Wie haben wir uns gefreut als die §§ 198, 199 GVG eingeführt worden sind und gedacht: Endlich. Endlich gibt es ein Instrument, dass die Gerichte zu schnellerem Arbeiten anhalten wird. Und wie sind wir alle (?) getäuscht/enttäuscht, wenn man sich die Anwendung der Vorschriften durch die Gerichte ansieht. Das ganze Prozedere lohnt sich nicht, denn die §§ 198, 199 GVG sind ein stumpfes Schwert, letztlich m.E. auch vom Gesetzgeber nur eingeführt, um den EGMR und die EU „ruhig zu stellen“. Dass dem so ist, zeigt z.B. der OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.11.2016 – 4 EK 15/16.
Es geht um die Bewilligung von PKH für eine Klage wegen überlanger Verfahrensdauer. Der Antragsteller, der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, hatte gem. § 109 StVG die StVK angerufen, nachdem die JVA ihm vollzugsöffnende Maßnahmen versagt hatte. Nach dem Ablauf von Stellungnahmefristen nahm die StVK zunächst für fünf Monate keine verfahrensfördernden Maßnahmen vor. Es folgten dann weitere Schriftsatzwechsel, u.a. wegen einer in Betracht kommenden Teilerledigung, ehe das Verfahren erneut, diesmal für weitere neun Monate und sieben Tage, nicht gefördert wurde. Letztlich dauerte das Verfahren vom 30.07.2014 bis zum 07.07.2016. Am 08.04.2016 hatte der Antragsteller Verzögerungsrüge erhoben. Nunmehr begehrte er PKH für eine Klage, mit der er wegen überlanger Verfahrensdauer eine Entschädigung in Höhe von 1.200,00 EUR erstreiten will. Das OLG hat unter Ablehnung des Antrags im Übrigen PKH bis zu einer Entschädigungshöhe von 800,00 EUR bewilligt.
Das OLG meint schon, dass das Verfahren zu lang war, und zwar sei die Verfahrensdauer als um insgesamt acht Monate und sieben Tage unangemessen zu lang anzusehen. Zur „zulässigen“/zu langen Verfahrensdauer führt das OLG aus, dass nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung ausreicht. Die Verfahrensdauer müsse vielmehr eine Grenze überschreiten, die sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art, Inhalt und Umfang der zu treffenden Entscheidung, sowie der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeit und Bedeutung des zugrunde liegenden Rechtsstreits für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Dem Richter stehe zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ein weiter Gestaltungsraum zu.
Hinsichtlich der Person des Entscheidenden ist ein objektivierter Maßstab anzulegen, abzustellen ist mithin auf den Zeitraum, den ein pflichtgetreuer Durchschnittsrichter für die Erarbeitung einer derartigen Entscheidung benötigt (vgl. BGH, Urteil vom 22.05.1986, III ZR 237/84, Rn. 29 – zitiert nach Juris). Darüber hinaus ist diesem ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, denn nicht nur rechtliche oder tatsächliche Beurteilungen eines Richters, sondern auch die Verfahrensführung als solche kann angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 46 – zitiert nach Juris). Nach der Rechtsprechung des Senats ist einem Gericht in der Regel ein Zeitraum von einem Jahr (ab Entscheidungsreife) zuzubilligen, binnen dessen eine ausbleibende Entscheidung als noch nicht unangemessen erscheint (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.09.2013, 4 EntV 11/12 – zitiert nach Juris, für Verfahren nach § 109 StVollzG und Urteil vom 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 46 ff. – zitiert nach Juris, für zivilrechtliches Prozesskostenhilfeverfahren). Eine Abweichung von dieser Regelfrist von einem Jahr kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Verfahrensgegenstand für die Partei aus besonderen Gründen in besonderer Weise eilbedürftig ist oder umgekehrt ohne besondere Bedeutung ist (zum Vorstehenden insgesamt: OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.07.2016, 4 EK 6/16, Rn. 29 – zitiert nach Juris).
Aber:
„Eine Abweichung von dieser Regelfrist von einem Jahr kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Verfahrensgegenstand für die Partei aus besonderen Gründen in besonderer Weise eilbedürftig ist oder umgekehrt ohne besondere Bedeutung ist (zum Vorstehenden insgesamt: OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.07.2016, 4 EK 6/16, Rn. 29 – zitiert nach Juris).“
Auf der Grundlage hat das OLG der StVK dann statt der Regelfrist von einem Jahr lediglich eine kürzere Entscheidungsfrist von sechs Monaten zugebilligt. Und der Antragsteller kann für acht Monate unangemessene Verfahrensverzögerung eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 800,00 EUR verlangen.
Wenn ich die Ausführungen des OLG lese, schwillt mir der Kamm. Abgesehen davon, dass die Rechtsprechung – auch die des BGH – der (eigenen) Justiz schon grundsätzlich sehr großzügige Bearbeitungszeiten einräumt, frage ich mich hier: Wieso soll eigentlich ein Gericht nach Entscheidungsreife (!) nochmal ein Jahr Zeit haben für die Entscheidung? Entscheidungsreife liegt doch vor. Warum wird dann nicht zügig entschieden bzw. muss entschieden werden? Alles andere ist doch Augenwischerei, vor allem wenn man dann noch die weiteren Hintertürchen wie Schwierigkeit und Umfang der Sache sieht, mit denen man bei Bedarf recht problemlos einen noch längeren Zeitraum rechtfertigen kann. Und bitte schön. Verfahren „für die Partei ….. ohne besondere Bedeutung“ sind überhaupt nicht eilbedürftig und dürfen also bis zum St. Nimmerleinstag liegen bleiben? Der EGMR wird sich auf weitere Eingänge aus Deutschland freuen.
Was ist positiv an der Entscheidung? Nun, das Land hat wohl eingesehen, dass mehr als schlampig gearbeitet worden ist. Denn: „Der Antragsgegner hat zu dem Antrag unter dem 14.11.2016 (Bl. 13ff. d. A.) Stellung genommen. Sie tritt dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen, zumal die Voraussetzungen für die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe in Höhe des begehrten Entschädigungsbetrages gegeben sein dürften.“ Das OLG weiß es natürlich mal wieder besser und gewährt nur PKH bis zu einer Entschädigungshöhe von 800,00 EUR .