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Anklageentscheidungen haben Konjunktur…

Im Moment scheinen vor allem die mit der Anklage zusammenhängenden Fragen die obergerichtliche Rechtsprechung zu beschäftigen, sei es, dass es um den Umfang der Verlesung der Anklage in der Hauptverhandlung geht (vgl. dazu z.B. hier der „Verlesungsbeschluss“ des BGH (vgl. auch noch hier), sei es, dass inhaltliche Frage eine Rolle spielen (vgl. z.B. hier das OLG Oldenburg). Der BGH hat sich in dem Kontext jetzt auch noch einmal mit der Frage befasst.

Der BGH, Beschl. v. 09.08.2011 – 1 StR 194/11 befasst sich mit dem „Umfang der Anklage“ in einem Verfahren, in dem es um die Frage ging, ob „nur“ Körperverletzungsvorsatz hinsichtlich einer Geschädigten oder auch Tötungsvorsatz hinsichtlich einer weiteren Person vorgelegen hat. Das Schwurgericht hatte letzteres unter Hinweis darauf, dass das Geschehen nicht Gegenstand der Anklage sei, abgelehnt. Anders sieht das der BGH:

a) Die Anklageschrift hat gemäß § 200 Abs. 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Die begangene konkrete Tat muss vielmehr durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Erfüllt die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion nicht, so ist sie unwirksam (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05 und vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09 mwN). Bei der Überprüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung herangezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 1 StR 596/07 und KK-Schneider, 6. Aufl., § 200 Rn. 30 jew. mwN).

b) An diesen Maßstäben gemessen wird die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11. August 2010 ihrer Umgrenzungsfunktion auch in Bezug auf das Tatgeschehen betreffend R. hinreichend gerecht.

Zwar wird der Angeklagten im abstrakten Anklagesatz lediglich ein Fall des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (zum Nachteil des H. ) zur Last gelegt. Im konkreten Anklagesatz teilt die Staatsanwaltschaft jedoch nicht nur den Angriff auf den Geschädigten mit, sondern auch, dass die mit dem Messer bewaffnete Angeklagte am Tattag auf dem Weg zu dessen Lebensgefährtin gewesen sei. Dies wird im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen weiter dahingehend konkretisiert, dass die Angeklagte im Ermittlungsverfahren zugegeben habe, dass sie nicht auf H. , sondern auf R. habe „losgehen wollen“. Die Staatsanwaltschaft geht im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zudem davon aus, dass die Angeklagte die Absicht gehabt habe, ihre ehemalige Freundin aus Hass zu töten. Gestützt wird diese Annahme auf eine umfassende Beweiswürdigung zur Tatvorgeschichte, insbesondere auf die Bemühungen der Angeklagten, sich eine Schusswaffe zu besorgen, um „die (gemeint ist R. ) abzuknallen“, sowie auf den Telefonanruf der Angeklagten bei ihrer ehemaligen Freundin mit den Worten „Du bist tot“.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist damit in der Anklage nicht nur die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt, sondern auch erkennbar, welche Tat gemeint ist und über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Aus den Schilderungen zur Motivation der Angeklagten wird deutlich, dass zu dem von der Anklage umrissenen Tatgeschehen nicht nur der Angriff der Angeklagten auf den Geschädigten gehört, sondern auch das Fehlverhalten der Angeklagten in Bezug auf R. , da diese am Tattag das eigentliche Ziel der Angeklagten gewesen ist und es letztlich nur deshalb nicht zu einem gegen diese gerichteten An-griff gekommen ist, weil zufällig der Geschädigte der Angeklagten die Tür geöffnet und sich ihr anschließend in den Weg gestellt hat. Die einzelnen Handlungen gehen hier nicht nur äußerlich ineinander über, sondern sind auch innerlich unmittelbar miteinander verknüpft. Der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung kann nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden. Ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren würde – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist – einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211 mwN).“