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Verkehrsunfall PkW und alkoholisierter Fußgänger, oder: Hinterbliebengeld beim Tod eines Erwachsenen

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei (zivilrechtliche) Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Ich starte mit dem OLG Celle, Urt. v. 18.12.2024 – 14 U 119/24. Es nimmt zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Fahrzeug und einem alkoholisiertem Fußgänger sowie zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes beim Tod eines erwachsenen Kindes Stellung.

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:  Die Klägerin verlangt von den Beklagten ein weiteres Hinterbliebenengeld und weitere anteilige Beerdigungskosten aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 11.07.2021. An dem Tag befand sich der Sohn der Klägerin, der Geschädigte B. B., gegen 4:33 Uhr mit einer BAK von über 2,0 Promille auf der Landesstraße außerhalb geschlossener Ortschaften zwischen zweiten Orten. Er kollidierte mit dem vom Beklagten zu 1. geführten Fahrzeug, welches bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist. Der Sohn der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Das gegen den Beklagten zu 1 geführte Strafverfahren wurde gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.200 EUR eingestellt. In diesem Strafverfahren wurde zuvor ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.

Die Klägerin verlangt ein Hinterbliebenengeld von 12.000 EUR  sowie 75% der Beerdigungskosten in Höhe von 7.226,16 EUR, mithin 5.419,62 EUR .

Die Klägerin ist der Auffassung, den Beklagten zu 1 treffe ein Verschulden an dem Unfall. Zum Unfallzeitpunkt sei es insbesondere schon so hell gewesen, dass der Beklagte zu 1 ihren Sohn hätte sehen können bzw. müssen. Der Unfallort sei zudem durch eine Laterne beschienen, die zur früheren Erkennbarkeit ihres Sohnes beigetragen habe.

Die Beklagten meinen, infolge des groben Verschuldens des Geschädigten hafteten sie nicht. Die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1 gefahrenen Fahrzeugs trete hinter dem Verschulden des Geschädigten zurück.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Klage in Höhe von 5.742,05 EUR für begründet gehalten, nachdem es u.a. Beweis erhoben hat über den Unfallhergang durch Verwertung gem. § 411a ZPO des im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Das LG hat der Klägerin von ihren geltend gemachten Ansprüchen 1/3 aufgrund des der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldens des Geschädigten zugesprochen, wobei es ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 EUR, anstatt der begehrten 12.000 EUR, angesetzt hat.

Es hat dabei dem Beklagten zu 1 den Verschuldensvorwurf gemacht, dass er in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußweges seine Geschwindigkeit nicht reduziert habe. Der Bremsvorgang bei Fußgängern, welche – wie hier – unvorhergesehen die Straße überqueren, sei daher zu lang gewesen. Hauptsächlich habe der Geschädigte den Unfall aber selbst verschuldet, weil er die Straße überquert habe, ohne auf das bevorrechtigte Fahrzeug der Beklagten zu achten.

Die Klägerin wendet sich gegen das landgerichtliche Urteil und meint, die Kammer habe es fehlerhaft unterlassen, eine lichttechnische Untersuchung einzuholen. Die Unfallstelle sei durch eine Laterne beleuchtet gewesen. Der Beklagte zu 1 hätte den Geschädigten, der zudem ein weißes Oberhemd unter seinem Jackett und weiße Turnschuhe getragen habe, früher erkennen müssen. Der Beklagte zu 1 hätte den Geschädigten lange vor der Kollision sehen und abbremsen müssen. Er hätte den Unfall verhindern können.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie berufen sich auf das Sachverständigengutachten, in dem festgestellt worden sei, dass der Sohn der Klägerin frühestens innerhalb des Lichtkegels des Abblendlichtes für den Beklagten zu 1 erkennbar gewesen sei. Das schließe eine noch frühere Erkennbarkeit aus. Damit sei es nicht gerechtfertigt, dem Beklagten zu 1 eine verspätete Abwehrreaktion anzulasten.

Das OLG hat den Sachverständigen dann in der mündlichen Verhandlung noch einmal vernommen. Es hat die Berufung dann zurückgewiesen.

Wegen der Einzelheiten der umfangreichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein, und zwar.

1. Das Überschreiten einer Fahrbahn erfordert von einem Fußgänger erhöhte Sorgfalt. Da eine Fahrbahn in erster Linie dem Fahrzeugverkehr dient, hat der Fahrzeugführer grundsätzlich Vorrang.

2. Ein Fahrzeugführer muss nicht allein in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußweges seine Geschwindigkeit reduzieren.

3. Bei der Festsetzung der Hinterbliebenenentschädigung darf nicht lediglich eine schematische Bemessung vorgenommen werden. Es ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 23. Mai 2023 – VI ZR 161/22).

4. Die Bemessung des Schmerzensgeldes in den sog. Schockschadensfällen ist dagegen nur eingeschränkt als Vergleichsgröße heranziehbar, weil der Anspruch auf Hinterbliebenengeld (im Unterschied zum Schmerzensgeld) gerade keine Rechtsgutsverletzung voraussetzt (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 73/21).

Die (Eigen)Haftung des besoffenen Fußgängers

© ExQuisine - Fotolia.com

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Ich hatte in dieser Woche ja schon ein Posting zum „besoffenen Fußgänger“, das ging es allerdings um die Frage der MPU: Der besoffene Fußgänger auf der BAB – MPU. Von der (Grund)Thematik passt dazu das OLG Hamm, Urt. v. 17.04.2015 – 9 U 34/14. Da geht es um die Haftung eines Lkw-Fahrers, mit dem der Kläger als Fußgänger auf einem Parkplatz eines Lidl-Supermarktes ein unheilvolles Zusammentreffen hatte. Der im Unfallzeitpunkt mit 2,49 Promille alkoholisierte Kläger – schon eine ganz Menge – war als Fußgänger zwischen die Achsen des Sattelaufliegers des von dem Beklagten zu 1) gesteuerten und bei der Beklagten zu 2) krafthaftpflichtversicherten Lastzuges geraten. Der Kläger erlitt schwerste Verletzungen. Um den dafür zu leistenden Schadensersatz wurde gestritten. Die Klage ist abgewiesen worden. Das LG hatte wegen Verjährung abgewiesen, das OLG weist in der Sache ab. Eine Haftung der Beklagten gegenüber dem Kläger bestehe jedenfalls deshalb nicht, weil diesen ein weitaus überwiegendes Mitverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls treffe, § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG.

Das OLG sagt: Kein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1), und zwar

  • nicht gegen § 9 Abs. 5 StVO, weil der Beklagte zu 1) nicht rückwärts gefahren ist,
  • nicht gegen § 1 Abs. 1 und 2 StVO verstoßen, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagte zu 1) auf das Auftauchen des Klägers zu spät oder unangemessen reagiert hat und durch eine ihm zumutbare Reaktion seinerseits den Unfall hätte vermeiden können,
  • nicht gegen § 3 Abs. 2a StVO, weil bereits nicht festgestellt werden kann  dass der Beklagte zu 1) während der 2 Sekunden währenden Annäherungsphase den Kläger überhaupt und dann noch als hilfsbedürftige Person i.S.d § 3 Abs. 2a StVO hätte erkennen können und müssen.

Und letztlich:

„Den Kläger trifft ein erhebliches Eigenverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls, §§ 9 StVG i.V.m. 254 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat gegen das für ihn bei der Teilnahme am Straßenverkehr auch als Fußgänger geltende und sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebende Rücksichtnahmegebot verstoßen. Der Kläger ist sehenden Auges mit nicht geringer Geschwindigkeit seitlich auf den hinteren Bereich des sich langsam vorwärts bewegenden Sattelzuges zugelaufen. Anschließend hat er sich mit beiden Händen an dem Aufbau abgestützt, was zur Folge hatte, dass er durch den vermittelten Drehimpuls zwischen die Hinterachsen des Aufliegers gestürzt ist. Das in höchstem Maße eigengefährdende und nicht verkehrsgerechte Verhalten des Klägers hat sich erwiesenermaßen als Gefahrenmoment in dem Unfall ursächlich niedergeschlagen. Das Fehlverhalten des im Unfallzeitpunkt mit 2,49 Promille alkoholisierten Klägers belegt zudem seine alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit selbst als Fußgänger. Denn es gibt keine andere Erklärung für die von den Zeugen beobachtete Verhaltensweise als eine alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit. Andere Ursachen, wie Unaufmerksamkeit oder Leichtsinn scheiden aus Sicht des Senats angesichts der Übersichtlichkeit der Örtlichkeit und des schnell zu registrierenden Fahrvorgangs aus, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger zuvor im Ladengeschäft und außerhalb des Sichtfeldes des Beklagten zu 1) auf dem Parkplatzgelände durch starkes Schwanken und einen torkelnden Gang den Zeugen D, T3 und T2 aufgefallen war.

7. Nach alledem ist bei der Haftungsabwägung auf Seiten der Beklagten nur die Betriebsgefahr des Sattelzuges zu berücksichtigen. Dass den Beklagten zu 1) ein Verschulden an dem Unfall trifft, ist – wie ausgeführt – nicht festzustellen. Demgegenüber wiegt das Verschulden des Klägers in Form des groben Verstoßes gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs. 2 StVO so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurücktritt.“