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Terminsverlegung? Nein, der Betroffene kann sich ja auch selbst verteidigen

Man ist zumindest ich bin dann ja doch immer wieder erstaunt, wie häufig mit Terminsverlegungsanträgen im OWi-Verfahren umgegangen wird. Ein „Paradebeispiel ist da m.E. die dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.01.2012 – Ss (OWiZ) 206/11  – zugrunde liegende Fallgestaltung. Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:

Der Landkreis Helmstedt erließ gegen den Betroffenen am 18. Juli 2011 einen Bußgeldbescheid. Auf dessen Einspruch bestimmte das Gericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 20. Oktober 2011. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2011 beantragte der Betroffene, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Außerdem suchte er um die Verlegung des Verhandlungstermins nach, weil sein Verteidiger wegen einer Fortbildungsveranstaltung verhindert sei.

Das Gericht befreite den Betroffenen mit Verfügung vom 19. Oktober vom persönli¬chen Erscheinen, lehnte jedoch die begehrte Terminsverlegung ab und teilte dies dem Verteidiger des Betroffenen um 9.27 Uhr per Fax mit. Daraufhin legte der Betroffene gegen die Ablehnung der Terminsverlegung am 19. Oktober um 18.05 Uhr Beschwerde ein und lehnte den zuständigen Richter zugleich wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Wegen der Einzelheiten des Schriftsatzes, der im Zulassungsantrag wörtlich wiedergegebene wird, wird auf BI. 67 – 70 d. A. verwiesen.

Das Amtsgericht Helmstedt führte dennoch am 20. Oktober in Abwesenheit des Betroffenen und seines verhinderten Verteidigers die Hauptverhandlung durch. Während der Hauptverhandlung verkündete das Gericht einen Beschluss, in dem die Unzulässigkeit der Beschwerde und des Befangenheitsgesuchs festgestellt wird. Das Befangenheitsgesuch verfolge „erkennbar das Ziel, die verweigerte Terminsverlegung noch auf diesem Wege zu erreichen“. Eine weitere Begründung enthält der Beschluss nicht.

Dazu dann das OLG in der Begründung der Aufhebung der Verwerfungsentscheidung:

„…….

1. Der Zulassungsantrag zeigt auf, dass das Verlegungsgesuch durch die Verfügung vom 19. Oktober 2011 nicht mit einer ermessenfehlerfreien Begründung abgelehnt wurde.

In einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch ei¬nen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Diese Gewährleistung ist Ausdruck seines von Art 2 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (OLG Köln, Beschluss vom 22.10.2004, 8 Ss-OWi 48/04, juris, Rn. 19, 21; OLG Thüringen, Beschluss vom 13.08.2007, 1 Ss 145/07, juris, Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2006, 1 Ss 165/05, juris, Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 31.10.2001, 1 ObOWi 433/01, ……. Der Vorsitzende ist deshalb unter anderem gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter. Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (OLG Thüringen, a. a. 0.; OLG Karlsruhe, a. a. 0.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 31.08.2010, 2 SsRs 170/10, ……; OLG Bamberg, Beschluss vom 04.03.2011, 2 Ss (OWi) 209/11, ….). Die Entscheidung leidet hier an einem Ermessensfehler, weil sich das Amts¬gericht bei Ablehnung der Terminsverlegung – neben einzelfallbezogenen Umstän¬den (geringes Gewicht, einfacher Sachverhalt) – jedenfalls auch auf die Vielzahl der dort sonst jährlich anhängigen Bußgeldverfahren gestützt hat: Dieser Umstand durfte bei der Ermessensentscheidung keine Berücksichtigung finden, weil die Geschäfts¬lage des erkennenden Gerichts – mag sie auch noch so besorgniserregend sein – eine etwaige Abweichung vom Grundsatz des fairen Verfahrens schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen vermag (OLG Braunschweig, Be¬schluss vom 04.05.2004, 1 Ss 5/04, juris, Rn. 10 [Strafverfahren], OLG Braunschweig, Beschluss vom 17.03.2008, Ss 33/08, ……..; OLG Braunschweig, Ss (OWiZ) 140/11; OLG Hamm, Beschluss vom 26.04.2007, 4 Ss (OWi) 303/07, ……). Dass der – dem Betroffenen nicht anzulastenden – allgemeinen Geschäftslage des Gerichts bei der Entscheidung maßgebliche Bedeutung zukam, zeigt sich insbesondere daran, dass Terminsverlegungen nach der Auffassung des Amts¬gerichts „nur in ganz engen Ausnahmefällen“ möglich sein sollen, weil „außerordentlich viele Bußgeldsachen … verhandelt werden müssen“.

Ein weiterer Verfahrensfehler liegt darin, dass das Gericht den Betroffenen am 19. Oktober darauf verwies, sich entweder von einem anderen Mitglied der Kanzlei oder von einem anderen Anwalt verteidigen zu lassen, hilfsweise die Verteidigung selbst zu übernehmen, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob dies dem Betroffenen angesichts des enormen Zeitdrucks – die Hauptverhandlung war bereits für den nächsten Tag terminiert – noch zuzumuten ist (vgl. hierzu: OLG Koblenz, Beschluss vom 27.07.2009, 1 Ss 102/09, juris,_Rn. 27). Das Gericht hätte-bei der Ermessensentscheidung dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass es dem Betroffenen erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird, so kurzfristig einen anderen Anwalt zu be-auftragen oder gar selbst eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln.

Dass eine Terminsverlegung bei der Verhinderung eines Verteidigers in einfach gelagerten Fällen mit einer rein individuellen Begründung ggf. abgelehnt werden kann (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschluss vom 03.08.1999, 2 Ss OWi 590/99, …..; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2006, 1 Ss 165/05, …….; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.09.2009, 2 SsRs 54/09, …….) ändert, weil abstrakt auf die Geschäftslage des Gerichts abgestellt wurde, am Ermessensfehler nichts. Und es ist für die Frage, ob ein Verfahrensfehler in der unterlassenen Berücksichtigung des Ablehnungszeitpunktes liegt, ebenfalls ohne Bedeutung, dass der Verteidiger die späte Entscheidung evt. schuldhaft dadurch verursacht haben könnte, dass er die Verfahrensakten dem Gericht – wie dem Zulassungsantrag zu entnehmen ist – erst am 18. August 2011 übermittelt hat. Denn dieses Verhalten ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen.

Eine m.E. deutliche Abfuhr für das AG und eine deutlich Stärkung des Anspruchs auf die Verteidigung durch den Anwalt des Vertrauens auch im Bußgeldverfahren.