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Aufbewahrung von Erbrochenem für den Sachverständigen? – befangen ist die Vorsitzende nicht

FragezeichenIch erinnere: Im „Schreiber-Verfahren“ beim LG Augsburg hatte das LG dem Angeklagten, der sich auf eine Erkrankung, nämlich eine akute Gastroenteritis berufen und mit der Begründung die Aufhebung eines Hautpverhandlungstermins beantragt hatte, dem Angeklagten aufgegeben, von ihm Erbrochenes in einem Eimer aufzubewahren und einem Sachverständigen ggf. für eine Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Dagegen hatte der Angeklagte Beschwerde eingelegt und beim OLG München im OLG München, Beschl. v. 10.09.2013 – 3 Ws 661 und 662/13 Recht bekommen (vgl. Fassungslos! Aufbewahrung von Erbrochenem für den Sachverständigen?). Im Verfahren hatte der Angeklagte dann die Vorsitzende der Strafkammer abgelehnt, damit aber keinen Erfolg gehabt.

Und der BGH sieht es dann im BGH, Beschl. v. 28.07.2015 – 1 StR 602/14natürlich auch anders:

aa) Die beanstandete Vorgehensweise der Vorsitzenden Richterin erweist sich als sachgerecht. Die Erkrankung des Angeklagten hatte die vom Sachverständigen angegebene typische Dauer von 36 bis 48 Stunden am Morgen des 24. Juli 2013 nach Ausbruch am 20. Juli 2013 schon deutlich überschritten. Dass sie daher den Sachverständigen mit der körperlichen Untersuchung beauftragte, diente der Objektivierung der Beschwerden und der Abklärung des Einflusses auf die bestehende Herzerkrankung, wie die Vorsitzende schon in ihrer Verfügung vom 24. Juli 2014 niederlegte. Es gehört gerade vor dem Hintergrund des in Haftsachen – der gegen den Angeklagten bestehende Haftbefehl war nur außer Vollzug gesetzt – geltenden Beschleunigungsgrundsatzes zu den Aufgaben des Vorsitzenden, die behauptete Verhandlungsunfähigkeit zu überprüfen und damit eine möglichst effektive Durchführung der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Soweit die Revision geltend macht, dies sei nicht erforderlich gewesen, weil zwei eindeutige medizinische Voten für Verhandlungsunfähigkeit vorgelegen hätten, verkennt sie schon die Ausrichtung der Maßnahme auf den nächsten Verhandlungstag, den 30. Juli 2013. Denn für den 22. und 24. Juli 2013 hatte die Vorsitzende, dem Votum des Hausarztes bzw. des gerichtlich bestellten Sachverständigen folgend, die Ver-handlung wegen akuter Erkrankung bereits abgesetzt. Dass von der Vorsitzenden die Sicherung der zukünftigen Verhandlungsfähigkeit, die kein medizinisches Zeugnis abdeckte, intendiert war, ergibt sich auch aus dem von ihr in den Blick genommenen abendlichen Untersuchungszeitpunkt. Hinzu kam, dass die Einschätzung des Sachverständigen auf der telefonischen Mitteilung des Angeklagten beruhte, was keine zuverlässige Grundlage für eine Diagnose darstellt.

Medizinische Untersuchungen sind aber zumeist mit Eingriffen in die Intimsphäre des zu Untersuchenden – was die Revision beanstandet – verbunden. Dieser Eingriff mag durch die Begutachtung von Körperausscheidungen, die zu diesem Zweck aufzubewahren sind, intensiviert worden sein. Gleichwohl stellt diese Methode zur medizinischen Befunderhebung – üblicher freilich für andere Körperausscheidungen, was die damit verbundene Beeinträchtigung aber nicht entscheidend verändert – angesichts des damit verfolgten Zwecks keine unzumutbare Untersuchung dar und führt nicht dazu, dass die Vorsitzende hiermit den Boden einer ordnungsgemäßen Verhandlungsleitung verlassen hätte. Denn es war zu berücksichtigen, dass der Sachverständige diese Unter-suchungsmethode sowohl zur Objektivierung der geschilderten Symptome als auch zum Ausschluss einer viralen und die zukünftige Verhandlungsfähigkeit in Frage stellenden Infektion benannt hat. Dass die Vorsitzende im Rahmen der ihr obliegenden Anleitung des Sachverständigen einen dahingehenden Auftrag erteilt hat, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Letztlich wurde die Körperausscheidung auch vom Sachverständigen untersucht und diente der diagnostischen Einordnung. Dass der Sachverständige dann keinen Anlass sah, eine Laboruntersuchung zu veranlassen, unterfällt seinem Verantwortungsbereich.

bb) Es besteht für einen vernünftigen bzw. verständigen Angeklagten kein Anlass, aufgrund einer solchen sachgerechten Verfahrensweise anzunehmen, der Richter habe ihm gegenüber in der Sache selbst bereits eine innere Haltung angenommen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Insbesondere die in dem Ablehnungsantrag geltend gemachte Sorge, die Richterin wolle, dass er krank bleibe und ein Erbrechen provozieren, um ihn zu traktieren, entbehrt vor dem Hintergrund, dass die Aufforderung nur für den Fall abermaligen Erbrechens gegolten und der Angeklagte selbst fortdauerndes Erbrechen geltend gemacht hat, jeder vernünftigen Grundlage.

cc) Dass das Oberlandesgericht München auf eine für zulässig erachtete Beschwerde des Angeklagten für die „im Rahmen der Verfügung vom 24. Juli 2013 … getroffene Anordnung, wonach der Angeklagte das von ihm an diesem Tag Erbrochene in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen zur Verfügung stellen sollte“, die Rechtswidrigkeit festgestellt hat, ändert an dieser Wertung nichts.

Der Senat ist zuständig für die Entscheidung, ob der Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vorliegt. Dabei hat er nach Beschwerdegrundsätzen über die geltend gemachte Befangenheit zu entscheiden. Dass das Oberlandesgericht eine frühere Beschwerdeentscheidung für diesen Sachverhalt – ungeachtet § 305 StPO – getroffen hat, entfaltet keinerlei Bindungswirkung für den Senat. Die Wertung des Oberlandesgerichts, die Maßnahme sei nicht zweckdienlich und entwürdigend, nicht auch nur annähernd „verhältnismäßig“ und beeinträchtige tiefgreifend die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten, teilt der Senat aus den oben dargestellten Gründen nicht. Ob dies auf den Abweichungen im zugrunde gelegten Sachverhalt beruht, kann dahinstehen.“

Sehr subtil übrigens, wie der BGH dem OLG dann auch gleich noch einen „mitgibt“: „Dass das Oberlandesgericht eine frühere Beschwerdeentscheidung für diesen Sachverhalt – ungeachtet § 305 StPO – getroffen hat, …“

Fassungslos! Aufbewahrung von Erbrochenem für den Sachverständigen?

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ich habe lange nicht mehr geschrieben, dass ich „fassungslos“ bin über einen Gerichtsbeschluss. Jetzt ist es aber mal wieder so weit, obwohl: Ich hätte auch schreiben können: Es ist „zum Kotzen“, wie manche Gerichte mit Angeklagten umgehen – und das böse „Wortspiel“ hätte sogar gepasst.

Auslöser für meinen Zorn ist ein Beschluss der 10. großen Strafkammer des LG Augsburg (auch das noch). Dort wird seit dem 17.09.2012 gegen einen Angeklagten die Hauptverhandlung wegen Steuerhinterziehung u.a. durchgeführt. Gegen den Angeklagten besteht ein Haftbefehl, der aber außer Vollzug gesetzt ist.  Am 22.07.2013 beantragen die Verteidiger wurde Vorlage eines Attestes, das dem Angeklagten eine akute Gastroenteritis bescheinigte; es wird die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins vom 22.07.2013 beantragt. Diesem Antrag kommt die 10. Strafkammer des LG Augsburg nach. Am 24.07.2013 befragte der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. S. den Angeklagten telefonisch nach seinem Gesundheitszustand und teilte dem Gericht anschließend mit, dass er den Angeklagten nicht für verhandlungsfähig halte. Daraufhin beauftragte die Vorsitzende der 10. Strafkammer am 24.07.2013 den Sachverständigen Dr. S., den Angeklagten persönlich zu untersuchen und dem Angeklagten auszurichten, dass er das aufgrund seiner Erkrankung an diesem Tag Erbrochenes in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen Dr. S. zur Untersuchung desselben zu übergeben habe. Gleichzeitig wurde der Hauptverhandlungstermin vom 24.07.2013 abgesetzt und weitere Verhandlungstermine auf den 05.08., 12.08., 10.09., 13.09., 17.09. und 20.09.2013 anberaumt.  Der Angeklagte wurde am Abend des 24.07.2013 von dem Sachverständigen Dr. S. untersucht. Das in einem verschlossenen Gefäß aufbewahrte Erbrochene des Angeklagten untersuchte der Sachverständige nicht.

Der Angeklagte legt Beschwerde gegen die Terminsverfügung vom 24.07.2013 ein und beantragte zudem die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung der Vorsitzenden vom 24.07.2013, wonach er das von ihm Erbrochene in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen ggf. für eine Untersuchung zur Verfügung zu stellen habe.

Die Strafkammer hilft wegen der Terminsverfügung ab, legt aber im Übrigen dem OLG München vor. Und da holt sie sich dann – zutreffend – „eine Packung ab“. Denn das OLG sieht im OLG München, Beschl. v. 10.09.2013 – 3 Ws 661 und 662/13 – die Anordnung der Vorsitzenden als rechtswidrig an und findet harsche Worte, um das zu begründen:

„Der Beschwerdeführer wurde jedenfalls in seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs. 1 GG) tiefgreifend beeinträchtigt. Dabei ist zu sehen, dass er sich als Angeklagter, gegen den ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl besteht, dieser Maßnahme nicht entziehen konnte, vielmehr die Vorführung zum nächsten Verhandlungstermin befürchten musste. Durch die getroffene Maßnahme wurde der Angeklagte entwürdigt und erniedrigt, es war einer der intimsten Bereiche des Angeklagten betroffen. Die Anordnung war getroffen worden, um die mit Attest vom 22.07.2013 bescheinigte akute Gastroenteritis des Angeklagten zu objektivieren. Eine Untersuchung des Erbrochenen war hierfür nicht zweckdienlich und fand dementsprechend im Rahmen der körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen auch nicht statt. Auch wenn es sich vorliegend weder um eine prozessual überholte Verhaftung noch um eine Durchsuchungsanordnung, zu denen die überwiegende Anzahl der entsprechenden Gerichtsentscheidungen ergangen ist, handelt, sind gleichwohl die genannten Grundrechte des Angeklagten tiefgreifend berührt, zumal die Anforderungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs auch nicht überspannt werden dürfen (BVerfG Beschluss vom 28.02.2013 2 BvR 612/12).

 Die am 24.07.2013 getroffene Maßnahme war nicht erforderlich und grob unverhältnismäßig. Die Erkrankung des Angeklagten begann am 20.07.2013, die angegriffene Anordnung wurde bereits am. 24.07.2013 getroffen, also am 5. Tag der Erkrankung des Angeklagten. Ausweislich der Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S. vom 29.07.2013 tritt bei derartigen Erkrankungen regelmäßig innerhalb von wenigen Tagen eine wesentliche Besserung ein. Hier war jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte 79 Jahre alt ist und bereits erhebliche gesundheitliche Vorbelastungen hat. Insofern hätte die Erwägung nahe gelegen, dass eine derartige Erkrankung bei dem Angeklagten auch in Anbetracht der Wetterverhältnisse zum fraglichen Zeitpunkt (schwül und heiß) etwas länger andauern, kann als die üblichen wenigen Tage. Es konnte also noch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Angeklagte dem Verfahren durch Krankheit entziehen will, und deshalb schon am 5. Tag seiner Erkrankung ein Mindestmaß an Sicherheit hinsichtlich dieser Erkrankung gewonnen werden musste. Ob die Sachlage anders zu beurteilen wäre, wenn sich der Angeklagte mehrere Wochen auf eine solche Erkrankung berufen hätte, war vom Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls war die am 24.07.2013 getroffene Anordnung vom Ermessensspielraum der Vorsitzenden bei der Verfahrensleitung nicht mehr gedeckt, weil sie weder damals schon veranlasst noch auch nur annähernd verhältnismäßig war.

Dem ist wenig hinzuzufügen, außer der Frage: Was denkt man sich als Vorsitzende eigentlich, wenn man eine solche Anordnung trifft? Oder denkt man gar nicht? Sieht man nicht, dass man einen 79-Jährigen Angeklagten vor sich hat, der – unabhängig vom gegen ihn erhobenen Vorwurf – Rechte und auch als Angeklagter seine Menschenwürde behält. Sorry, man fasst es nicht, zumindest ich nicht. Daher: Fassungslos.