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Kommt im Strafverfahren die Divergenzvorlage zum BGH?

Die unterschiedlichen Auffassungen der OLG zur Frage der Auswirkungen des Urteils des EGMR vom 17.12.2009, über die wir ja auch schon berichtet haben, machen m.E. deutlich, dass eins in der StPO fehlt: die sog. Divergenzvorlage an den BGH, die in solchen Fragen dann Rechtssicherheit bringen könnte bzw. zumindest eine einheitliche Behandlung solcher Fragen.

Das scheint auch der Politik aufgegangen zu sein. Ich zitiere dazu aus einer PM des Justizministeriums des Landes Rheinland-Pfalz v. 09.07.2010

Bamberger zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Divergenzvorlage

Der rheinland-pfälzische Justizminister Heinz Georg Bamberger wies heute im Bundesrat auf die Wichtigkeit einer Ausweitung der sogenannten Divergenzvorlage nach § 121 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) hin. „In Folge der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach der rückwirkende Wegfall der 10-Jahres-Höchstfrist bei der deutschen Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechtskonvention verstoße, hat sich eine intensive Diskussion über die Konsequenzen dieser Entscheidung ergeben, deren Ergebnis noch nicht abzusehen ist“, so Bamberger.

Die Gerichte hätten nun zu entscheiden, ob vor dem Hintergrund des Urteils des EGMR gefährliche Straftäter, die sich in der Sicherungsverwahrung befinden, freizulassen seien. Gegen die Entscheidungen der erstinstanzlich zuständigen Strafvollstreckungskammern gebe es bisher – mit Ausnahme der Verfassungsbeschwerde – lediglich das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu den Oberlandesgerichten. Diese Entscheidung sei abschließend und könne – nach der derzeit geltenden Rechtlage – nicht mehr beim Bundesgerichtshof angefochten werden.

Widersprechende Entscheidungen der Oberlandesgerichte seien also möglich und auch bereits ergangen. Während das Oberlandesgericht Frankfurt/Main in dem Ausgangsverfahren die Freilassung des Sicherungsverwahrten angeordnet habe, hätten die Oberlandesgerichte in drei anderen Ländern eine Freilassung in parallelen Fällen abgelehnt. Um in dieser wichtigen Frage zu einer bundeseinheitlichen Rechtsprechung zu gelangen, sei die Ausweitung der sogenannten Divergenzvorlage durch Änderung des § 121 Abs. 2 GVG erforderlich.

Bamberger: „Auch wenn sich die Bundesregierung nicht mit den Koalitionsfraktionen von CDU / CSU und FDP einigen kann, wie eine Reform der Sicherungsverwahrung in Deutschland auszusehen hat, so muss doch zumindest bundesweit für Rechtssicherheit gesorgt werden“.

Hintergrund:

Mit der Divergenzvorlage können Gerichte die Entscheidung eines obersten Bundesgerichts herbeiführen, wenn sie in einer ihrer Entscheidungen von der Rechtsprechung eines anderen Obergerichts oder der des obersten Bundesgerichts abweichen möchten.“

Dem möchte ich in der Sache beitreten, die politischen Akzente in der PM aber außen vorlassen.

Bald gibt es die Verzögerungsrüge, oder: 1 Monat zu langes (Straf)Verfahren bringt ggf. 100 €…

Das BMJ hat jetzt einen Referentenentwurf an die Verbände übersandt, zum „Rechtschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“. Der sieht in § 198 GVG n.F. eine sog. Verzögerungsrüge vor, die erhoben werden muss, wenn später wegen des zu langen Verfahrens Entschädigung verlangt werden soll. Dazu heißt es dann (demnächst?) in § 198 Abs. 3 GVG n.F.: „Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, soweit er die Dauer des Gerichtsverfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erhoben werden, sobald Anlass für die Besorgnis besteht, dass ein Abschluss des Ver-fahrens in angemessener Zeit gefährdet sein könnte, frühestens jedoch nach Beendigung eines Vorverfahrens. Sind Umstände für die Verfahrensdauer von Bedeutung, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren in einem höheren Rechtszug weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.“

 Das wird ja interessant werden: Also Verzögerungsrüge nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens und nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens? Die Gerichte werden sich freuen.

 Allerdings: In § 199 Abs. 3 GVG heißt es für das Strafverfahren:

 „(3) Hat ein Strafgericht oder die Staatsanwaltschaft die unangemessene Dauer des Verfahrens zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt, ist dies eine ausrei-chende Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 2 Satz 1; insoweit findet § 198 Absatz 4 keine Anwendung. Begehrt der Beschuldigte eines Strafverfah-rens Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer, ist das Entschädigungsge-richt hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer an eine Entscheidung des Strafgerichts gebunden.“

 Muss für diese Art der Wiedergutmachung auch die Verzögerungsrüge erhoben werden?

 Als Entschädigung für jeden Monat unangemessen langes Verfahren sind im Übrigen 100 €/Monat vorgesehen.

 Zu den kostenmäßigen Auswirkungen geht man davon aus:

 „Außerdem sind von der Neuregelung auch Einspareffekte zu erwarten. Es kann damit gerechnet werden, dass es nach Einführung der Entschädigungsregelung weniger überlange Verfah-ren geben wird als bisher. Das relativiert nicht nur die Zahl voraussichtlicher Entschädi-gungsfälle, sondern erhöht die Kosten-Nutzen-Relation der Justiz insgesamt. Aus diesem Grund ist auch davon auszugehen, dass die zusätzlich anfallenden Verfahren bei den Oberlandesgerichten und – soweit Revisionen zugelassen werden – beim Bundesge-richtshof mit den vorhandenen Personalkapazitäten bewältigt werden können.“

Das wage ich zu bezweiflen. Die Gerichte sind doch schon jetzt personell so knapp besetzt, dass die Verfahren (zu) lange dauern. Um das abzuschaffen, schafft man neue „Rechtsmittel“, die das vorhandene Personal noch zusätzlich erledigen muss. Irgendwie erschließt sich die Logik nicht.

vgl. dazu auch hier oder hier oder hier