Schon etwas länger wartet in meinem Blogordner der BVerfG, Beschl. v. 16.01.2017 – 1 BvR 1593/16 – auf die „Veröffentlichung“. Heute eröffne ich damit dann. Es handelt sich noch einmal um einen Entscheidung, die zur Frage der Kollektivbeleidigung durch die Buchstabenkombination A.C.A.B. Stellung nimmt.
Der ehemalige Angeklagten war in Bayern wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt worden. Er hatte über einen Versandhandelt einen Aufnäher mit den Buchstaben A.C.A.B. sowie zwei Aufnäher mit den Zahlen 13 und 12 bestellt. Die befestigte er auf einer Weste links vorne auf der Brustseite; den Aufnäher A.C.A.B. mittig, die beiden Zahlenaufnäher darunter. Im März 2015 besuchte er mit dieser Weste ein Fußballspiel der zweiten Bundesliga. Als einer der dort auch kontrollierenden Polizeibeamten den Aufnäher A.C.A.B. sah, veranlasste er die Kontrolle und Durchsuchung des ehemaligen durch eine Kollegin und zwei Kollegen. Alle nahmen den Aufnäher ebenfalls wahr. Das AG hat den den Angeklagten wegen Beleidigung verurteilt, das LG seine Berufung verworfen und das OLG München die Revision. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:
Das BVerfG nimmt einen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung an. Meinungsäußerungen genießen aber den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werde:
c) Der in der Verurteilung liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit ist nicht gerechtfertigt, weil die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung nicht gewahrt sind. ……
Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe haben die Gerichte durch die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils verkannt. Sie kommen in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise zu dem Ergebnis, dass sich die hier in Rede stehende Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht. Hierfür reicht es nicht, dass die im Stadion eingesetzten Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierten Zuordnung. Worin diese liegen soll, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Für eine Konkretisierung ist nicht erforderlich, dass die eingesetzten Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen dem Beschwerdeführer namentlich bekannt sind. Es genügt aber nicht, dass der Beschwerdeführer das Fußballspiel in dem Bewusstsein, dass Einsatzkräfte der Polizei anwesend sein würden, besuchte. Es fehlen Feststellungen dazu, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte der Polizei begeben hat, um diese mit seiner Parole zu konfrontieren. Der bloße Aufenthalt im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei präsent ist, genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine erkennbare Konkretisierung der Äußerung auf bestimmte Personen nicht. Es ist hieraus nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtet.“
Fazit: Für eine Kollektivbeleidigung ist der Bezug zu „hinreichend überschaubaren und abgegrenzte Personengruppen“ erforderlich, der „eine personalisierte Zuordnung“ aufweist.