Zivilrecht meets Strafrecht, oder eben (Kein) Schadensersatz nach Notwehrirrtum, das ist das Fazit aus dem OLG Hamm, Beschl. v. 08.06.2015 – 9 U 103/14, einem sog. Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO. Zu entscheiden hatte das OLG über die Schadensersatzklage eines Klägers, dem der Beklagte, Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens, einen Faustschlag isn Gesicht versetzt hatte. Der Beklagte hatte die Filiale eines Baumarkts in Paderborn zu überwachen. In der Annahme eines Diebstahls von Baumarktmaterialien hielt der Beklagte den Kläger und einen Begleiter an einem Abend im Juni 2013 gegen 23.00 Uhr in der Nähe des Baumarkts an, weil diese einen Kanister mit sich führten. In ihrem Fahrzeug befanden sich mehrere Kunststoffkanister, von denen einer mit Diesel gefüllt war. Weil ihm dies verdächtig erschien, informierte der Beklagte die Polizei, woraufhin der Kläger versuchte, in das Fahrzeug einzusteigen. Dies verhinderte der Beklagte, indem er die Fahrertür zudrückte. Hierauf schlug der Kläger den Beklagten ins Gesicht, worauf der Beklagte mit einem Faustschlag ins Gesicht des Klägers reagierte. Durch diesen Schlag erlitt der Kläger eine Gesichtsschädelfraktur. Vom Beklagten hat der Kläger deswegen Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld von 4.000 Euro. Die entsprechende Klage ist vom LG Paderborn abgewiesen worden.
Und das OLG teilt im Hinweisbeschluss nun mit, dass die Berufung des Klägers wohl erfolglos bleibt:
„Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob der Beklagte zu 2) sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens nicht doch auf die sich aus § 32 StGB und § 127 Abs. 1 StPO ergebenden Rechtfertigungsgründe berufen kann. Zwar hatte der Beklagte zu 2) alsbald erkannt, dass der Kläger und der Zeuge X keine Gasflaschen oder andere Gegenstände vom Gelände der Firma I entwendet hatten. Ein solches Festnahmerecht ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der nachträglich gewonnenen Erkenntnisse, dass der Kläger sich im Zusammenhang mit dem Führen des Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr strafbar gemacht hat, weswegen er anderweitig zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist. Daraus resultierende Straftaten des Klägers waren dem Beklagten zu 2) nicht bekannt.
Gleichwohl spricht einiges dafür, den Kläger als auf frischer Tat im Sinne des § 127 Abs. 1 StPO betroffen anzusehen, was dem Beklagten zu 2) ein Festnahmerecht gegeben hätte, gegen dessen Ausübung der Kläger sich nicht durch einen Schlag hätte wehren dürfen, so dass der Beklagte zu 2) seinerseits bei Ausführen des Faustschlags gerechtfertigt gehandelt hätte. Die Zusammenschau aller im Tatzeitpunkt vorliegenden erkennbaren äußeren Umstände haben den Beklagten zu 2) ohne vernünftigen Zweifel zu der Annahme berechtigt, dass in Bezug auf die Ausrüstung des Klägers, der im Moment des Antreffens zudem noch Einweghandschuhe trug, die die Polizeibeamten später in seiner Kleidung fanden, der Kläger und der Zeuge X auf frischer Tat betroffen worden waren. Denn in Bezug auf die von dem Kläger und dem Zeugen X mitgeführten Werkzeuge und Behältnisse bestand ein hoher Verdachtsgrad dafür, dass der Kläger und der Zeuge X tatsächlich eine Straftat – nämlich einen Diebstahl von Dieselkraftstoff – begangen hatten (vgl. OLG Hamm, NStZ 1998, 370; BayObLG, MDR 1986, 956).
Aber auch dann, wenn man dies anders beurteilen wollte, und die Voraussetzungen eines Festnahmerechts nach § 127 Abs. 1 StPO verneinte, hätte dem Kläger ein Notwehrrecht gegen die Festnahme nicht zugestanden. Denn in diesem Fall irrte der Beklagte zu 2) schuldlos über die tatsächlichen Umstände, die ihn zur Festnahme berechtigten. Dass der Beklagte zu 1) davon ausging, dass der Kläger und der Zeuge X eines nicht näher bestimmbaren Vermögensdelikts verdächtig waren, hatte der Kläger spätestens in dem Moment erkannt, in dem der Beklagte zu 2) ihn darüber in Kenntnis setzte, dass die Polizei informiert sei und gleich eintreffen werde. In dieser Situation, in der die Aufklärung des verdächtig anmutenden Sachverhalts unmittelbar bevorstand, war der von dem Kläger geführte Schlag gegen den Beklagten zu 2) keine erforderliche Verteidigung mehr, um die von dem Beklagten zu 2) aufrechterhaltene Nötigung zu beenden und in das Innere des Fahrzeugs zu gelangen, um sich anschließend von dem Ort zu entfernen. Eine besonnen reagierende Person an der Stelle des Klägers hätte das Eintreffen der Polizei abgewartet, um eventuelle Missverständnisse aufzuklären, und die Gefahr einer Eskalation vermieden, zumal beide Beklagte in Bezug auf den Kläger und den Zeugen X bis dahin jeden körperlichen Kontakt vermieden hatten. In dieser Situation wäre es dem Kläger ohne Preisgabe wesentlicher berechtigter eigener Interessen möglich gewesen, einen eventuellen Irrtum der Beklagten im Wege einer nur kurzfristig andauernden und damit wenig belastenden Wartezeit aufzuklären (vgl. OLG Hamm NStZ 1998, 370; BayOblG MDR 1986, 956). Die später offenbar gewordenen Umstände, die eine empfindliche Verurteilung des Klägers nach sich gezogen haben, lassen den Schluss zu, dass der Kläger das Eintreffen der Polizeibeamten nur deshalb nicht abwarten wollte, weil er – zu Recht – befürchten musste, dass bei einer Überprüfung durch die Polizeibeamten die zur späteren Verurteilung führenden Straftaten aufgedeckt werden würden.“
Also: Auf ganzer Linie einen auf die Nase bekommen.