Schlagwort-Archive: OLG Düsseldorf

Berechnung der Vergütung durch den Anwalt, oder: Reicht ein Schriftsatz per beA mit einfacher Signatur?

Bild von LEANDRO AGUILAR auf PixabaybUnd heute zum Wochenausklang wieder ein wenig RVG.

Ich beginne mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2022 – 3 W 111/22, der sich zum „Zusammenspiel“ zwischen § 10 RVG – also Berechnung der Vergütung durch den Rechtsanwalt – und dem Zugang der Berechnung in Schriftform beim Mandanten allein über das beA/elektronisches Dokument. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren nach § 11 RVG. Die Rechtspflegerin war davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Gebührenfestsetzung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht vorliegen. Sie hatte das Vorliegen einer vom beantragenden Rechtsanwalt unterzeichneten Berechnung verneint, weil sich seine Kostenaufstellung allein in einem aus dem beA des Rechtsanwalts mit einfacher Signatur versehenen, an das LG im (Kosten(Festsetzungsverfahren versendeten Schriftsatz befand.

Das hat das OLG ebenso gesehen:

„Hier mangelt es, wie die Rechtspflegerin zutreffend ausgeführt hat, an einer von ihm unterzeichneten Berechnung.

Normzweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Übernahme der Verantwortung für die Richtigkeit der Berechnung in strafrechtlicher (§ 352 StGB), zivilrechtlicher und berufsrechtlicher Hinsicht durch den Rechtsanwalt. Der Inhalt der Berechnung muss durch die Unterschrift des Rechtsanwalts gedeckt sein. Ein Faksimilestempel oder ein Handzeichen reichen als Unterschrift nicht aus (BeckOK RVG/v. Seltmann, 57. Ed. 1.9.2021, RVG § 10 Rn. 6 f.). Insoweit handelt es sich um dieselben Voraussetzungen des Schriftformerfordernisses des § 126 Abs. 1 1. Fall BGB, wonach eine Unterzeichnung durch eigenhändige Namensunterschrift des Ausstellers erforderlich ist (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, § 10 Rn. 5, 11).

Vorliegend befindet sich die Kostenaufstellung allein in dem aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Antragstellers mit einfacher Signatur versehenen, an das Landgericht versendeten Schriftsatz vom 30. Dezember 2021 im Festsetzungsverfahren (Bl. 123 GA). Diese Übermittlung genügt zwar den prozessualen Anforderungen des § 130a ZPO an die elektronische Einreichung von Schriftsätzen: Gemäß § 130a Abs. 3 2. Alt. i.V.m Abs. 4 Nr. 2 ZPO kann anstatt der Übermittlung des elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur auch dessen (einfache) Signatur durch die verantwortende Person und die Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg, wie dem beA erfolgen.

Diese auf die Abgabe prozessualer Erklärungen beschränkte Vorschrift berührt die förmlichen Voraussetzungen für die Abgabe von materiellrechtlichen Erklärungen allerdings nicht (BeckOK ZPO/von Selle, 46. Ed. 1.9.2022, § 130a Rn. 6 f.; Ehrmann/Streyl, NZM 2019, 873, 875 f. beck-online). So sieht § 126a Abs. 1 BGB ausdrücklich und unverändert vor, dass die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form (s.o.) durch die elektronische Form nur dadurch ersetzt werden kann, dass das elektronische Dokument vom Aussteller mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird.

Der Festsetzungsantrag ist hier nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, sondern nur mit einer einfachen Signatur versehen worden. Eine solche meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann – wie hier – der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein (vgl. BAG, Beschluss vom 14. September 2020 – 5 AZB 23/20, Rn. 15, juris; BeckOK ZPO/von Selle, a.a.O., § 130a Rn. 16). Dadurch ist dem Unterschriftserfordernis des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG weder nach § 126 Abs. 1 BGB noch nach § 126 Abs. 3, 126a Abs. 1 BGB genügt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung, die in diesem Zusammenhang zu in Papierform eingereichten Schriftsätzen ergangen ist: Danach kann die Berechnung auch in einem vom Rechtsanwalt unterzeichneten prozessualen Schriftsatz enthalten sein (BGH, Versäumnisurteil vom 4. Juli 2002 – IX ZR 153/01, Rn. 13, juris zu § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Hierzu zählt auch ein Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 11 RVG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2011 – I-24 U 112/09, Rn. 59, juris; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 6, 30 m.w.N.). Mit der Zustellung der Klage oder eines anderen Prozessschriftsatzes ist die Berechnung dem Auftraggeber mitgeteilt (BeckOK RVG/v. Seltmann, a.a.O., § 10 Rn. 8). Die Unterzeichnung soll (nur) sicherstellen, dass die Rechnungen von dem Rechtsanwalt (oder einem bevollmächtigten Vertreter) erstellt und überprüft worden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2011 – I-24 U 112/09, Rn. 61, juris).

Diese Rechtsprechung erfolgte auf der Prämisse, dass der eingereichte (Papier-) Schriftsatz eine der Form des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG entsprechende Berechnung enthält, diese also der – materiellrechtlich erforderlichen – Schriftform entspricht. Ferner legt sie zugrunde, dass die Zustellung des (Papier-)Schriftsatzes an den Mandanten in Form einer vom Rechtsanwalt beglaubigten Abschrift des Schriftsatzes zugeht, die entsprechend der Vorgabe in § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Praxis üblicherweise dem Antrag beigefügt ist. Dies entspricht insoweit der Rechtsprechung zu empfangsbedürftigen formgebundenen Willenserklärungen, die gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nur wirksam werden, wenn sie dem Empfänger in der vorgeschriebenen Form zugehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – XI ZR 139/05, Rn. 13, juris zum Verbraucherkreditvertrag; MüKoBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, § 568 Rn. 5 zur Wohnraumkündigung; zweifelnd HK-RVG/Hans-Jochem Mayer, 8. Aufl. 2021, § 11 Rn. 81; BeckOK RVG/v. Seltmann, a.a.O., § 11 Rn. 35).

Übertragen auf den elektronischen Rechtsverkehr ist vorliegend beides nicht der Fall: Der bei Gericht eingegangene Schriftsatz entsprach mangels qualifizierter elektronischer Signatur nicht der – materiellrechtlich erforderlichen – Form des § 126a Abs. 1 BGB. Ferner gelangte er auch nicht in der entsprechenden Form an den Antragsgegner. §298 ZPO sieht vor, dass, wenn die Akten, wie vorliegend, in Papierform geführt werden, von einem elektronischen Dokument ein Ausdruck für die Akten zu fertigen ist. Wird dem Prozessgegner, wie hier, das elektronische Dokument in Papierform zugestellt, erhält er einen Ausdruck des elektronischen Dokuments mit einem Transfervermerk (vgl. BT-Drs. 15/4067, 32; Ehrmann/Streyl, NZM 2019, 873, 875 beck-online). Aus diesem ergibt sich vorliegend ohne weiteres die Nichteinhaltung der Form des §126a Abs. 1 BGB.

Demnach wird bei Einreichung eines mit gültiger (einfacher) Signatur des Absenders versehenen Schriftsatzes bei Gericht und Übermittlung dieses Schriftsatzes durch das Gericht an einen dritten Empfänger die elektronische Form im Verhältnis zwischen Absender und Empfänger nicht eingehalten. Denn die Legitimationswirkung der Absendersignatur (§ 130a Abs. 3 2. Fall, Abs. 4 ZPO) besteht nur gegenüber dem Gericht. Der hier vom Gericht per Postzustellung übersandte Ausdruck genügt weder der Schriftform noch der elektronischen Form (Bl. 129 GA, vgl. AG Hamburg, Urteil vom 25. Februar 2022 – 48 C 304/21, Rn. 40, juris zur Wohnraumkündigung).

Der Antragsteller hat von der Möglichkeit, die Abrechnung in schriftlicher Form im Beschwerdeverfahrens nachzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1998 – IX ZR 63/97, Rn. 38, juris), keinen Gebrauch gemacht, obwohl die Rechtspflegerin in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 11. Juli 2022 Ausführungen zum Formmangel gemacht hat. Eines weiteren gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht.“

OWi II: Mal wieder Verwerfung des Einspruchs, oder: „Mit Corona infiziert, das reicht.“

Bild von Arek Socha auf Pixabay

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – IV-3 RBs 198/22 – kommt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der OLG-Entscheidungen zu § 74 Abs. 2 OWiG, also unentschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin.

Hier hatte das AG auch verworfen. Das OLG hat (mal wieder) aufgehoben:

„Die im Sinne von § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. §. 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung.

Die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG lagen nicht vor. Denn der Betroffene ist dem Hauptverhandlungstermin vom 28. Juli-2022 nicht ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Er war mit Corona infiziert und daher ausreichend entschuldigt. Auf die vom Gericht alleine thematisierte Frage, ob er rechtzeitig seine Rückreise aus der Türkei antreten konnte, kommt es daher nicht an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass der Beschuldigte es versäumt hat, den tatsächlich vorliegenden Entschuldigungsgrund rechtzeitig vor der Hauptverhandlung durch ein ärztliches Attest zu belegen. Entscheidend ist nicht, ob sich ein Betroffener entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt ist (vgl. Göhler, OWiG, 17. Aufl., Rn. 31 zu § 74 m.w.N.), zumal der Entschuldigungsgrund einer Erkrankung sowie die Ankündigung der Einreichung von Nachweisen/Attestierungen bereits vor der Hauptverhandlung vom Verteidiger vorgetragen worden war.“

StGB III: Tonaufnahme von einem Polizeieinsatz, oder: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes?

© Urheber: Ideenkoch – Fotolia.com

Und als dritte Entscheidung zum Tagesausklang dann noch das OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2022 – 3 RVs 28/22 –, das sich u.a. noch einmal mit der Vertraulichkeit des Wortes in Zusammenhang mit Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen befasst. Folgender Sachverhalt:

Nach den Feststellungen des AG fand am 18.11.2020 in Wuppertal auf einem Platz ab ca. 18:00 Uhr eine Demonstration mit dem Motto „Demokratie, Grundgesetz, Verabschiedung neues Infektionsschutzgesetz“ statt. Jedenfalls gegen 18:40 Uhr hielt sich auch die Angeklagte auf dem Versammlungsgelände auf. Zu dieser Zeit wurde sie von Polizeibeamten auf einen möglichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot angesprochen. Die Angeklagte hatte den damals verpflichtenden Mund-Nase-Schutz getragen und sich außerdem – unwiderleglich, weil sie insbesondere an den Ohren fror – die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf gezogen.

Weil es auf der Versammlungsfläche sehr laut war, führten die Polizeibeamten die Angeklagte an einen ruhigeren Ort ca. zehn Meter entfernt. Dieser befand sich immer noch auf dem L., einem an ein Kneipenviertel und die Innenstadt angrenzenden K., der zu dieser Zeit von Versammlungsteilnehmern und Passanten frequentiert war. Nunmehr startete die Angeklagte mit ihrem Mobiltelefon eine Videoaufnahme, wobei sie die Kamera gegen den Boden richtete, so dass nur der Ton ihres Gesprächs mit den Polizeibeamten aufgezeichnet wurde. Der Aufforderung der Polizeibeamten, dies zu unterlassen, kam die Angeklagte zunächst nicht nach. Sie rief zwischenzeitlich um Hilfe, um andere Personen aufzufordern hinzuzutreten. Dieser Aufforderung wurde auch in nicht mehr feststellbarem Umfang Folge geleistet. Das AG konnte darüber hinaus nicht ausschließen, dass bereits während des Laufens der Tonaufnahme unbeteiligte Personen sich derart im Bereich der Angeklagten und der Beamten aufhielten, dass sie das von den Beamten gesprochene Wort hören konnten.

Das AG hat die Angeklagte vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§ 27 VersammlG) und der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) freigesprochen. Hiergegen die Revision der Staatsanwaltschaft, deren Ausführungen im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge sich ausschließlich mit dem Freispruch vom Vorwurf der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes befassen. Das OLG hat die Revision verworfen:

„Das freisprechende Urteil hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Den Freispruch vom Vorwurf eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei auf die Erwägung gestützt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Angeklagte an der in Rede stehenden Versammlung in einer Aufmachung teilgenommen hat, die darauf gerichtet war, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Gemäß der nicht zu widerlegenden Einlassung der Angeklagten musste das Amtsgericht davon ausgehen, dass die Angeklagte sich ihre Kapuze über den Kopf gezogen hatte, weil sie wegen der in den Abendstunden des 18. November 2020 herrschenden niedrigen Temperaturen fror.

Auch der Freispruch vom Vorwurf einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem von ihm festgestellten Sachverhalt hat das Amtsgericht zu Recht nicht entnommen, dass die Angeklagte ein „nichtöffentlich gesprochene(s) Wort“ der sie kontrollierenden Polizeibeamten mit ihrem Mobiltelefon aufgezeichnet hat.

Als „nichtöffentlich gesprochene(s) Wort“ im Sinne von § 201 StGB ist jede nicht an die Allgemeinheit gerichtete Äußerung aufzufassen, die nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus ohne Weiteres wahrnehmbar ist. Entscheidend sind die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit ist daher vor allem – aber nicht allein – der Wille des Sprechers von Bedeutung. Daneben kommt es auch auf „Zweck und Eigenart“ der Unterredung an (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 201 Rn. 3 und 4 unter Hinweis auf BGHSt 31, 304). Vom Sprecher unbemerkte Zuhörer können zu einer „faktischen Öffentlichkeit“ führen, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss (LG Kassel, Beschluss vom 23. September 2019, 2 Qs 111/19; LG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021, 610 Qs 37/21; zuletzt OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Juni 2022, 1 OLG 2 Ss 62/21). Diese Auslegung, die auch die objektiven Rahmenbedingungen des Gespräches mit einbezieht, korrespondiert mit dem Schutzzweck des § 201 StGB. Der Straftatbestand dient dem Schutz des Sprechers in Situationen, in denen er keinen Anlass zu sehen braucht, wegen der Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt seiner Äußerungen zu wahren. Wenn der Sprecher damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen – redet er etwa in einem vollbesetzten Gasthaus mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme – , so macht er damit seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich – im Beispielsfall – lediglich an seine Stammtischfreunde wendet (Schünemann in: StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 201 Rn. 7; ebenso Graf in: Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 201 Rn. 17a, 18). Die mit der Revision vertretene Ansicht, es komme ausschließlich auf den Willen des Sprechers an, führt zu einer wesentliche Erweiterung der Strafbarkeit über den nach allgemeiner Meinung bestehenden Bereich hinaus. Sie lässt indes den dargestellten Schutzzweck der Vorschrift außer Betracht und findet in deren Wortlaut keine Stütze. Der Senat vermag sich dieser erweiternden Auslegung des Begriffs des „nicht öffentlich gesprochenen Wortes“ nicht anzuschließen.

Nach den offen zutage liegenden Umständen mussten die kontrollierenden Polizeibeamten mit einer Kenntnisnahme durch Dritte rechnen. Die Beamten führten die Kontrolle der Angeklagten auf einer frei zugänglichen öffentlichen Fläche durch, auf der beliebige Dritte ihre Diensthandlung beobachten und akustisch wahrnehmen konnten. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der L. – ein an ein Kneipenviertel und die Innenstadt angrenzender K. – am 18. November 2020 gegen 18:40 Uhr von Versammlungsteilnehmern und Passanten frequentiert. Auf die Aufforderung der Angeklagten waren andere Personen hinzugetreten. Nicht ausschließbar hielten sich bereits während des Laufens der Tonaufnahme unbeteiligte Personen derart im Bereich der Angeklagten und der Beamten auf, dass sie das von den Beamten gesprochene Wort hören konnten.

Unter diesen Umständen bezog sich die von der Angeklagten gefertigte Tonaufnahme von Beginn an auf Äußerungen der Polizeibeamten, die diese im Umfeld einer faktischen Öffentlichkeit – mithin außerhalb des Anwendungsbereichs von § 201 StGB – machten.“

OWi II: Rechtzeitiger Hinweis auf Vorsatz fehlt, oder: Verfahrensaussetzung wegen BVerfG 2 BvR 1167/20?

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – 2 RBs 155/22 – ist in mehrfacher Hinsicht interessant.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 71 km/h zu einer Geldbuße von 1.920 EUR (!) verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Die Hauptverhandlung war nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt worden. Auch der Verteidiger hatte nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg:

„1. Die Rüge des Betroffenen, er sei nicht rechtzeitig darauf hingewiesen worden, dass abweichend von dem Bußgeldbescheid auch eine vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Betracht komme, greift durch.

Wenn – wie hier – im Bußgeldbescheid keine Schuldform bezeichnet worden ist, so ist davon auszugehen, dass dem Betroffenen Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (vgl. OLG Jena NStZ-RR 1997, 116). Soll der Betroffene wegen Vorsatzes verurteilt werden, ist daher nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 265 Abs. 1 StPO ein Hinweis auf die Änderung der Schuldform erforderlich. Dies gilt auch im Abwesenheitsverfahren, wobei dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme binnen angemessenen Frist einzuräumen ist (vgl. OLG Bamberg DAR 2017, 383; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 74 Rdn. 16).

Vor dem Hauptverhandlungstermin vom 14. März 2022 (Montag) ist der Hinweis an den Verteidiger (§ 74 Abs. 1 Satz 3 OWiG) erst mit Telefax vom 10. März 2022, 14.42 Uhr, erfolgt. Es drängt sich auf, dass die bis zum Hauptverhandlungstermin verbleibende Zeit, in die ein Wochenende fiel, für eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers schon für sich betrachtet unangemessen kurz war, zumal auch der Zeitbedarf für eine etwaige Rücksprache mit dem Betroffenen zu berücksichtigen war.

Jedenfalls ist der Hinweis nicht rechtzeitig angebracht worden, da das Telefax vom 10. März 2022 irrtümlich nicht an die Kanzlei des Verteidigers in P., sondern an die Zweigstelle in B. übermittelt wurde. Geht ein Schriftsatz bei einem unzuständigen Gericht ein, darf der Absender nicht erwarten, dass bei der Weiterleitung an das zuständige Gericht Eilmaßnahmen getroffen werden. Es ist lediglich die Weiterleitung im normalen Geschäftsgang erforderlich (vgl. Senat NStZ-RR 2002, 216; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 283). Umgekehrt kann das Gericht keine Eilmaßnahmen erwarten, wenn es bei einem Telefax irrtümlich nicht die dem Kanzleisitz des Verteidigers zugeordnete Faxnummer verwendet. Vorliegend kann nicht zu Lasten des Betroffenen gehen, dass dem in P. ansässigen Verteidiger das an die Zweigstelle in B. übermittelte Telefax vom 10. März 2022 mit dem gerichtlichen Hinweis erst nach dem Hauptverhandlungstermin vom 14. März 2022 zur Kenntnis gelangt ist.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Betroffene, hätte der Verteidiger den nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 265 Abs. 1 StPO zur Schuldform (Vorsatz statt Fahrlässigkeit) erforderlichen Hinweis rechtzeitig erhalten, seine Verteidigung in anderer Weise ausgeführt oder den Einspruch zurückgenommen hätte.

Das angefochtene Urteil unterliegt mithin der Aufhebung. Ob das (auch) auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs abstellende Beschwerdevorbringen, das nur unbestimmte Angaben zu der Reaktion, die im Falle rechtzeitiger Hinweiserteilung erfolgt wäre, enthält, den Anforderungen an eine Gehörsrüge genügt, kann dahinstehen, da die Rechtsbeschwerde vorliegend keiner Zulassung bedarf.“

So weit, so gut. Interessant dann aber auch die anderen Ausführungen des OLG. Wegen der Ausführungen zur Verwertbarkeit der mit dem Laserscanner PoliScan M1 HP ermittelten Messergebnisses verweise ich auf den verlinkten Volltext; die Ausführungen entsprechen der OLG-Rechtsprechung.

Aber: Das OLG nimmt auch Stellung zur einem Aussetzungsantrag des Betroffenen, den der im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvR 1167/20 gestellt hatte. Den hat das AG abgelehnt, was das OLG nicht beanstandet.

3. Ferner hat das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen, das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 1167/20 auszusetzen, rechtsfehlerfrei abgelehnt.

In diesem Verfahren geht es um eine Verfassungsbeschwerde betreffend die Frage, ob und ggf. welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus einer fehlenden Speicherung von Messdaten bei Geschwindigkeitsmessungen im Bußgeldverfahren folgen (vgl. Übersicht für das Jahr 2022, Zweiter Senat, lfd. Nr. 48, abrufbar bei www.bundesverfassungsgericht.de). In diesem Fall wurde die Geschwindigkeitsmessung mit dem Infrarot-Lasermessgerät Leivtec XV3 durchgeführt (vgl. Beitrag „Bundesverfassungsgericht: Müssen Blitzer Rohmessdaten speichern?“ bei www.zimmer-gratz.de). Anzumerken ist, dass Geschwindigkeitsmessungen mit diesem Gerätetyp wegen unzulässiger Messwertabweichungen inzwischen nicht mehr als standardisiertes Messverfahren anerkannt werden (vgl. OLG Oldenburg BeckRS 2021, 7922; BeckRS 2021, 19614 = NdsRpfl 2021, 321; OLG Celle BeckRs 2021, 15516 = DAR 2021, 524; BeckRS 2021, 35584 = ZfSch 2021, 650: OLG Hamm BeckRS 2021, 28656; BeckRS 2021, 37766; OLG Dresden BeckRS 2021, 36733; OLG Koblenz BeckRS 2021, 42233).

Vorliegend wurde der Laserscanner PoliScan M1 HP eingesetzt. Wegen der gleichgelagerten Fragestellung hinsichtlich der Nichtspeicherung der Messdaten kommt jedenfalls in Betracht, dass die Entscheidung in dem Verfahren 2 BvR 1167/20 auch von grundsätzlicher Bedeutung für die Verwertbarkeit der mit dem Laserscanner PoliScan M1 HP erzielten Messergebnisse sein wird.

Die nach §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG anwendbaren Vorschriften der StPO sehen in einer solchen Konstellation unmittelbar keine Aussetzung des Verfahrens vor. Allerdings ist die entsprechende Anwendung des § 262 Abs. 2 StPO in Betracht zu ziehen (vgl. Miebach in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Auf. 2016, § 262 Rdn. 19; Ott in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 262 Rdn. 7). Die entsprechende Anwendbarkeit des § 262 Abs. 2 StPO ist etwa bei anderweitiger Anhängigkeit eines Normenkontrollverfahrens zur Gültigkeit einer entscheidungsrelevanten Rechtsnorm (vgl. BayObLG NJW 1994, 2104) und im Falle einer anderweitigen Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 GVG zu einer für die Entscheidung bedeutsamen Rechtsfrage (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 102231) bejaht worden. Auf derselben Ebene liegt die Verfassungsbeschwerde eines Dritten, bei der die grundsätzliche Klärung einer im vorliegenden Verfahren entscheidungsrelevanten Rechtsfrage zu erwarten ist.

Es besteht indes keine Rechtspflicht, ein Bußgeldverfahren deshalb auszusetzen, weil anderweitig eine solche Verfassungsbeschwerde anhängig ist. Vielmehr steht die Entscheidung über die Aussetzung des Bußgeldverfahrens im Ermessen des Gerichts, dessen Sachentscheidungskompetenz durch die Anhängigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht berührt wird.

Das Amtsgericht hat sich bei seiner rechtsfehlerfreien Ermessensentscheidung die Rechtsprechung nahezu sämtlicher Bußgeldsenate der Oberlandesgerichte zu eigen gemacht, wonach die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhängt (vgl. zu einem Aussetzungsantrag: OLG Brandenburg BeckRS 2022, 28361). Im Bereich der Fachgerichte ist die Fragestellung als geklärt anzusehen Das Amtsgericht hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass eine funktionsfähige Verkehrsüberwachung empfindlich gestört würde, wenn Bußgeldverfahren, denen Geschwindigkeitsmessungen mit nicht speichernden Messgeräten zugrunde liegen, massenhaft ausgesetzt werden würden.

Die Verfassungsbeschwerde ist seit mehr als zwei Jähren anhängig. Eine Aussetzung entsprechend § 262 Abs. 2 StPO führt nicht zum Ruhen der Verfolgungsverjährung (vgl. Gertler in: BeckOK, OWiG, 36. Edition 2022, § 32 Rdn. 23; Ellbogen in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 32 Rdn. 15 Rdn. 7). Gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG tritt im gerichtlichen Bußgeldverfahren vor Erlass des Urteils (§ 32 Abs. 2 OWiG) bereits nach sechs Monaten Verfolgungsverjährung ein. Im Falle erstinstanzlicher Aussetzung zwecks Abwarten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 1167/20 wären inzwischen zahlreiche Bußgeldverfahren in die Verfolgungsverjährung gelaufen. Eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 262 Abs. 2 StPO liegt in Massenverfahren mit kurzer Verfolgungsverjährung fern und erscheint hier ohne gesetzliche Ruhensregelung ungeeignet. Vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter seine Entscheidungskompetenz wahrnimmt und in Ausübung seines Ermessens von der Aussetzung des Verfahrens absieht. Dies gilt umso mehr, als das Beschleunigungsgebot auch im Bußgeldverfahren zu beachten ist (vgl. OLG Hamm BeckRS 2009 = SVR 2009, 465, 12428; OLG Stuttgart BeckRS 2018, 13726).“

Dazu kurz Folgendes: Die Ausführungen des OLG zur Aussetzungsfrage sind m.E. erkennbar vom Ergebnis – drohender Verjährungseintritt – getragen. Sie sind im Übrigen aber auch nicht überzeugend. Denn, dass das AG sich eine – nach der ausstehenden Entscheidung des BVerfG ggf. falsche – Auffassung aller OLG zu eigen gemacht hat, rechtfertigt die Ablehnung der Aussetzung, für die auch mal wieder die „funktionsfähige Verkehrsüberwachung“ herhalten muss, nicht. Wenn die Verkehrsüberwachung eben nicht „funktionsfähig“ erfolgt, dann müssen die Verwaltungsbehörden die daraus entstehenden Folgen eben hinnehmen. Es erschließt sich mir auch nicht, warum man einerseits eine entsprechende Anwendung von § 262 Abs. 2 StPO grundsätzlich bejaht, dann aber andererseits, weil es dann doch nicht passt, die Regelung als „ungeeignet“ ansieht.

Für das weitere Verfahren hat das OLG übrigens darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme oder Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nicht mehr wirksam erfolgen kann. Das ist zutreffend, denn die Rücknahme des Einspruchs ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug zulässig (§ 71 Abs. 1 OWiG, § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Und eine allgemeine Anmerkung – meinetwegen auch „Mecker“ 🙂 : Das OLG hat in seiner Entscheidung fast alle zitierten Entscheidungen anderer OLG nur mit „BeckRS“-Fundstellen angeführt. Das macht die Entscheidung zwar (noch) nicht unlesbar, aber: Das alleinige Anführen dieser Fundstellen ohne Entscheidungsdatum und Aktenzeichen macht das Auffinden der angeführten Entscheidung an anderen Stellen zwar nicht unmöglich, aber erschwert es ggf. ungemein. Denn die betreffende Entscheidung, die als Beleg angeführt worden ist, kann nur über Umwege, wenn überhaupt, gefunden werden kann. Diese „Unsitte“ muss nicht sein, zumal ja auch bei Beck-Online bei den „BeckRS“ Fundstellen Entscheidungsdatum und Aktenzeichen angeführt werden. Es sollte m.E. einem OLG keine Mühe machen, diese dann auch in einer Entscheidung, die man veröffentlicht, anzuführen, um so ein einfacheres Umgehen mit den Zitaten, vor allem eine Überprüfung der angeführten Entscheidungen darauf, ob sie tatsächlich dieselben Auffassung wie das OLG vertreten, zu ermöglichen. Zudem kann man m.E. auch nicht davon ausgehen, dass – anders als die Justiz – alle anderen Interessierten auch über einen „Beck-Zugang“ verfügen-