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Ist die Grundgebühr mit Haftzuschlag entstanden?, oder: Ist es egal, wann der Mandant inhaftiert war?

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Und im Gebührenrecht heute zwei AG-Entscheidungen. Beide falsch, bei so so richtig falsch. Die eine ist m.E. ganz schlimm.

Fangen wir mit der nicht ganz so schlimmen an. Das ist der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.07.2023 – 54 Ls 805 Js 19083/18 – zum Haftzuschlag bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Das AH hat ihn gewährt:

„Zwischen dem Pflichtverteidiger und der Staatskasse ist streitig, ob der Zuschlag zur Grundgebühr Ziffer 4100 VV RVG im Sinne der Ziffer 4101 VVRVG angefallen ist.

Hinsichtlich der widerstreitenden Rechtsauffassungen wird auf die Erinnerung des Verteidigers vom 21.06.2023 einerseits und die Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Amtsgericht Nürnberg vom 13.07.2023 andererseits Bezug genommen.

Laut Ziffer 4100 VV RVG entsteht die Grundgebühr gemäß dessen Unterabschnitt 1 neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt.

Unstreitig lagen hier Zuschlagsvoraussetzungen in der Weise vor, dass der Angeklagte sich im Verfahren in Haft befand. Fraglich ist einzig und allein, ob trotz vorheriger Einarbeitung des Verteidigers, als sich der Angeklagte noch nicht in Haft befand, sondern auf freiem Fuß war, der Zuschlag auch dann anfällt, wenn der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens als zur Zeit der Einarbeitung des Verteidigers in Haft befand.

Nach Auffassung des Gerichts ist dies der Fall. Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 4100 VV RVG Unterabschnitt 1, der für die Grundkonstellation die Entstehung der Verfahrensgebühr als einmalig für die erstmalige Einarbeitung definiert, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Spiegelbildlich dazu kann nach der Systematik des Gesetzes für den Zuschlag im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG nichts anderes gelten – auch diese fällt an, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Mithin ist es nicht erforderlich, dass die Zuschlagsvoraussetzungen zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben, sondern nur, dass diese in irgendeinem Verfahrensabschnitt gegeben waren. Nur so ergibt der Zuschlag Sinn. Denn der Aufwand bei Bearbeitung einer Haftsache ist ungleich höher als er einer Nicht-Haftsache; es kann daher nicht von rein zufälligen zeitlichen Konstellationen abhängen, ob der Zuschlag gewährt wird. Genau dies sagt im Grundsatz schon Ziffer 4100 VV RVG aus, indem deren Unterabschnitt 1 gerade unabhängig von der zeitlichen Einordnung die Grundgebühr auslöst. Ziffer 4101 VV RVG ist genau in diesem Lichte zu lesen, weshalb es gerechtfertigt ist, dass ein etwaiger Mehraufwand, der einen Zuschlag rechtfertigt, unabhängig von seiner zeitlichen Komponente rechtlich immer als Teil der Ersteinarbeitung zählt.

Das ist hier der Fall, sodass die Grundgebühr im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG mit 192,00 Euro anfiel und nicht wie im Ausgangsbeschluss mit nur 160,00 Euro.“

Die Entscheidung wird den Kollegen PeisL, der sie mir geschickt hat, freuen. Nur: Sie ist falsch. Das AG hatte schon einmal so falsch entschieden, und zwar im AG Nürnberg, Beschl. v. 13.07.2020 – 403 Ds 604 Js 58985/15 .  Ich habe schon damals zu der Entscheidung darauf hingewiesen, dass die amtsgerichtliche Sicht „– mit Verlaub – gebührenrechtlicher Nonsens“ ist. Dabei bleibt es. Denn die Entscheidung des AG ist widersprüchlich. Sie vermischt die Kriterien des Entstehens der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit den Kriterien für einen Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG, bei deren Vorliegen dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit Zuschlag nach Nr. 4101 VV RVG entsteht. Im Übrigen auch noch hier: Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

Ich hatte dazu ja auch im RVGreport Stellung genommen. Hat ersichtlich nicht genutzt. Abteilung unbelehrbar.

 

Wann entsteht die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG?, oder: Kein Eiertanz in Sachsen

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Das zweite Posting des Tages befasst sich – wie angekündigt – auch mit der Nr. 4142 VV RVG. Ich stelle dazu zwei Entscheidungen vor, und zwar den LG Chemnitz, Beschl. v. 09.01.2020 – 4 KLS 310 Js 40553/18 – und die dazu gehörende Beschwerdeentscheidung, den OLG Dresden, Beschl. v. 14.02.2020 – 1 Ws 40/20. Beide Entscheidungen hat mir der Kollege Kohn aus Chemnitz geschickt.

Und beide Entscheidungen machen – in Zusammenhnag mit der Festsetzung des Gegenstandswertes – um das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG nicht viel Federlesens, oder man könnte auch sagen: Keinen Eiertanz in dem Bestreben, die Gebühr möglichst nicht festsetzen zu müssen, wie einige andere LG und OLG es getan haben. Das ein oder andere Gericht wäre darauf angesichts eines im Raum stehenden Gegenstandswertes von rund 270.000 EUR sicherlich gekommen.

Das LG Chemnitz führt dazu „nur“ aus:

Auf zulässigen Antrag des Pflichtverteidigers war der Gegenstandswert für die Ermittlung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 RVG auf 269.546,09 € festzusetzen.

Bei der Gebühr nach Nr. 4142 RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Sie entsteht (zusätzlich) für Tätigkeiten des Rechtsanwaltes bei Einziehung oder verwandten Maßnahmen, hier also solchen nach § 73 StGB. Dabei genügt es, dass in dem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Verteidiger tätig wird, eine Einziehung in Betracht zu ziehen ist. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Einziehung bereits beantragt ist, es reicht vielmehr aus, wenn nach Aktenlage eine Einziehung ernsthaft in Betracht kommt. Nach der Novellierung der Einziehungsvorschriften ist gerade bei Verfahren wegen des Vorwurfes der Steuerhinterziehung stets damit zu rechnen, dass im Wege der Vermögensabschöpfung die hinterzogenen Steuerbeträge eingezogen werden.

Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr – unabhängig vom Umfang der Tätigkeit – zusteht. Es genügt also, wenn der Rechtsanwalt — wie hier vorgetragen — beratend im Zusammenhang mit der drohenden Einziehung tätig wird.

Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des hinterzogenen Betrages in Euro, hier also 269.646,09 €.“

Eine solche Entscheidung kann die Staatskasse natürlich nicht hinnehmen. Da legt man Beschwerde ein – und scheitert beim OLG Dresden, das ausführt:

„Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 W RVG entsteht für alle gerichtlichen und außergerichtlichen Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Hinblick auf Einziehung oder verwandte Maßnahmen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist noch ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache in Betracht kommt (Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. Nr. 4142 W Rdnr. 20 m.w.N.). Die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst (KG JurBüro 2005, 531). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 1 Ws 654/09 -). Das wird immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Letzteres hat das Landgericht mit zutreffender Begründung festgestellt.“