Schlagwort-Archive: Erforderlichkeit

Erstreckungsantrag/-entscheidung immer erforderlich, oder: Trostpflaster

Heute also der letzte vorweihnachtliche Arbeitstag – ich vermute mal, dass in vielen Kanzleien heute dann doch nicht mehr so intensiv wie an anderen Tagen gearbeitet wird. Aber vielleicht hat ja doch der ein oder andere Kollege (noch) Zeit, sich die heutigen gebührenrechtlichen Postings anzuschauen.

Ich berichte zunächst über den OLG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2017 – 2 Ws 179/17 -, auf den ich bei meinen „Nachurlaubsaufräumarbeiten“. Er behandelt dann noch einmal das (leidige) Thema der Erstreckung im Gebührenrecht (§ 48 Abs. 6 RVG). Er passt ganz gut zu dem während meines Urlaubs vorgestellten OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.10.2017 – 1 Ws 196/17 – (vgl. dazu Erstreckung, Erstreckung, Erstreckung, oder: Immer einen Antrag stellen). Es geht in der OLG Hamburg-Entscheidung nämlich auch wieder um die Frage der Erforderlichkeit des Erstreckungsantrags bzw. darum, ob es darauf ankommt, ob die Verfahrensverbindung vor oder nach der in einem der verbundenen Verfahren vorgenommenen Pflichtverteidigerbeiordnung angeordnet wird. Das OLG Hamburg sagt dazu – ebenfalls: Nein darauf komme es nicht an. § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG ist in allen Fällen ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung anwendbar. Ist m.E. nicht richtig, aber es nutzt nichts, darum zu diskutieren, sondern man muss die Konsequenzen aus dieser (falschen ) Auffassung ziehen und eben immer einen Erstreckungsantrag stellen, wenn Erstreckung in Betracht kommt. Dann gehen keine Gebühren verloren.

Allerdings enthält der OLG Hamburg-Beschluss ein kleines Trostpflaster, wenn das OLG von einer im Festsetzungsverfahren erfolgten konkludenten Antragstellung ausgeht:

„c) Da der Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 7. Januar 2016 unter Auflistung der einzelnen hinzuverbundenen Verfahren und Darlegung und Beleg seiner jeweiligen früheren Tätigkeiten in diesen Verfahren beantragt hat, ihm neben der Vergütung für das führende Verfahren auch Gebühren und Auslagen für sämtliche der Beiordnung vorausgehenden Tätigkeiten in den jeweils hinzuverbundenen Verfahren aus der Staatskasse zu erstatten, hat er damit – zumindest konkludent (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, § 48 RVG Rn. 209 m.w.N.) – einen Antrag auf Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG gestellt, welchen das Amtsgericht bisher nicht beschieden hat.“

Aber darauf sollte man sich nicht verlassen. Und dann mit dem Posting-Bild noch ein bisschen vorweihnachtliche Werbung 🙂 .

„Ich will nach Las Vegas“ — BGH sagt: Aber nicht auf Staatskosten

entnommen wikimedia.org by Marcin Klapczynski

entnommen wikimedia.org
by Marcin Klapczynski

Auch wenn man ein weites Herz für anwaltliche Gebühren hat – und das habe ich -, kann man über den BGH, Beschl. v. 19.04.2016 – 3 StR 49/16 – nur den den Kopf schütteln. Nun, nicht über den Beschluss und die darin vom BGH abgelehnte Feststellung der Erforderlichkeit einer Dienstreise nach § 46 Abs. 2 RVG, sondern über das dem Beschluss zugrunde liegende Ansinnen eines Pflichtbeistandes, der beantragt hatte, dass ihm der BGH eine „Dienstreise“ nach Las Vegas genehmigen soll. Der Rechtsanwalt war Nebenklägervertreter in einem Schwurgerichtsverfahren. Er hatte nach § 46 Abs. 2 RVG beantragt, die Erforderlichkeit einer Dienstreise zu seinen Mandanten, deren Wohnsitz sich in Las Vegas befand, festzustellen. Der BGH hat das abgelehnt:

„Der nach § 46 Abs. 2 RVG gestellte Antrag des Nebenklagevertreters war zurückzuweisen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die beabsichtigte Dienstreise im Sinne des § 46 Abs. 1 RVG erforderlich ist. Erforderlich sind diejenigen Auslagen, ohne die der beigeordnete Rechtsanwalt die Interessen seines Mandanten nicht sachgemäß wahrnehmen kann (vgl. Mayer/Kroiß/Ebert, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Aufl., § 46 Rn. 26). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Nebenklagevertreter auf die Revisionsgegenerklärung des Generalbundesanwalts bereits mit Schriftsatz vom 11. April 2016 erwidert hat, ist nicht ersichtlich, dass eine Reise zum Wohnsitz der Nebenkläger, der jeweils in Las Vegas liegt, zur Besprechung der Revisionsgegenerklärungen noch erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als es im Revisionsverfahren ohnehin ausschließlich um Rechtsfragen geht. Im Hinblick  auf das Gebot sparsamer Prozessführung und die bestehenden elektronischen Möglichkeiten ist dem Nebenklagevertreter zudem eine telefonische Besprechung oder eine Besprechung unter Nutzung eines Kommunikations-programmes über das Internet zumutbar.“

M.E. zutreffend. Man fragt sich in der Tat, was der Pflichtbeistand eigentlich noch in Las Vegas wollte? Zur Revisionsgegenerklärung des GBA ist bereits Stellung genommen (§ 347 StPO). Also was ist/wäre noch zu tun? Und das, was ggf. noch zu tun ist/wäre, kann man, worauf der BGH zutreffend hinweist, in der Tat über Skype oder ein anderes Programm trefflich erledigen.

Übrigens: Ob in oder zur Vorbereitung der Tatsacheninstanz etwas anderes gilt, erscheint mir fraglich. Denn da greift zumindest das Argument des BGH, dass eine „Besprechung unter Nutzung eines Kommunikationsprogrammes über das Internet zumutbar“ ist.

Solche Ansinnen machen mich ärgerlich. Denn für mich stellt sich der Antrag als nichts anderes da, als der – gescheiterte – Versuch, auf Kosten der Staatskasse nach Las Vegas fahren zu dürfen. Solche Anträge müssen nicht sein. Sie schaden letztlich allen Kollegen.

P.S.: Ich lasse mich gern belehren/mir gern erklären, dass die Reise doch „erforderlich“ war.

Zoff in der Kleingartenkolonie – Warnschuss reicht (erst mal)

entnommen wikimedia.org Urheber 4028mdk09

entnommen wikimedia.org
Urheber 4028mdk09

Mit einer Notwehrsituation befasst sich der BGH, Beschl. v. 21.07.2015 – 3 StR 84/15. Das LG hatte bei dem Angeklagten, den es u.a. wegen Totschlags verurteilt hat, die Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 StGB) abgelehnt. Es ging um die Abgabe eines Schusses aus einem Kleinkalibergewehr in die Brust des Opfers aus einer Entfernung von zwei Metern. Das Tatgeschehen spielt vor dem Hintergrund einer langjährigen Feindschaft zwischen dem Angeklagten und dem Opfer, die wohl beide Besitzer einer Laube/eines Schrebergarten in einer Kleingartenkolonie waren. Dort war es – offenbar mal wieder – zum Streit gekommen. Das spätere Opfer hatte mit einer zwei Meter langen Holzlatte den Gartenzaun heruntergedrückt, das Grundstück des Angeklagten betreten und auf zwei Rasenmäher eingeschlagen und sie beschädigt. Dabei zerbrach die Latte in mehrere Stücke. In der Situation hat der Angeklagte dann aus einer Entfernung von zwei Metern auf die Brust des Opfers geschossen. Das LG – und ihm folgend der BGH – haben Notwehr gem. § 32 StGB verneint.

„Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass dieser Angriff des Nachbarn auf das Hausrecht und das Eigentum des Angeklagten den unmittelbaren Gebrauch der Schusswaffe unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung nicht hätte rechtfertigen können.

Ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Leben oder die Gesundheit des Angeklagten war zur Überzeugung des Landgerichts objektiv nicht gegeben. Danach rief der Nachbar, als er gewahr wurde, dass der Angeklagte mit dem Gewehr im Anschlag auf ihn zugetreten war und zum Verlassen seines Grundstücks aufgefordert hatte, einen anderen Kleingartenbesitzer um Hilfe und erhob den in seiner Hand verbliebenen etwa 46 cm langen Holzstummel lediglich zu dem Zweck, einen Angriff des Angeklagten abzuwehren (UA S. 39).

Das Schwurgericht hat allerdings nicht festgestellt, welche Vorstellung der Angeklagte in dieser Situation vom weiteren Verhalten seines Nachbarn hatte, und deshalb nicht ausdrücklich geprüft, ob sich der Angeklagte in der irrtümlichen Annahme einer Notwehrlage (Putativnotwehr) befand. Das gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, da bei der irrigen Annahme eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs der Täter nicht mehr tun darf als der in wirklicher Notwehr Handelnde (BGH, Urteil vom 12. März 1987 – 4 StR 2/87, BGHR StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 2), und das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt hat, dass selbst im Falle eines Angriffs der Schuss in die Brust mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Das Schwurgericht ist dabei von den Grundsätzen ausgegangen, die die Rechtsprechung für die Grenzen der Notwehr unter Benutzung einer Schusswaffe aufgestellt hat. Danach darf der Angegriffene grundsätzlich das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt; dem lebensgefährlichen Einsatz einer Schusswaffe sind gleichwohl Grenzen gesetzt. Er ist zwar nicht von vornherein unzulässig, kann aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen. Reicht dies nicht aus, so muss er, wenn möglich, vor dem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz versuchen. In Frage kommen ungezielte Warnschüsse oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den Angreifer kampfunfähig zu machen, also solche Abwehrmittel, die einerseits für die Wirkung der Abwehr nicht zweifelhaft sind und andererseits die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten (vgl. BGH aaO mwN). Dabei wird der Rahmen der erforderlichen Verteidigung durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt (BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 – 3 StR 628/93, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 11 mwN). Angesichts der „konkreten Kampflage“ – der Nachbar hatte lediglich noch einen Holzstummel in der Hand; der Angeklagte (sieben Jahre jünger und von kräftiger Statur) hatte sein Gewehr in Vorhalte; mit dem Gewehr konnte zwar nur ein Schuss abgegeben werden; der geringe Abstand zwischen den Kontrahenten ermöglichte indes einen sicheren Schuss auf weniger gefährliche Körperregionen – ist die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht sofort auf die Brust des Opfers schießen dürfen, ohne Rechtsfehler.“

Lösung: Ich habe da mal ein Frage: Wie oft darf ich meinen Mandanten eigentlich in der JVA besuchen?

© haru_natsu_kobo - Fotolia.com

© haru_natsu_kobo – Fotolia.com

Meine Frage: Wie oft darf ich meinen Mandanten eigentlich in der JVA besuchen?, wird häufig gestellt. Sie ist in der Praxis auch von Bedeutung, das zeigen die Kommentaren, die alle in die richtige Richtung gehen. Die Frage nach der Erstattung von Auslagen (des Pflichtverteidigers), um die es hier geht, ist im Übrigen (leider) häufig ein Bereich, in dem Rechtspfleger, Bezirksrevisoren, Amtsrichter, Strafkammern, manchmal aber auch OLG-Senate zu Hochform auflaufen und die Hürden für die Erstattung nicht selten sehr hoch, häufig zu hoch legen. Manchmal hat man den Eindruck, dass Auslagen beim (Pflicht)Verteidiger immer mit dem Makel behaftet sind, dass sie ggf. gar nicht entstanden sind und der (Pflicht)Verteidiger sie unberechtigt geltend macht. Hinzu kommt, dass häufig die Begründungsanforderungen sehr hoch/zu hoch geschraubt werden.

So z.B. auch der Rechtspfleger und die Strafkammer in dem dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.03.2014 – 1 Ws 31/14 -, auf den ich ja auch in einem der Kommentare zum „Frage-Posting“ verwiesen worden ist, zugrunde liegenden Verfahren. Anders allerdings dann das OLG, das zutreffend an die Systematik in diesem Bereich erinnert. Denn: Die Beweislast, dass Auslagen nicht erforderlich waren, trägt nach der Formulierung des insoweit einschlägigen § 46 Abs. 1 RVG die Staatskasse. Nur wenn sich Anhaltspunkte ergeben, die auf einen Missbrauch der Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung des Pflichtverteidigers hindeuten, wird die Darlegungs- und Beweislast auf den Verteidiger verlagert. Dann muss er zur Erforderlichkeit vortragen. Zutreffend ist es, wenn das OLG Brandenburg dann bei einer achtmonatigen Dauer der U-Haft keinen Missbrauch erkennt, sondern (zumindest) einen Besuch/Monat als erforderlich ansieht. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass nach der Rechtsprechung immer ein Besuch/Monat anerkannt wird bzw., dass mehr Besuche missbräuchlich sind; im Übrigen: Wer will das verbindlich sagen (können). Wie so oft entscheiden die Umstände des Einzelfalls. Der Verteidiger sollte es sich allerdings zur Faustregel machen, je mehr und je eher zur Erforderlichkeit von JVA-Besuchen vorzutragen, desto häufiger er den Mandanten in der JVA-besucht hat. Dann dürfte er auf der einigermaßen sicheren Seite sein.

Genug ist genug – kein Fahrverbot mehr nach zwei Jahren

© a_korn – Fotolia.com

Nichts weltbewegend Neues folgt aus dem OLG Hamm, Beschl. v. 23.07.2013, 5 RVs 52/13, aber wann gibt es im Verkehrsrecht derzeit schon etwas Neues? Eine Kurzmeldung ist der Beschluss deshalb wert, weil das OLG seine und die Rechtsprechung anderer OLG zur Erforderlichkeit eines Fahrverbotes als Nebenstrafe (§ 44 stGB) bestätigt hat. Danach kann ein Fahrverbot seine Funktion als Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Kraftfahrer nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt. Das wird bei einem zeitliche Abstand von zwei Jahren zur Tat nach Auffassung des OLG nicht mehr erreicht.

Ähnlich wird beim Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG argumentiert.