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Kauf von unversteuerten Zigaretten, oder: Nemo-Tenetur

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Ich eröffne den Tag dann mit dem BGH, Beschl. v. 23.05.2019 – 1 StR 127/19, also schon etwas älter. Passt aber ganz gut heute, da alle Entscheidungen, die ich vorstelle, schon etwas länger in meinem Blogordner hängen.

Der Beschluss ist in einem Steuerstrafverfahren ergangen. Die Angeklagte hatte in mehreren Fällen von polnischen Lieferanten im Zeitraum Dezember 2016 bis April 2018 aus Drittländern stammende, unversteuerte und unverzollte Zigaretten bezogen, die sie nach Erhalt ohne Erklärung gegenüber der zuständigen Zollbehörde im Straßenverkauf gewinnbringend weiterveräußerte. Das LG Neuruppin verurteilte die Angeklagte insofern u.a. wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Alt. 1 AO in mehreren Fällen aber auch tatmehrheitlich dazu stehend wegen Hinterziehung von Tabaksteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 3 TabStG) in mehreren Fällen.

Das geht nicht sagt der BGH: Denn der derjenige, der sich beim Kauf von unversteuerten Zigaretten der Steuerhehlerei nach § 374 AO schuldig gemacht hat, kann unter Berücksichtigung des Nemo-Tenetur-Grundsatzes nicht zusätzlich hinsichtlich dieser Tabakwaren wegen Hinterziehung von Tabaksteuer gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 3 TabStG belangt werden. „Nemo tenetur“ lässt grüßen… 🙂

Und für den jeweiligen Angeklagten auch von erheblicher Bedeutung: Mangels einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 3 TabStG kommt insoweit dann auch keine Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 73c StGB in Betracht.

Rest dann bitte im Volltext selbst lesen.

Nemo-Tenetur-Grundsatz, oder: Wenn das Schweigen des Angeklagten gegen ihn verwendet wird

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Ich eröffne die 33. KW. mit zwei BGH-Entscheidungen.

Den Anfang macht der BGH, Beschl. v. 05.07.2018 – 1 StR 42/18. Problematik: Fehler in der Beweiswürdigung durch Verstoß gegen die so. Selbstbelastungsfreiheit:

a) Die Angeklagten haben zum Tatvorwurf im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung geschwiegen. Der Angeklagte W.   hat gegenüber dem Sachverständigen lediglich geäußert, dass das „sein Material“ gewesen sei, und seine Schwester, „ohne etwas damit zu tun zu haben“, ihn begleitet habe.

b) Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte W. das Rauschgift in Tschechien erworben und nach Deutschland eingeführt und seine Schwester ihn begleitet habe, im Wesentlichen aus der Festnahmesituation gewonnen. Beide Angeklagten befanden sich etwa einen Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt; sie gingen zu Fuß auf einem Fuß-/Radweg landeinwärts zum nächst gelegenen Bahnhof, als sie aufgegriffen wurden. In seiner Jackentasche trug der Angeklagte W. das in zwei Kondome eingepackte Rauschgift. Die Angeklagte R. trug einen Rucksack, in dem sich das zum Teil leere Verpackungsmaterial für die Kondome und Einweghandschuhe befanden. Beweiswürdigend hat das Landgericht ausgeführt, dass es vor diesem Hintergrund davon überzeugt sei, „dass beide Angeklagten vor der Kontrolle in der Tschechischen Republik gewesen“ seien. In diesem Zusammenhang sei „insbesondere in den Blick genommen“ worden, „dass die Angeklagten keine Erklärung zum Grund ihres Aufenthalts im Bereich“ des Festnahmeortes „abgegeben haben“. Es werde nicht verkannt, dass, wenn ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden könne. Allerdings sei es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestünden (UA S. 20).

c) Mit diesen Erwägungen verstößt die Strafkammer gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten.

aa) Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220 mwN). So liegt der Fall aber hier.

bb) Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen (UA S. 20, 21, 22, 23 und 39) ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“

Tja, sollte man wissen als große Strafkammer, dass das so nicht geht…..