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Urheber: Tim.Reckmann – Own work
Der Kollege Gratz hat gestern schon in seinem VerkehrsrechtsBlog über den VG Freiburg, Beschl. v. 28.7.2016 – 4 K 1916/16 – berichtet, und zwar im Hinblick auf die in der Entscheidung eine Rolle spielende „Viagra-Tablette“ mit dem schönen Titel: „Kein Fahrerlaubnisentzug: VG bleibt bei Viagra-Besitz standhaft“ :-). In der Entscheidung geht es um die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Fahrerlaubnisentziehung und die Untersagung des Führens von Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr. Die Fahrerlaubnissbehörde hatte dem Antragsteller des Verfahrens die Fahrerlaubnis entzogen und seine Nichteignung damit begründet, dass der Betroffene sich geweigert habe, sich untersuchen zu lassen bzw. ein von der Fahrerlaubnisbehörde gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beigebracht habe. Die Aufforderung zu dem Gutachten hatte die Fahrerlaubnisbehörde damit begründet, dass der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des BtMG widerrechtlich besessen habe. Dabei ging es um 0,4 g Haschisch und um den „Fund einer halben Tablette letztlich unbekannter Substanz“, von der der Betroffene behauptet hatte: Viagra.
Die 0,4 g Haschiach reichen für die Anordnung des Gutachtens nicht. Das hatte die Fahrerlaubnisbehörde selbst schon gesehen und bekommt sie jetzt vom VG bestätigt: „Denn nicht jeder nachgewiesene Besitz von Haschischprodukten darf zum Anlass genommen werden, eine ärztliche Begutachtung zu verlangen. Letzteres setzt tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass bei dem Betroffenen ein Konsum- oder Bevorratungsverhalten gegeben ist, das – anders als ein bloß gelegentlicher Cannabiskonsum – aus sich heraus andauernde Zweifel an der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs rechtfertigt (vgl. u. a. Hess VGH, Urteil vom 24.11.2010, NJW 2011, 1691; Nieders. OVG, Beschluss vom 03.06.2010 – 12 PA 41/10 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 15.05.2009 – 16 B 114/09, juris; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., FeV [3] § 14 RdNr. 17, m.w.N.). Solche Anhaltspunkte fehlen hier vor allem in Anbetracht der Rechtslage, nach der der gelegentliche Konsum von Cannabis-Produkten die Kraftfahreignung nicht ausschließt, solange der Betreffende zwischen dem Konsum und dem Fahren von Fahrzeugen trennen kann, gänzlich.“
Dann ist da aber noch der „Fund einer halben Tablette letztlich unbekannter Substanz“. Aber auch der reicht dem VG nicht. Denn: „Insoweit muss es weitestgehend feststehen, dass es sich bei dem Gegenstand, der sich im Besitz des Antragstellers befand, um ein Betäubungsmittel handelt … Denn es fehlt hier selbst an einer solchen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die halbe Tablette in der Hosentasche des Antragstellers ein Betäubungsmittel, nach Auffassung der Antragsgegnerin konkret in der Form von Ecstasy, war.“
Und dazu dann das VG:
„Der Antragsteller hat nach seinem Vortrag, dem die Antragsgegnerin insoweit nicht zu widersprechen vermag, von Anfang an behauptet, dass es sich bei der bei ihm gefundenen halben Tablette um eine halbe Viagra-Tablette gehandelt habe. Diese Behauptung ist ihm, nachdem die Polizei diese halbe Tablette, die sie zunächst beschlagnahmt hatte, offenkundig nicht mehr in ihrem Besitz hat, nicht zu widerlegen. Der Antragsteller hat die Tablette genau nach Farbe (lila) und Namen („Fildena Generika 100 mg“) bezeichnet, wie sie nach Recherchen der Kammer im Internet tatsächlich auch im Handel ist. Allein die in einem Aktenvermerk einer Mitarbeiterin der Antragsgegnerin über ein Telefongespräch mit dem zuständigen Polizeibeamten enthaltene Behauptung, ein Polizeibeamter könne aufgrund seiner Erfahrung mit bloßem Auge ohne Weiteres Ecstasy-Pillen als solche erkennen, reicht für die erforderliche Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller Ecstasy tatsächlich besessen haben soll, nicht aus (in dem betreffenden Aktenvermerk ist des Weiteren u. a. wörtlich festgehalten: „Irrtümer gebe es nur in 99 % der Fälle“). Denn ob eine solche Behauptung bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation hinreichend belastbar ist, unterliegt aus Sicht der Kammer nicht unerheblichen Zweifeln. Die Antragsgegnerin trägt in ihrer Antragserwiderung vor, Polizisten könnten anhand des optischen Erscheinungsbildes, des Geruchs oder Ähnlichem sehr wohl deutlich erkennen, ob es sich bei den aufgefundenen Materialien um Drogen oder nicht um Drogen handele. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass gerade Ecstasy-Tabletten in allen erdenklichen Farben und Formen, auch in den ihrerseits ebenso vielfältigen Farben und Formen von Viagra- bzw. Viagra-Generika-Tabletten, auf dem Markt sind und dass Ecstasy geruchslos ist (siehe u. a.: http://www.ecstasy-info.de/; http://www.drogenberatung-konstanz.de/index.php?option=com_content&view=article&id=53&Itemid=58). Insoweit ist die Situation – entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin – nicht vergleichbar mit Haschisch bzw. Marihuana, das sich wegen des Aussehens und des Geruchs recht deutlich von anderen Substanzen unterscheiden lässt. Angesichts dieser Unsicherheit ist die Behauptung des Antragstellers, bei der halben Tablette in seiner Hosentasche habe sich es um Viagra gehandelt, nicht mit dem gebotenen Grad an Wahrscheinlichkeit zu widerlegen, zumal das betreffende Asservat nach Auskunft des Landeskriminalamts inzwischen vernichtet sei.
Was ich mich frage: Wo ist die „halbe Tablette letztlich unbekannter Substanz“ und wer hat sie wie vernichtet? Da bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, über die man spekulieren könnte.Aber was bringen Spekulationen, wenn es um einen handfesten Beweis geht. 🙂