Den Wochenauftakt – ich verbringe ihn auf dem Weg von den Malediven nach Malysia 🙂 – macht dann heute der BGH, Beschl. v. 12.09.2017 – 4 StR 233/17, in dem der BGH zu einer in der Praxis sicherlich häufiger auftretenden Zustellungsproblematik Stellung genommen hat. Nein, kein Vollmachtsproblem, sondern „mehrfache Verteidigung und Fristbeginn“, und zwar:
„Die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Dr. P. vom 12. April 2017, in welcher erstmals ein Verfahrensverstoß geltend gemacht wurde, ist verspätet.
Bei mehrfacher Verteidigung genügt grundsätzlich die förmliche Zustellung des Urteils an einen der Verteidiger; hierdurch beginnt für alle Verteidiger die Revisionsbegründungsfrist (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2001 – 2 BvR 2058/00, NJW 2001, 2532, und vom 12. Juni 2014 – 2 BvR 1004/13 [juris Rn. 7]; BGH, Beschlüsse vom 12. September 2012 – 2 StR 288/12; vom 17. September 2008 – 1 StR 436/08 und vom 12. August 1997 – 4 StR 329/97, NStZ-RR 1997, 364, jeweils mwN). Wird das Urteil mehreren Empfangsberechtigten (förmlich) zugestellt, beginnt die Revisionsbegründungsfrist zwar grundsätzlich nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem eine wirksame Zustellung an den letzten Zustellungsempfänger vollzogen wurde (BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 [juris Rn. 23] mwN). Ist aber die Revisionsbegründungsfrist aufgrund der ersten Zustellung(en) bei einer der weiteren Zustellungen bereits abgelaufen, wird durch diese keine neue Frist in Gang gesetzt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2015 – 4 StR 21/15, NStZ 2015, 540 und vom 27. Juli 2012 – 1 StR 238/12, wistra 2012, 435, 436, jeweils mwN).
So lag der Fall hier. Das angefochtene Urteil wurde der damaligen Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin K. , am 16. Juni 2016 zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist lief mithin am 18. Juli 2016 (der 16. Juli 2016 war ein Samstag) ab. Durch die vom Vorsitzenden am 14. März 2017 verfügte erneute Zustellung des Urteils an Rechtsanwalt Dr. P. konnte trotz des Zusatzes „Die Zustellung erfolgt zur Ingangsetzung der Revisionsbegründungsfrist“ die Revisionsbegründungsfrist nicht erneut in Gang gesetzt werden.
3. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen zur Anbringung der in der Revisionsbegründung vom 12. April 2017 erhobenen Verfahrensrüge der verspäteten Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO) kommt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht in Betracht. Die Revision des Angeklagten ist mit der allgemeinen Sachrüge form- und fristgerecht begründet worden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46). Nur bei besonderen Verfahrenslagen, in denen es zur Wahrung des An-spruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, kommen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2012 – 1 StR 301/12, NStZ-RR 2012, 316; vom 10. Juli 2008 – 3 StR 239/08, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 14; vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8, jeweils mwN). Eine solche Ausnahmekonstellation liegt hier nicht vor. Aus den Akten ist nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte auf eine (weitere) rechtzeitige Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt Dr. P. vertraut hat. Der seinerzeit als Wahlverteidiger neben der Pflichtverteidigerin tätige Rechtsanwalt Dr. P. konnte nicht davon ausgehen, dass ihm das Urteil zwecks Ingangset- zung der Revisionsbegründung zugestellt (werden) würde, zumal ihm die mit einem entsprechenden Vermerk vom Vorsitzenden angeordnete erste Urteils-zustellung nach seinen Angaben nicht zugegangen ist. Jedenfalls aber hatte Rechtsanwalt Dr. P. am 29. August 2016 Akteneinsicht und konnte erken- nen, dass die Urteilszustellung an die Pflichtverteidigerin erfolgt und die Revisi-onsbegründungsfrist daher abgelaufen war. Aus den Akten ist mithin nicht zu entnehmen, dass die erst am 13. April 2017 bei Gericht eingegangene Revisi-onsbegründung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nachgeholt worden ist.