließlich dazu, ein Handeln der Partei innerhalb der noch nicht abgelaufenen Frist oder aber nach § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO zu ermöglichen. Die Position der Gegenpartei ist insoweit nicht schutzbedürftig. Sie kann daher im Fall eines nicht mehr unverzüglichen Hinweises des Gerichts nicht darauf vertrauen, der Formfehler wirke sich zu ihren Gunsten aus (vgl. BAG NJW 2022, 1832 Rn. 28 zu § 130a Abs. 6 ZPO aF; BAG, NJW 2023, 623 Rn. 50 zu § 46c Abs. 6 ArbGG; BeckOK ZPO/von Selle, 49. Ed. Stand: 01.07.2023 ZPO § 130a Rn. 26.1).“

Die Berufung hatte dann aber in der Sache keinen Erfolg. Das wird die Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten sicherlich nicht freuen. Der Prozessbevollmächtigte wird sich aber sicherlich – bei einem Gegenstandswert von 10.000.0000 EUR – darüber freuen, dass die Berufung nicht unzulässig war. Und seine Haftpflichtversicherung wahrscheinlich auch 🙂