Schlagwort-Archive: falsche Sachbehandlung

Geldbuße 75 EUR versus SV-Kosten ca. 2025 EUR, oder: Kein rechtliches Gehör – kein Kostenansatz

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Beweiserhebungen im Bußgeldverfahren können, insbesondere wenn es um die Erstattung von Sachverständigengutachten geht, erhebliche Kosten verursachen, die ggf. über den Kostenansatz später auf den Betroffenen zukommen. Der wird sich, wenn er ggf. rechtzeitig von einer beabsichtigten Beweiserhebung erfährt, überlegen, ob es sinnvoll ist, das Verfahren fortzusetzen oder ob er nicht besser Rechtsbehelfe zurücknimmt und so das Verfahren beendet.

Mit den Folgen einer unterlassenen Benachrichtigung bzw. Anhörung eines Betroffenen im Bußgeldverfahren befasst sich dann der OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2023 – 4 Ws 368/23.

Gegen den Betroffenen war wegen einen Abstandsverstoßes ein Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße in Höhe von 75 EUR erlassen worden. Der Betroffene hat dagegen Einspruch eingelegt. Nach Eingang der Akten beim AG bestimmte der Amtsrichter Termin zur Hauptverhandlung auf den 09.02.2023 und ordnete das persönliche Erscheinen des Betroffenen an. Der Betroffene bat sodann um Prüfung einer Entscheidung im Beschlussverfahren und der Verhängung einer Geldbuße von 55 EUR. Der Amtsrichter ordnete aber zur Hauptverhandlung die Ladung eines Sachverständigen an mit dem Beweisthema „vorwerfbarer Abstandsverstoß aus technischer Sicht“, dem die Akten übersandt wurden.

Mit Schreiben vom 31.01.2023 nahm der Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück. Bereits vor Eingang der Rücknahme hatte der Amtsrichter den Sachverständigen mit E-Mailnachricht vom selben Tag gebeten, die Bearbeitung des Gutachtenauftrags einzustellen, da der Betroffene die Einspruchsrücknahme in einem zuvor geführten Telefonat angekündigt hatte. Am 10.02.2023 bezahlte der Betroffene den im Bußgeldbescheid festgesetzten Gesamtbetrag.

Mit Kostenrechnung vom 09.02.2023 wurde der Betroffene u.a. zur Zahlung der von dem Sachverständigen mit Rechnung vom 01.02.2023 geltend gemachten Kosten in Höhe von 2.025,98 EUR aufgefordert. Hiergegen legte der Verteidiger Erinnerung ein. Die hat das AG zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hatte beim LG keinen Erfolg. Die dagegen gerichtete weitere Beschwerde des Betroffenen (§ 66 Abs. 4 S. 1 GKG) hat das OLG als zulässig und begründet angesehen.

Das OLG begründet seine Entscheidung „sehr fein“. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den Volltext und stelle hier nur den Leitsatz ein:

Dem Betroffenen ist im (gerichtlichen) Bußgeldverfahren vor der Anordnung kostenträchtiger Beweiserhebungen rechtliches Gehör zu gewähren. Die Nichtgewährung ist daher als offensichtlicher Verfahrensverstoß zu behandeln, der die Nichterhebung der durch die Beweiserhebung entstandenen Verfahrenskosten zur Folge hat.

„Disziplinierung“ durch „vorauseilenden Gehorsam“, oder: Das zu schnell eingeholte Sachverständigengutachten

© fotomek - Fotolia.com

© fotomek – Fotolia.com

Kollegen haben mir in der letzten Zeit wiederholt davon berichtet, dass die AG teilweise dazu übergegangen sind, bei Einwänden des Betroffenen gegen die Ordnungsgemäßheit einer Messung (von sich aus) Sachverständigengutachten einzuholen. Darüber habe ich hier ja auch schon im Zusammenhang mit dem AG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 25.01.2013 – 4.9 OWi 289 Js 14760/12 (156/12) berichtet (vgl. dazu: „Zu schnelle“ Einholung eines SV-Gutachtens – unrichtige Sachbehandlung – Niederschlagung der Kosten). Hintergrund für dieses Vorgehen – in quasi vorauseilendem Gehörsam – dürfte u.a. eben häufig sein, dass man Verteidiger/Betroffene disziplinieren und von weiteren Anträgen (in anderen Verfahren) abhalten/abschrecken will, indem hohe Kosten verursacht werden, die möglicherweise in keinem angemessenen wirtschaftlichen Verhältnis zur verhängten Geldbuße stehen.

Dem lässt sich vom Verteidiger jetzt auch der LG Ingolstadt, Beschl. v. 30.09.2015 – 2 Qs 48/15 – entgegenhalten. Da hatte der Verteidiger  lediglich die Übersendung der Messdatei nebst Beweisfoto beantragt, um diese von einem durch den Betroffenen zu beauftragenden Sachverständigen überprüfen zu lassen. Allein das führte zu einem Beweisbeschluss über die Einholung eines SV-Gutachtens – Kosten dann über 2.000 € -, von dem das AG noch nicht einmal Abstand genommen hat, als der Verteidiger ausdrücklich klargestellt und mitgeteilt hat, dass es lediglich darum gehe, die Messung von einem eigenen Sachverständigen überprüfen zu lassen, um ggf. im Anschluss hieran konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlbedienung oder Fehlmessung vorzutragen.

Das LG verweist auf die Rechtsprechung der Obergerichte zum standardisierten Messverfahren und darauf, dass danach nur konkrete Einwände das AG zur Beweisaufnahme zwingen. Und dann:

„…. Derartige konkrete Anhaltspunkte für Messfehler waren im Verfahren nicht dargetan. Der Betroffene hat vielmehr mit Schriftsatz vom 19.05.2014 lediglich die Übersendung der Messdatei nebst Beweisfoto beantragt, um diese von einem durch den Betroffenen zu beauftragenden Sachverständigen überprüfen zu lassen.

Der Antrag des Betroffenen vom 19.05.2014 konnte auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Betroffene hiermit die Richtigkeit der Messung in einer Art und Weise angezweifelt hätte, dass die Erholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen wäre. Denn konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler waren, was Voraussetzung für die Erholung eines Sachverständigengutachtens gewesen wäre, seitens des Betroffenen gerade noch nicht aufgezeigt worden.

Vorstehendes hat der Betroffene unmittelbar im Nachgang zum Beweisbeschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 22.05.2014 mit Schriftsatz vom 02.06.2014 unter näherer Darlegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nochmals ausdrücklich klargestellt und mitgeteilt, dass zum damaligen Zeitpunkt konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler weder bestünden noch dass ein solcher seitens des Betroffenen konkret behauptet würde. Dem Betroffenen gehe es lediglich darum, die Messung von einem eigenen Sachverständigen überprüfen zu lassen, um ggf. im Anschluss hieran konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlbedienung oder Fehlmessung vorzutragen.

Spätestens im Anschluss an den klarstellenden Schriftsatz vom 02.06.2014 wäre der Tatrichter zur Vermeidung unnötiger Verfahrenskosten gehalten gewesen, den Beweisbeschluss auf entsprechenden Antrag des Betroffenen aufzuheben.

Da angesichts der dargestellten gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung letztlich eine Beweisaufnahme über erkennbar nicht erhebliche Tatsachen stattgefunden hat (vgl. Binz/Dörndorfer/Petzold/ Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 3. Auflage 2014, § 21 Rn 7 m. w. N.; OLG München NJW-RR 2003, 1294), ist es vorliegend geboten, gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG von der Erhebung der Gutachterkosten i. H. v. 2.054,54 € abzusehen.“