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Strafe I: Mindeststrafe für schwere sexuelle Nötigung?, oder: Mindeststrafe ist immer „gefährlich“

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Und heute, am letzten Arbeitstag vor Ostern, ein wenig Strafzumessung.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 21.02.2024 – 6 StR 541/23. Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung einer im Mai 2023 gegen ihn verhängten Strafe u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt. Dagegen richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

W1. Nach den Feststellungen hatte sich der Angeklagte über eine Internetplattform mit der Zeugin R. für ein Wochenende in seiner Wohnung verabredet, um gegen Zahlung von 10.000 Euro diverse sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen; tatsächlich war er zu der Zahlung weder bereit noch in der Lage. Obwohl er ihr das Geld absprachewidrig nicht vorab gab, ließ R. zunächst sexuelle Handlungen über sich ergehen. Als sie anschließend darauf bestand, das Geld ausgehändigt zu bekommen, bedrohte der Angeklagte sie mit einem Küchenmesser, das er ihr direkt vor das Gesicht hielt, um sie zur Duldung weiterer sexueller Handlungen zu zwingen. Er forderte die unbekleidete Zeugin wiederholt auf, sich bäuchlings auf das Bett zu legen und ihre Beine zu spreizen, was sie schließlich aus Angst tat, nachdem er die Schneide des Messers gegen ihren Hals gedrückt hatte. Dann legte er das Messer zur Seite und strich mit einem Finger Creme um ihren Darmausgang, was sie unter dem Eindruck der vorangegangenen Bedrohung duldete. Als sie ihn aufforderte aufzuhören und er kurz von ihr abließ, versuchte sie aufzustehen, indem sie sich aufrichtete und auf die Bettkante setzte. Der Angeklagte stieß sie jedoch zurück, so dass sie wieder nach hinten auf das Bett fiel und Schmerzen im Bereich der Schulter erlitt. Anschließend richtete sie sich erneut auf und sagte, dass sie sein Geld nicht haben, sondern gehen wolle. Daraufhin nahm der Angeklagte das Messer wieder an sich, hielt die Schneide an ihre linke Brust und drohte, ihre Brüste abzuschneiden, falls sie nicht tue, was er sage. Sie versuchte, das Messer von sich wegzudrücken, was ihr aber nicht gelang. Nachdem er ihr nochmals mit der Anwendung von Gewalt gedroht hatte, ergriff er eine Rolle „Panzertape“, um sie zu fesseln, und forderte sie auf, ihre Hände auf den Rücken zu legen. Aus Angst, dem Angeklagten im Falle ihrer Fesselung schutzlos ausgeliefert zu sein, geriet R. in Panik. Es gelang ihr schließlich, ihm mit dem Fuß zwischen die Beine zu treten, worauf er sie mit beiden Händen so stark würgte, dass sie Luftnot bekam und Schmerzen im Bereich des Kehlkopfes erlitt. Er fragte sie, ob ihr das jetzt gefalle, worauf sie ihm so stark in die Nase biss, dass er nicht unerheblich blutete. Zugleich stieß und trat sie ihn von sich, so dass er mit dem Rücken gegen den Wohnzimmertisch fiel. Diese Situation nutzte sie aus, um zu fliehen.“

Das LG hat der Strafzumessung den Strafrahmen des § 177 Abs. 8 StGB zugrundegelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles der besonders schweren sexuellen Nötigung i.S. des § 177 Abs. 9 StGB hat es verneint. Dabei hat es zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tat bereits zwei Jahre und acht Monate zurücklag, er im Tatzeitpunkt noch nicht vorbestraft war, zudem die Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren und die besondere Strafempfindlichkeit des Angeklagten als „Erstverbüßer“. Strafmildernd hat es darüber hinaus gewertet, dass die Geschädigte keine lang anhaltenden Schmerzen und keine psychischen Folgeschäden erlitt. Zum Nachteil des Angeklagten hat das LG demgegenüber darauf abgestellt, dass sie seinen Einwirkungen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt war, dass er durch das Stoßen und Würgen in mehrfacher Form Gewalt gegen sie anwandte und tateinheitlich zwei Straftatbestände sowie zwei Qualifikationstatbestände i.S. des § 177 Abs. 5 StGB verwirklichte. Unter Bezugnahme auf diese Erwägungen hat das LG sodann auf die Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren erkannt und unter Einbeziehung der im Mai 2023 gegen den Angeklagten verhängten Geldstrafe von 60 Tagessätzen die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat gebildet.

Das gefällt dem BGH nicht:

„2. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft zu Recht.

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es hat die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts kommt nur in engen Grenzen in Betracht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. August 1982 – 1 StR 435/82, NStZ 1982, 464, 465; vom 27. Juli 1988 – 3 StR 273/88, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 3). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn dem Tatgericht Abwägungsfehler unterlaufen sind und das gefundene Ergebnis deshalb nicht mehr vertretbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 – 1 StR 116/11, NStZ 2012, 162, 163; vom 28. Juni 2022 – 6 StR 511/21, NStZ-RR 2022, 342, 343; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1530). So verhält es sich hier.

In Anbetracht der vom Landgericht als erheblich strafschärfend gewerteten Umstände entbehrt die Verhängung der Mindeststrafe einer tragfähigen Begründung. Die Mindeststrafe ist zwar nicht nur denkbar leichtesten Fällen vorbehalten; auf sie darf auch erkannt werden, wenn Strafzumessungsgesichtspunkte vorliegen, die den Angeklagten belasten (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, NStZ 1984, 359; vom 27. Juli 1988 – 3 StR 273/88, aaO). Dies setzt aber – wie bei der Verhängung der Höchststrafe (vgl. BGH Urteil vom 15. Dezember 1982 – 2 StR 619/82, NStZ 1983, 268, 269) – eine eingehende Begründung und Abwägung der wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände voraus (vgl. BGH, Urteile vom 17. November 1983 – 4 StR 617/83, NStZ 1984, 117; vom 23. Februar 1989 – 4 StR 8/89, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 7).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Ihnen lässt sich nicht entnehmen, aufgrund welcher Erwägungen das Landgericht innerhalb des Regelstrafrahmens trotz der den Angeklagten erheblich belastenden Faktoren die Mindeststrafe für schuldangemessen gehalten hat.“

Also noch einmal das Ganze. Mindesstrage ist nie einfach 🙂

StGB III: GG-Verstoß der „Kipo-Mindeststrafe“?, oder: Wer gewinnt das Rennen?

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Und als dritte Entscheidung dann nicht noch eine Entscheidung zu BtM, sondern etwas ganz anderes. Ich weise hier auf den AG Buchen, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 – hin, en mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat.

Mit dem Beschluss hat das AG ein bei ihm anhängiges „KiPo-Verfahren“ ausgesetzt und die Sache dem BVerfG vorlegt. Das AG hält die Neuregelung der Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 stGb von 1 Jahr für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Wegen der Einzelheiten, isnbesondere auch wegen des Vorwurfs, der der Angeklagten gemacht wird, verweise ich auf den verlinkten AG-Beschluss. Hier der Leitsatz dazu.

Die Mindesststrafe des § 184b Abs. 3 StGB von 1 Jahr Freiheitsstrafe ist ein Verstoß gegen das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldprinzip (Übermaßverbot), wenn diese auch dann zu verhängen ist, wenn es sich um den vorsätzlich aufrechterhaltenen Besitz von 3 Bilddateien („Stickern“) mit kinderpornografischen Inhalten und einer Länge von 11 Sekunden handelt, der von der nicht vorbestraften und von Anfang an mit den Ermittlungsbehörden kooperierenden Täterin ohne pädophile Neigungen unfreiwillig erlangt worden war.

Man darf gespannt sein, was das BVerfG „macht“. Und noch gespannter bin ich, wer das „Wettrennen“ um den § 184b Abs. 3 StGB gewinnt? Das BVerfG oder die Bundesregierung/der Gesetzgeber, der ja mit einem beschluss der JuMiKo umgehen muss (vgl. Jus­tiz­mi­nister für Ent­schär­fung der Kin­derpor­no­grafie-Straf­bar­keit). Bei der Bearbeitungsdauer beim BVerfG tippe ich auf den Gesetzgeber – wenn er denn etwas „macht“.

Strafzumessung II: Falsche Strafrahmenberechnung, oder: Man glaubt es nicht

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Der Beschluss in Strafzumessung II (vgl. heute schon: Strafzumessung I: Strafzumessung hat mit Moral nichts zu tun, oder: Asylbewerber) stammt aus der Rubrik: Man glaubt es nicht. Denn eine Strafkammer beim LG Hannover kann den richtigen Strafrahmen als Grundlage einer ordnungsgemäßen Strafzumessung nicht bestimmen, was zur Aufhebung durch den BGH, Beschl. v.  29.11.2016 – 3 StR 381/16 – führt:

„1. Die Strafkammer hat wegen der hier abgeurteilten Tat auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt, diese dem nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB entnommen und dessen Mindeststrafe auf zwei Jahre beziffert. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Mindestfreiheitsstrafe des § 250 Abs. 1 StGB beträgt drei Jahre; sie ermäßigt sich gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf sechs Monate.

Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch; denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht auf eine mildere Strafe erkannt hätte, hätte es die Mindestfreiheitsstrafe des angewendeten Strafrahmens rechtsfehlerfrei mit sechs Monaten statt zwei Jahren angenommen. Die Strafkammer hat sich mit der erkannten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten insbesondere nicht so weit von der von ihr angenommenen Mindeststrafe entfernt, dass davon auszugehen ist, deren fehlerhafte Bestimmung habe sich auf die Bemessung der Strafe nicht ausgewirkt. Der Senat sieht im vorliegenden Fall auch keine ausreichende Grundlage für eine eigene Entscheidung über die Höhe der Strafe nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.“

Mich würde allerdings interessieren, ob der Verteidiger es gemerkt hat. Aber „allgemeine Sachrüge“ spricht dagegen. Und der GBA scheint es auch nicht gemerkt zu haben. Denn der hatte offenbar Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO beantragt.