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Der Beinahetreffer (demnächst) beim BVerfG

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M.E. ist es immer interessant zu wissen/zu erfahren, ob und wie sich Verfahren weiterentwickeln, ob sie also z.B. nach einer Verwerfungsentscheidung des BGH rechtskräftig abgeschlossen sind oder ob es ggf. doch noch an anderer Stelle ein Nachspiel gibt. Und da bietet sich nicht selten die Frage der Verfassungs- oder sogar der Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR an. Es gibt Strafverfahren, die sind für solche „Nachverfahren“ geradezu prädestiniert. Dazu gehört dann sicherlich auch das Verfahren BGH  mit dem BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 3 StR 117/12 (vgl. dazu auch Massengentest – was darf man mit den Ergebnissen anstellen? Dazu jetzt der BGH).

Ich erinnere: In dem Verfahren ging es um die Zulässigkeit der Verwendung von so „Beinahetreffern“ bei Massengentests. Im Verfahren wurde dem Angeklagten Vergewaltigung vorgeworfen. Bei der Geschädigten war DNA-Material sichergestellt worden, dessen Untersuchung zwar einen bestimmten Spurenverursacher, aber keine Hinweise auf einen polizeilich bekannten Täter ergab. Nachdem weitere Ermittlungen eine örtliche Verwurzelung des Täters nahegelegt hatten, ordnete der Ermittlungsrichter einen Reihengentest an, bei dem im Landkreis von 2.406 Männern Speichelproben genommen wurden. An diesem nahmen auch der Vater des Angeklagten und zwei seiner Onkel teil; er selbst war davon aufgrund seines geringen Alters nicht betroffen. Im Rahmen der Analyse wurde bei zwei anonymisierten Proben aufgrund des Vorkommens eines sehr seltenen Allels eine hohe Übereinstimmung zwischen diesen und der des mutmaßlichen Täters festgestellt. Der Sachverständige teilte diesen Befund dem ermittelnden Polizeibeamten mit und wies darauf hin, dass diese beiden Probengeber zwar nicht als Täter in Betracht kämen, aber Verwandte des Spurenlegers sein könnten. Die beiden Proben wurden daraufhin von der Polizei entanonymisiert und es wurde festgestellt, dass sie von untereinander Verwandten – dem Vater des Angeklagten und seinem Onkel – stammten. Ein alsdann durchgeführter Melderegisterabgleich erbrachte das Ergebnis, dass einer der Probengeber einen Sohn – den Angeklagten – hat, der aufgrund seines jugendlichen Alters nicht in das Raster für den Reihengentest gefallen war, der aber gleichwohl die Tat begangen haben könnte. Daraufhin erließ der Ermittlungsrichter einen Beschluss auf Entnahme von Körperzellen bei dem Angeklagten und deren Untersuchung zur Bestimmung des DNA-Identifizierungsmusters. Diese Untersuchung ergab eine Übereinstimmung mit der Tatspur und führte schließlich zur Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren.

Der BGH hat die Revision gegen das Urteil des LG Osnabrück verworfen und ausgeführt: Die Vorschrift über die molekulargenetische Reihenuntersuchung (§ 81h StPO) ermächtige die Ermittler nicht zu einem Verwandtschaftsabgleich bei sog. „Beinahetreffern“. Die Vorschrift des § 81h StPO erlaube den Abgleich von DNA-Proben ihrem Wortlaut nach nur, soweit er erforderlich ist, um festzustellen, ob die Spuren am Tatort von einem der Teilnehmer der Reihenuntersuchung stammen. Das Vorgehen der Ermittlungsbeamten sei also rechtswidrig. Ein Beweisverwertungsverbot hat der BGH dann aber verneint. Der Gesetzgeber habe Regelungen für den Umgang mit solchen sog. Beinahetreffern nicht getroffen . Die Rechtslage sei für die Ermittlungsbehörden im Zeitpunkt der weiteren Verwendung ungeklärt gewesen. Angesichts dieser Umstände sei die Annahme der Ermittlungsbeamten nicht völlig unvertretbar gewesen, dass die Erkenntnis der möglichen Verwandtschaft zwischen dem mutmaßlichen Täter und dem Vater und dem Onkel des Angeklagten als Ermittlungsansatz verwertet werden konnte. Jedenfalls stelle sich diese Annahme nicht als eine bewusste oder gar willkürliche Umgehung des Gesetzes oder grundrechtlich geschützter Positionen des – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannten – Angeklagten oder seiner Verwandten dar.

Ob dieses Auffassung richtig ist (der damalige niedersächsische Justizminister hat sie natürlich als richtig angesehen und die Entscheidung begrüßt; vgl. hier). wird nun demnächst das BVerfG prüfen. Denn der Angeklagte hat, wie u.a. LTO meldet Verfassungsbeschwerde eingelegt (vgl. hier):

„Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aus unserer Sicht gegen das Rechtsstaatsgebot verstoßen“, sagte Anwalt Rüther. Wenn der BGH festgestellt habe, dass das Vorgehen der Ermittler rechtswidrig war, müsse diese Einschätzung auch für den Fall seines Mandanten gelten.

Massengentest – was darf man mit den Ergebnissen anstellen? Dazu jetzt der BGH

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Über die Ticker läuft gerade die PM 216/12 des BGH zum BGH, Urt. v. 20.12.2012 – 3 StR 117/12. In dem Verfahren ging es um die Frage eines Bewesiverwertungsverbotes nach rechtswidrigem Umgang mit Daten aus einem Massengentest. Der BGH hat – so die PM – bezogen auf die Umstände des Einzelfalls eine Beweisverwertungsverbot verneint. In der PM heißt es:

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Verurteilung eines Jugendlichen wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren durch das Landgericht Osnabrück bestätigt.

Das Landgericht hatte sich von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich deshalb überzeugt, weil beim Tatopfer Zellmaterial gesichert werden konnte, das mit dem DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten übereinstimmt. Zur Ermittlung des Angeklagten als mutmaßlichem Täter hatten die Ergebnisse einer molekulargenetischen Reihenuntersuchung (§ 81h StPO) geführt, an der ca. 2.400 Männer teilgenommen hatten – unter ihnen der Vater und ein Onkel des Angeklagten. Deren DNA-Identifizierungsmuster stimmten zwar mit dem der Tatspuren nicht vollständig überein, wiesen aber eine so hohe Übereinstimmung auf, dass sie auf eine Verwandtschaft mit dem Täter schließen ließen.

Der Angeklagte hat im Revisionsverfahren neben anderen Beanstandungen mit einer Verfahrensrüge insbesondere geltend gemacht, die bei der molekulargenetischen Reihenuntersuchung festgestellten DNA-Identifizierungsmuster hätten nicht auf verwandtschaftliche Ähnlichkeiten abgeglichen und im weiteren Verfahren nicht gegen ihn verwertet werden dürfen.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat zunächst die von der Revision behaupteten Verfahrensfehler bei der Durchführung der DNA-Reihenuntersuchung verneint. Jedoch hätte die bei der Auswertung der Proben festgestellte mögliche verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Onkel des Angeklagten mit dem mutmaßlichen Täter nicht als verdachtsbegründend gegen den Angeklagten verwendet werden dürfen. Denn § 81h Abs. 1 StPO erlaubt den Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern nur, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von einem der Teilnehmer der Reihenuntersuchung stammt. Gleichwohl hat der Senat entschieden, dass die Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten mit demjenigen der Tatspur vom Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung verwertet werden durfte. Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann. Der Verfahrensverstoß wiegt daher nicht so schwer, dass demgegenüber die Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung hier zurücktreten müssten.“

Ohne den Urteilsgründen vorgreifen zu wollen: Offenbar die übliche Argumentation des BGH.

Natürlich wird das Urteil vorab schon mal gefeiert. Wer könnte es anders sein als der Niedersächsische Justizminister. In seiner PM heißt es dazu:

Busemann begrüßt BGH-Urteil zum Vergewaltigungsfall in Dörpen

 HANNOVER. Der Niedersächsische Justizminister Bernd Busemann begrüßt die heute (20.12.2012) vom Bundesgerichtshof (BGH) getroffene Entscheidung zum Vergewaltigungsfall in Dörpen vom 17. Juli 2010. Damit sei klar, dass der Angeklagte seinerzeit überführt und zu Recht vom Landgericht Osnabrück verurteilt worden war. Die Entscheidung des BGH sei auch eine gute Entscheidung im Sinne des Rechtsgefühls der Bevölkerung.

Busemann im Weiteren: „Es ist im Übrigen eine über den Einzelfall hinausgehende richtungsweisende Entscheidung im Zusammenhang mit dem Massengentest, die feststellt, dass aus verwandtschaftlichen Beziehungen gewonnene Proben nicht verdachtsbegründend verwendet werden dürfen. Hier hat der BGH erstmals die Rechtslage geklärt. Zufallsfunde aus Massengentests, die mittelbar zur Überführung des Täters führen, sind demnach grundsätzlich nicht verwertbar, wenn dadurch das Zeugnisverweigerungsrecht von engen Angehörigen umgangen würde.“

In dem hier erstmals konkret zu entscheidenden Fall sei jedoch lt. BGH eine Gesamtabwägung vorzunehmen gewesen. Diese führe hier zu keinem Beweisverwertungsverbot, weil die Rechtslage hinsichtlich sogenannter „Beinahetreffer“ bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher gänzlich ungeklärt gewesen sei und die Ermittlungsbehörden daher das Gesetz nicht willkürlich missachtet hätten. Der Verfahrensverstoß sei nicht so schwerwiegend, dass er hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurücktrete.

„Dies bedeutet, dass die niedersächsischen Ermittler keinen willkürlichen Gesetzesverstoß begangen haben und im Osnabrücker Gerichtsverfahren auch kein Beweisverwertungsverbot gegeben war“, so Busemann abschließend.“

Nun, wenn man es die PM des BGH so liest. Ich würde sagen: Glück gehabt, noch mal mit einem „blauen Auge“ an der Aufhebung vorbei geschrammt.