Mit den Fragen betreffend (Akten)Einsicht in die digitale Messdatei bei standardisierter Messung ist es so ähnlich wie mit dem Böhmermann/Erdogan/Gate. Man hat das Gefühl, es ist alles schon mal gesagt. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings kommen nun die OLG, nachdem bislang die Diskussion von den AG beherrscht wurde.
Nun hat sich auch das OLG Bamberg in einem fulminanten Beschluss zu Wort gemeldet und im Rahmen einer Rechtsbeschwerde Ausführungen zu den anstehenden Fragen gemacht. Ich stelle diesen OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 – hier nicht in Auszügen ein, das mag man in der Verlinkung nachlesen. Ich nehme nur den Leitsatz dieses Beschlusses, mit dem das standardisierte Messverfahren mal wieder mit „Zähnen und Klauen“ verteidigt wird:
„Hat sich der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass die Voraussetzungen eines sog. standardisierten Messverfahrens (BGHSt 39, 291; 43, 277) eingehalten wurden, verstößt die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung auf Einsichtnahme in die digitale Messdatei und deren Überlassung einschließlich etwaiger sog. Rohmessdaten nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens).“
M.E. ist das falsch und führt erst recht zu einem Zirkelschluss, zumal hier der Amtsrichter über die Frage: Standardisiert, ja oder nein?, entscheidet, ohne dass der Betroffene überhaupt eine Möglichkeit der Prüfung hatte. Ich verstehe den BGH anders, aber ich bin ja auch nicht (mehr) OLG.
Aber zum Glück bin ich nicht allein. Denn, der Kollege, der den Beschluss für die Mai-Ausgabe des VRR aufbereitet hat, sieht es genau so. Und daher stelle ich hier mal dessen Stellungnahme ein:
„1. Logik ist Ansichtssache. Diese Schlussfolgerung löst die Lektüre des vorliegenden Beschlusses aus. Denn trotz der deutlichen Wortwahl des OLG („gänzlich unhaltbar“, „ad absurdum“) besteht die Logik in genau umgekehrter Richtung. Das im Grundsatz sinnvolle Institut des standardisierten Messverfahrens führt zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Liegen die Voraussetzungen dafür vor (Bauartzulassung, Eichung, Beachtung der Bedienungsanleitung, geschultes Personal), ist grundsätzlich von einem zutreffenden Messergebnis auszugehen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler oder einen Gerätefehler vorliegen. Trotz der Ausführungen des Senats zur fehlenden rechtlichen Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen kann in einer derartigen Situation faktisch nur der Betroffene solche konkreten Anhaltspunkte vorbringen, denn sonstige erkennbare Aufhänger für ein fehlerhaftes Messergebnis sind kaum denkbar. Ein solches Vorbringen erfordert wiederum die Einsicht in die digitale Messdatei einschließlich unverschlüsselter Rohmessdaten, um eine Überprüfung durch einen Sachverständigen des Betroffenen zu ermöglichen. Diese sich meines Erachtens aufdrängende Logik führt das standardisierte Messverfahren nicht ad absurdum, sondern setzt sein Regel-Ausnahmeverhältnis rechtsstaatsgemäß um. Die vom OLG hier vehement verteidigte Linie der Obergerichte stellt trotz entgegengesetzter Behauptung einen Zirkelschluss dar, weil sie dem Betroffenen beim Vorliegen der Regelvoraussetzungen des standardisierten Messverfahrens bereits die bloße Möglichkeit des Vorbingens substanzieller Einwände abschneidet.
2. Gleichwohl: Angesichts der Verfestigung jener Position bei den Obergerichten müssen sich Verteidiger auf diese Sachlage einstellen.“
Ich hoffe, dass irgendwann endlich der BGH Gelegenheit bekommt, dazu etwas zu sagen. Vielleicht sind wir dann ja schlauer…