Schlagwort-Archive: Entschädigung

Gibt es in den sog. Altfällen eine Entschädigung für zu lange Gerichtsverfahren? – OLG Celle: Nein

© Dmitry Rukhlenko – Fotolia.com

Seit dem 03.12.2012 ist das “Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011? in Kraft (vgl. hier). Seitdem hat es schon einige Entscheidungen gegeben, die sich mit dem Gesetz bzw. der Frage der Anwendbarkeit auch  auf „Altverfahren“ befassen (vgl. u.a. hier der OLG Celle, Beschl. v. 09.05.2012 – 23 SchH 6/12). Dazu gehört nun auch das OLG Celle, Urt. v. 24.10.2012 – 23 SchH 5/12, das sowohl zur Anwendbarkeit der Neuregelung in den §§ 198, 199 GVG Stellung nimmt als auch zur Frage, wann eine Entschädigung gezahlt werden muss.

Es handelt sich also um einen Altfall. Zur Anwendbarkeit insoweit heißt es:

1. Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch gemäß § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen überlanger Dauer des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden konnte. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht innerhalb von sechs Monaten (vgl. Art. 35 Abs. 1 EMRK) nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung – dies ist der Freispruch durch das Landgericht … am 20. Mai 2009 – Klage zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Entgegen seinem Vorbringen wäre ihm dies aber möglich gewesen. Zwar vermochte der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts … vom 20. Mai 2009 mangels Beschwer keine Beschwerde zu erheben. Gleichwohl hätte er mit der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK eine Verletzung des Art. 6 EMRK rügen und die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellen lassen können. Dies hat er unterlassen. Dass ein solches Verfahren von der ehemaligen Mitangeklagten des Klägers angestrengt worden ist, genügt für den vom Kläger selbst geltend gemachten Anspruch nicht. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. März 2011 wirkt nur zwischen den an dem dortigen Verfahren beteiligten Parteien. Sie kann auch aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensläufe der Strafverfahren keine präjudizielle Wirkung entfalten.

Damit stellte sich die Frage der Amtshaftung. Dazu das OLG:

Allein die überlange Verfahrensdauer eines Strafverfahrens stellt noch keine derartig schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, dass bei schuldhaftem Handeln der Strafverfolgungsbehörden ein Anspruch auf Amtshaftung begründet wird.

Die menschenwürdige Unterbringung – Ja, aber. Aber irgendwie nicht schön

© chris52 – Fotolia.com

Wenn es um die Entschädigung eines (U-Haft)Gefangenen für nicht menschenwürdige Unterbringung geht, bleibt für mich häufig beim Lesen der Entscheidungen ein schaler Beigeschmack. So auch beim LG Heidelberg, Urt. v. 24.09.2012 – 1 O 96/11. Darüber könnte man eben auch schreiben – mit der einen Hand gegeben, mit der anderen Hand genommen. Anerkannt wird ein Verstoß gegen die Menschenwürde bzw. eine (teilweise) menschenunwürdige Unterbringung, aber: Es gibt keine Entschädigung weil der Kläger sich nicht nicht ausreichend gewehrt hat. Dazu:

„Ausschlaggebend für die Ablehnung der Geldentschädigung ist nach Ansicht der Kammer jedoch schließlich, dass sich der Kläger während seiner Gemeinschaftsunterbringung nicht gegen diese gewehrt hat. Die dargestellten menschenunwürdigen Haftbedingungen in einer Gemeinschaftszelle werden von nicht wenigen Gefangenen hingenommen, da sie sie der Isolation von der Außenwelt und der fehlenden Möglichkeit der Kommunikation in einer Einzelzelle vorziehen. Zudem werden die Haftbedingungen je nach Herkunft und Persönlichkeit der Betroffenen unterschiedlich empfunden. Als objektives Anzeichen dafür, dass der Kläger bei dem gegebenen Gemisch aus unterschiedlichsten persönlichen Motiven, objektiv und subjektiv empfundenen Vorteilen und Nachteilen der konkreten Situation diese als nicht mehr hinnehmbar empfand, bedarf es nach Auffassung der Kammer einer entsprechenden Äußerung des Klägers gegenüber dem Personal der Justizvollzugsanstalt (so auch OLG Karlsruhe, a.a.O., Rz. 25). Insofern ist nicht auf den Antrag auf Einzelunterbringung bei Aufnahme des Klägers in die JVA abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger noch nicht gemeinschaftlich untergebracht, er kannte also die konkrete Art und Weise der Gemeinschaftsunterbringung und die damit verbundenen Beeinträchtigungen noch nicht. Entscheidend für die Beurteilung der subjektiv als erheblich empfundenen Beeinträchtigungen der Menschenwürde können daher nur Äußerungen nach erfolgter Gemeinschaftsunterbringung sein. Zwar hat der Kläger behauptet, sich wiederholt beim zuständigen Wachpersonal mündlich über die Haftbedingungen beschwert zu haben. Diese vom beklagten Land bestrittene Behauptung hat er jedoch nicht unter Beweis gestellt, die Benennung des „Zeugnis des Mituntergebrachten aus dem streitbefangenen Haftraum“ ist mangels ladungsfähiger Anschrift kein tauglicher Beweisantritt. Zudem geht die Kammer nach Verwertung der Gefangenenpersonalakte des Klägers davon aus, dass dieser für den Fall, dass er sich subjektiv erheblich beeinträchtigt gefühlt hätte, schriftliche Anträge bei der Anstaltsleitung eingereicht hätte. Der Kläger stellt sich ausweislich seiner Gefangenenpersonalakte als aktiver Gefangener dar, der keine Scheu hatte, seine Bedürfnisse gegenüber der Anstaltsleitung zu kommunizieren und von seinen Rechten Gebrauch zu machen.“

Zwei Jahre sind zu lang – erstes Urteil wegen überlanger Verfahrensdauer

© Stefan Rajewski – Fotolia.com

Der LTO-Nachrichtenüberblick weist gerade auf das erste Gerichtsurteil zur überlangen Verfahrensdauer, also zu den neuen §§ 198, 199 GVG, hin (vgl. dazu hier). Es ist das OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25.07.2012 – 7 KE 1/11. Danach sind – für das Verwaltungsverfahren – zwei Jahre vom Klageeingang bis Verfahrensabschluss zu lang. In der Meldung heißt es:

Im Ausgangsverfahren hatte das Verwaltungsgericht (VG) Halle über die Versetzung einer Polizeibeamtin in ein anderes Revierkommissariat zu entscheiden. Das Verfahren wurde erst zwei Jahre nach Klageeingang abgeschlossen.

Der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) befand nun, dass angesichts der geringen Schwierigkeit bzw. Komplexität des Verfahrens eine Dauer von über zwei Jahren nicht mehr angemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sei. Das Gesetz verpflichtet den Staat, Gerichtsverfahren in einer den Umständen entsprechend angemessenen Zeit abzuschließen. Die Richter sprachen der Beamtin eine Entschädigung zu (Urt. v. 25.06.2012, Az. 7 KE 1/11).

Den Volltext der Entscheidung habe ich leider noch nicht. Aber die Leitsätze, und zwar von der Homepage des OVG Sachsen-Anhalt. Sie lauten:

„Die Angemessenheit der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Bedeutung für den Kläger sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten.

Eine lediglich pauschalisierte zeitliche Würdigung der Dauer des Gesamtverfahrens reicht nicht aus; vielmehr muss eine konkrete Betrachtung einzelner Verfahrensabschnitte erfolgen.

Die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich aus der ihm gemäß Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK obliegenden Justizgewährleistungspflicht.

Das Bestehen von Entschädigungsansprüchen gegen den Staat gem. § 198 GVG setzt kein individuelles schuldhaftes Fehlverhalten einzelner Richterinnen oder Richter voraus.

Der Entschädigungsanspruch gem. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist nicht einem Schadenersatzanspruch gem. § 249 BGB gleichzustellen.

Die Gewährung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile gem. § 198 Abs. 2 GVG kann gem. § 198 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 GVG ausgeschlossen sein, wenn die Feststellung der Verfahrensverzögerung allein eine hinreichende Entschädigung darstellt.“

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer – bei bereits abgeschlossenen Verfahren nur bedingt

Die Neuregelungen der §§ 198, 199 GVG finden ggf. auch auf bereits abgeschlossene Verfahren (noch) Anwendung. Allerdings ist insoweit Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu beachten. Dazu der OLG Celle, Beschl. v. 09.05.2012 – 23 SchH 6/12, mit dem ein Antrag auf PKH zurückgewiesen worden ist:

a)       Der Antragstellerin steht ein Anspruch aus § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen unangemessener Dauer eines Strafverfahrens nicht zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei ab Inkraft­treten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Das von der Antragstellerin angestrengte Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist mit dessen Entscheidung vom 3. März 2011 abgeschlossen und kann nach Art. 35 Abs. 2 EMRK auch nicht mehr anhängig gemacht werden. Zwar hat die Antragstellerin in dem genannten Verfahren keine Entschädigung geltend gemacht, weshalb auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Veranlassung gesehen hat, der Antragstellerin diesbezüglich einen Geldbetrag zuzusprechen (vgl. Ziffer 41 des Urteils des EGMR vom 3. März 2011). Eine solche Entschädigung hätte die Antragstellerin gemäß Art. 60 Abs. 1 VerfO innerhalb des Schriftsatzes über die Begründetheit geltend machen müssen (vgl. NK?EMRK, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rdnr. 33). Im Übrigen war die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung in zulässiger Weise möglich gewesen. Diese Frist ist ebenfalls versäumt. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Fristbeginn war nämlich die das nationale Verfahren abschließende Entscheidung des Landgerichts Hannover vom 9. Januar 2009. Auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich die Abweisung einer auf nationaler Ebene erhobenen Amtshaftungsklage, wie sie die Antragstellerin in ihrem Prozesskostenhilfegesuch vom 14. November 2011 angekündigt hat, kann nicht abgestellt werden. Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 8. Juni 2006 (NJW 2006, 2389) bereits festgestellt, dass eine mögliche Amtshaftungsklage nicht geeignet ist, Ersatz für Nichtvermögensschäden infolge überlanger Verfahrensdauer zu begründen. Der Einwand der Antragstellerin, zum Zeitpunkt der Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am 11. August 2008 eine Höhe der zu gewährenden Entschädigung zu beantragen, sei ihr deswegen nicht möglich gewesen, weil das nationale Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei, greift ebenfalls nicht durch. Zwischen dem Abschluss des nationalen Verfahrens und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lagen mehr als zwei Jahre, in denen die Antragstellerin einen bereits im Schriftsatz über die Begründetheit enthaltenen entsprechenden Entschädigungsantrag ohne Weiteres hätte beziffern und näher ausführen können.

 

Zu lange Sicherungsverwahrung – keine Entschädigung nach dem StrEG

Schon das OLG Nürnberg hatte im OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.02.2012 – 2 Ws 32/11 – einen Entschädigungsanspruch nach dem StrEG nach zu langer Sicherungsverwahrung verneint. Auf derselben Linie liegt der OLG Celle, Beschl. v. 14.02.2012 – 2 Ws 32/12, in dem das OLG das StEG ebenfalls für nicht anwendbar erklärt hat. Dazu und zur möglichen Anspruchsgrundlage heißt es:

Eine analoge Anwendung der Vorschriften des StrEG scheidet aus. Die Bestimmungen der §§ 1, 2 StrEG haben abschließenden Charakter und können nicht auf ähnliche Maßnahmen oder Sachverhalte angewendet werden (vgl. BGHSt 52, 124 ff.; BGHST 36, 263 ff.; OLG Hamm NVWZ 2001, Beilage Nr. I 7, 96 ?juris; Meyer, Einleitung zum StrEG, Rdnr. 34 und Rdnr. 39).

 c) Als Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung wegen eines ? möglicher-weise ? rechtswidrigen Freiheitsentzuges kommt hier Art. 5 Abs. 5 EMRK in Betracht (vgl. BGHZ 122, 268 ff.; OLG Celle Nds.Rpfl. 2007, 11 f ?juris). Art. 5 Abs. 5 EMRK gewährt einen unmittelbaren und verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens (vgl. BGH a. a. O.), welcher indes im Zivilrechtsweg geltend zu machen ist (vgl. OLG München NStZ?RR 1996, 125) und daher vom Senat nicht zu prüfen war.“