Und als letzte Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 23.10.2018 – 4 RBs 313/18. Er stammt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen zur Anforderung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gerügt hatte der Betroffene mit seiner Verfahrensrüge, dass die Hauptverhandlung beim AG ohne seinen Wahlverteidiger durchgeführt worden war. Ich hatte mich beim „Einsender“ der Entscheidung erkundigt, warum er nicht anwesend war. Grund: Das AG hatte schlicht vergessen, den Kollegen H. Urbanzyk aus Coesfeld zu laden. Der Kollege hatte dann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliege und auch darauf hingewiesen, dass ggf. Beweisanträge gestellt worden wären. Als Antwort hat er vom OLG darauf erhalten:
„Soweit der Betroffene hinsichtlich der Durchführung der Hauptverhandlung ohne den Wahlverteidiger die Verfahrensrüge erhebt, genügt diese bereits nicht den Begründungsanforderungen der §§ 344 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG, weil nicht vorgetragen wird, welche Beweisanträge der Wahlverteidiger im Falle seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestellt hätte. Allein die Behauptung, dass das Urteil auf dem gerügten Fehler bestehe, da ein anderer Verfahrensgang unter Beisein des Wahlverteidigers als möglich angenommen werden könne, genügt nicht.“
Sorry „liebes“ (?) OLG: Wie soll das den bitte gehen?. Mal wieder der Verteidiger als Hellseher, der – ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben – darlegen soll, welche Beweisanträge er, wenn er teilgenommen hätte, gestellt hätte. Wie soll der Verteidiger das denn wissen, was sich ggf. aus dem Verlauf der Hauptverhandlung ergeben hätte, wenn er zugegen gewesen wäre und Zeugen ggf. hätte befragen können?
Mir wäre es lieber gewesen, wenn sich das OLG mal mit der Frage auseinander gesetzt hätte, ob hier nicht in der Tat ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorgelegen hat. Es geht um einen Verstoß gegen § 19 StVO – Überquerens einer Bahnübergangs unter Verstoß gegen die Wartepflicht. Der Bußgeldbescheid hatte eine Geldbuße von immerhin 240,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das AG vergisst (!!!) dann den Wahlverteidiger zu laden und „verhandelt durch“. Der Kollege nennt es: „überrumpelt den Mandanten“, der auf seinen Wahlverteidiger verzichtet. Und das soll dann kein Verstoß gegen den Grudnsatz des fairen Verfahrens sein? Aber die Frage muss man ja nicht beantworten, wenn man die Zulässigkeitsrügen für die Verfahrensrüge (zu) hoch legt.