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Corona I: Fälschung von Impf- und Genesenenausweis, oder: Genug Feststellungen zur Beweiserheblichkeit?

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und dann seit längerem mal wieder etwas zu Corona, und zwar „Aufarbeitungsentscheidungen“. An der „Front“ ist es ja – zum Glück – ruhiger geworden. Aber die ein oder andere Entscheidung gibt es dann doch noch.

Ich stelle zu der Thematik dann heute zunächst den OLG Celle, Eeschl. v. 18.07.2024 – 1 ORs 18/24 – vor. Geht noch einmal um Urkundenfälschung in Zusammenhang mit Impfausweisen u..a.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Anstiftung zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten freigesprochen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Stade den Angeklagten wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG forderte der Angeklagte am 10.05.2021 seine Schwester per Chat-Nachricht dazu auf, drei Impfaufweise für sich, seinen Vater und seine Ehefrau zu bestellen, die Eintragungen über in Wahrheit nicht erfolgte Impfungen gegen Covid-19 enthielten, und überwies ihr dafür insgesamt 450 Euro. Die Schwester des Angeklagten entschloss sich deshalb, die Impfpässe bei der gesondert verfolgten S. O. zu bestellen. Diese beschaffte deshalb die Impfaufweise aus einer unbekannten Quelle.

Außerdem bat im November 2021 seine Schwester darum, ihm einen gefälschten Genesenen-Ausweis zu beschaffen. Diese übersandte ihm daraufhin am 11.11.2021 per E-Mail einen gefälschten Befund eines Labors, der dem Angeklagten einen positiven PCR-Test auf Antikörper für SARS-CoV-2 bescheinigte. Diese Dokumente hatte sie selbst auf ihrem PC erstellt und dafür als Vorlage den Befund einer dritten Person verwendet.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die Feststellungen des Landgerichts tragen weder den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1, 26 StGB noch den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 26 StGB. Es fehlt jeweils an vollständigen Feststellungen zu einer entsprechenden Haupttat, die gemäß § 26 StGB Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Anstiftung ist.

1. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erweisen sich die Urteilsfeststellungen in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Sie belegen weder das Vorliegen einer Urkunde noch ein Auseinanderfallen zwischen dem scheinbaren und dem tatsächlichen Aussteller.

a) Eine Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt war, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und den Aussteller erkennen ließ (st. Rspr.; statt aller BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – 2 StR 192/23 –, Rn. 35, juris, m. w. N.).

Ein vollständig ausgefüllter Impfausweis erfüllt diese Voraussetzungen; die vollständigen Angaben ergeben die Erklärung des im Impfausweis aufgeführten Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 –, Rn. 36, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 –, Rn. 15, juris).

Ob sich einem Impfausweis eine solche Erklärung entnehmen lässt, muss im Urteil in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall festgestellt werden. Es reicht nicht aus, den Inhalt mit reinen Rechtsbegriffen zu umschreiben; erforderlich ist vielmehr eine Beschreibung der jeweiligen Eintragungen, namentlich ob der Impfausweis für eine bestimmte Person ausgestellt wurde und ggf. für welche, ob etwa ein Aufkleber mit einer Chargen-Nummer in dem Impfausweis eingeklebt war und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte, ob ein und ggf. welcher Zeitpunkt der angeblich erfolgten Impfung eingetragen wurde, ob ein und ggf. welcher Aussteller der Impfbescheinigung ersichtlich wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 202 StRR 71/22 –, juris).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es beschränkt sich insoweit auf die Feststellungen, dass der Angeklagte „drei Impfausweise“ bei seiner Schwester bestellt habe, diese daraufhin „die gefälschten Impfpässe“ habe beschaffen wollen und die gesondert Verfolgte O. schließlich „die Impfausweise mit den gefälschten Einträgen zu in Wahrheit nicht erfolgten COVID-19 Impfungen“ beschafft habe. Den zur Konkretisierung des Urkundenbegriffs des § 267 Abs. 1 StGB erforderlichen genauen Inhalt dieser Eintragungen hat die Strafkammer hingegen nicht festgestellt.

c) Das Fehlen ausreichender Feststellungen zur Urkundenqualität entzieht auch der weiteren rechtlichen Bewertung der Strafkammer die Grundlage. Da es sowohl an Feststellungen zur Person des Haupttäters als auch zu einem etwaigen scheinbaren Aussteller fehlt, steht namentlich auch die Unechtheit einer eventuellen Urkunde in Frage; nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen ist, dass es sich zwar um unrichtige, nicht aber um unechte Impfbescheinigungen handelte.

2. Das angefochtene Urteil belegt auch nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB bei der Tat aus November 2021erfüllt sind.

Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich noch ausreichend entnehmen, dass die gesondert Verfolgte F. als Haupttäterin echte Daten verändert oder falsche Daten gespeichert hat. Denn sie hat entweder die vom Labor Dr. F. erstellte Datei durch Einfügen des Namens des Angeklagten verändert oder anhand dieser Vorlage eine eigene Datei mit dem Namen des Angeklagten erstellt, deren scheinbarer Aussteller das Labor Dr. F. war.

Die Urteilsfeststellungen belegen aber nicht, dass diese Daten auch beweiserheblich waren. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass die Daten geeignet und bestimmt sind, bei einer Verarbeitung im Rechtsverkehr als Beweisdaten für rechtlich erhebliche Tatsachen benutzt zu werden (Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 269 StGB, Rn. 11 m. w. N.). Es ist deckungsgleich mit der für den Urkundenbegriff gemäß § 267 StGB erforderlichen Beweisfunktion und ergibt sich deshalb zugleich aus der weiteren Tatbestandsvoraussetzung des § 269 Abs. 1 StGB, dass im hypothetisch gedachten Fall der Wahrnehmung der Daten eine Urkunde vorliegen muss (Zieschang a. a. O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 269 Rn. 9).

Ebenso wie für Urkunden gilt deshalb, dass einer Datei keine Beweisfunktion zukommt, wenn sie erkennbar als Kopie einer Urkunde erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Erklärungen üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden; ein entsprechendes PDF-Dokument ruft dann im Rechtsverkehr nicht den Eindruck eines Originals hervor, sondern wird lediglich als Reproduktion angesehen (OLG Celle, Urteil vom 15. Dezember 2023 – 1 ORs 2/23 –, Rn. 42, juris, m. w. N.).

Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob der Datei, die von der gesondert Verfolgten F. erstellt wurde, die erforderliche Beweisfunktion zukam, ist dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich. Denkbar ist sowohl, dass im Rechtsverkehr bereits dieser Dateiinhalt – etwa beim Vorzeigen mittels eines Mobiltelefons – als ein vom Institut Dr. F. erstellter Genesenenachweis angesehen worden wäre. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Datei selbst lediglich als – beispielsweise eingescannte – Reproduktion eines vermeintlich in Papierform vorliegenden Originals erschien und nicht die Datei selbst, sondern erst ein Ausdruck im Rechtsverkehr als eine vom Institut Dr. F. erstellte Erklärung angesehen worden wäre. Im zuletzt genannten Fall würde das Erstellen der Datei lediglich eine – straflose – Vorbereitungshandlung zu einer möglichen späteren Herstellung einer unechten Urkunde darstellen.

Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Und dann noch der BayObLG, Beschl. v. 10.07.2024 – 203 StRR 231/24. Von der Entscheidung gibt es aber nur den Leitsatz, der lautet:

Der Gebrauch einer unechten Impfbescheinigung nach dem 24. November 2021 kann eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs.1 3. Al. StGB darstellen. Dies gilt auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats. 

StGB II: Der Gebrauch einer Ausweiskopie, oder: „Allein gegen alle“?

entnommen wikimedia.org

Die zweite Entscheidudng kommt vom BGH. Es handelt sich um den BGH, v. Beschl. v. 08.05..2019 – 5 StR 146/19, einen sog. Anfragebeschluss zu einer Problematik des Gebrauchesn eines Ausweispapieres im Rechtsverkehr (§ 281 Abs. 1 Satz 1 StGB).

Es geht im Wesentlichen um folgenden Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Betruges in mehreren Fällen u.a. in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren verurteil. Es hat festgestellt, dass der Angeklagte über das Internet Luxusgüter – zumeist hochwertige Armbanduhren – zum Kauf angeboten hat, obwohl er diese weder liefern konnte noch wollte. Im Vertrauen auf seine falschen Versprechen überwiesen zahlreiche Käufer den vereinbarten Kaufpreis vorab, erhielten jedoch nicht den gekauften Gegenstand. In einem zweiten Tatkomplex schloss er mit der Telekom eine Reihe von Mobilfunk-Rahmenverträgen mit einer Laufzeit von 24 Monaten ab und spiegelte dabei wahrheitswidrig vor, die Verträge würden nach Vertragsschluss von zahlungsfähigen und -willigen Dritten übernommen. In diesem Zusammenhang legte er den Mitarbeitern der Telekom gefälschte Dokumente und Kopien von gefälschten Dokumenten vor, fälschte Unterschriften und erhielt zahlreiche hochwertige Mobiltelefone, ohne dass der Telekom ein entsprechender Gegenwert zufloss. Bei einer Durchsuchung wurden in dem vom Angeklagten genutzten Hotelzimmer diverse für seine Taten genutzte, teils gefälschte Identitätsdokumente gefunden.

Und weiter: Soweit ein jeweils tateinheitlicher Schuldspruch wegen Missbrauchs von Ausweispapieren erfolgt ist, hat die Strafkammer festgestellt, dass der Angeklagte jeweils elektronische Dateien von Personalausweisen anderer Personen übersandt hat, um über seine Identität zu täuschen, denn:

„Der Begriff des Gebrauchens ist nach Auffassung des Senats in § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB wie in § 267 Abs. 1 StGB auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht von einer Urkunde Gebrauch, wer dem zu täuschenden Gegenüber die sinnliche Wahrnehmung der Urkunde ermöglicht (vgl. nur BGH, Urteile vom 20. März 1951 – 2 StR 38/51, BGHSt 1, 117, 120 ; vom 11. Dezember 1951 – 1 StR 567/51 , BGHSt 2, 50, 52 ; vom 21. Dezember 1988 – 2 StR 613/88 , BGHSt 36, 64, 65; vgl. bereits RGSt 41, 144, 146 f.; 66, 298, 312 f.). Dies kann auch dadurch geschehen, dass der Täter dem zu Täuschenden eine Fotokopie oder ein Lichtbild einer – in dieser Weise körperlich tatsächlich vorhandenen – Urkunde zugänglich macht, denn hierdurch wird die sinnliche Wahrnehmung der abgebildeten Urkunde selbst ermöglicht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 30. November 1953 – 1 StR 318/53 , BGHSt 5, 291, 292 ; vom 11. Mai 1971 – 1 StR 387/70 , BGHSt 24, 140, 142 ; vom 23. September 2015 – 2 StR 434/14 , NJW 2016, 884, 886; Beschluss vom 2. Mai 2001 – 2 StR 149/01 , BGHR StGB § 267 Abs. 1 Gebrauchmachen 4 ; vgl. bereits RGSt 69, 228).“

Aber, wenn es so einfach wäre, wäre es schön, denn:

„2. An dieser Auslegung sieht sich der Senat jedenfalls durch die Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ( BGH, Urteil vom 4. September 1964 – 4 StR 324/64 , BGHSt 20, 17 ) gehindert.

Der 4. Strafsenat hat entschieden, dass der Begriff des Gebrauchmachens in § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB anders als in § 267 Abs. 1 StGB auszulegen sei. Wer nur die unbeglaubigte Kopie eines Ausweispapiers oder einer diesem gleichgestellten Urkunde vorlege, könne nicht wegen Ausweismissbrauchs bestraft werden. Doch sei er wegen Versuchs strafbar, wenn er bei Vorlegung der Fotokopie bereit sei, auf Verlangen auch die Urschrift vorzuweisen. § 281 StGB stelle jeweils nur den Missbrauch von Urschriften, nicht auch denjenigen von Surrogaten unter Strafe. Nur die Prüfung der Urschrift ermögliche es, die Urkunde in allen Einzelheiten und Besonderheiten vollständig wahrzunehmen und kritisch zu beurteilen, bloße Fotokopien erfüllten diesen Zweck nicht. Das Gesetz setze das Gebrauchmachen von der Urschrift voraus. Der Rechtsverkehr verdiene keinen besonderen Schutz, wenn er nicht die Vorlage der Urschrift fordere.

Das Schrifttum hat sich dieser Entscheidung, in der sich der 4. Strafsenat ausdrücklich gegen die bisherige Rechtsprechung zum Gebrauchmachen von einer Urkunde durch Vorlage einer Fotokopie im Rahmen von § 267 Abs. 1 StGB wendet, ganz überwiegend angeschlossen (vgl. LK-StGB/Zieschang, 12. Aufl., § 281 Rn. 9; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl., § 281 Rn. 5; MüKo-StGB/Erb, 3. Aufl., § 281 Rn. 8; NK-StGB/Puppe/Schumann, 5. Aufl., § 281 Rn. 7; SSW-StGB/Wittig, 4. Aufl., § 281 Rn. 6; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl., § 281 Rn. 3; Hecker GA 1997, 525, 535 f.; Preuß, JA 2013, 433, 436; a.A. wohl Fischer, 66. Aufl., § 281 Rn. 3 i.V.m. § 267 Rn. 36; BeckOK-StGB/ Weidemann, Stand 1. Mai 2019, § 281 Rn. 6 i.V.m. § 267 Rn. 29).

Und da das den 5. Strafsenat nicht überzeugt – „Allein gegen alle“? – hat er nun bei den anderen Senaten angefragt, ob sie an ihrer Rechtsauffassung festhalten, und zwar wie folgt:

„1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Auch durch Vorlage einer Kopie oder elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.

2. Der Senat fragt deshalb bei den übrigen Strafsenaten an, ob an etwa entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.2

Und wenn die das tun und der 5. Strafsenat an seiner Auffassung festhält, geht es dann zum Großen Senat für Strafsachen.