Schlagwort-Archive: Beweiswürdigung

Manipulierter Pkw-Diebstahl und Beweiswürdigung, oder: Ist das „äußere Bild“ eines Diebstahls bewiesen?

Bild von Kris auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung zum manipulierten Schadensereignis geht es nicht um eine „Unfallmanipulation“, sondern um einen manipulierten Diebstahl. Aber auch hier spielen Beweiswürdigungsfragen eine Rolle.  Der Kläger hat das Fahrzeug von einem Zeugen Spp. im Mai 2017 erworben. Im Kaufvertrag wird der abgelesene Kilometerstand mit 10.200, die Erstzulassung am 27.10.2014 und der Kaufpreis mit 45.500,00 EUR angegeben. Der Kläger hat am Nachmittag des 03.12.2017 Strafanzeige wegen des Diebstahles seines Fahrzeuges bei der Polizei erstattet. Im April 2018 wurde das Fahrzeug in vollständig demontierten Zustand in Polen wieder aufgefunden. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 09.05.2018 ihre Eintrittspflicht ab.

Dagegen die Berufung des Klägers. Das OLG Dresden hat dazu im OLG Dresden, Beschl. v. 02.08.2022 – 4 U 428/22 – also Verfahren nach § 522 ZPO – Stellung genommen, und fasst das in folgendem Leitsatz zusammen:

Kann der Versicherungsnehmer den Beweis des „äußeren Bildes“ durch Zeugen führen, kommt es auf seine eigene Redlichkeit nicht an. Sind keine Zeugen vorhanden, ist die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers entscheidend.

Im Einzelnenn führt das OLG allgemein aus:

„Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Versicherungsleistungen aus der Kaskoversicherung vom 30.05.2017 zu. Dem Kläger ist der Beweis für einen bedingungsgemäßen Diebstahl des Fahrzeuges nicht gelungen.

Beim Fahrzeugdiebstahl kommen dem Kläger Beweiserleichterungen zugute. Er muss den Beweis für das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung erbringen. Der Beweis für das äußere Bild ist erbracht, wenn ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen, bewiesen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2002 – IV ZR 263/00 – juris; vgl. Senat, Urteil vom 04.09.2018 – 4 U 427/18 – juris). Dieses Mindestmaß wird in der Regel erfüllt, wenn bewiesen wird, dass das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit abgestellt, dort aber nicht wieder aufgefunden worden ist (vgl. BGH, a.a.O.; vgl. Senat a.a.O.). Für das äußere Bild ist der Vollbeweis nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechtes erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 22.09.1999 – IV ZR 172/98 – juris). Kann der Kläger den Beweis durch Zeugen führen, kommt es auf seine Redlichkeit nicht an. Sind keine Zeugen vorhanden und kann sich der Kläger nur auf seine eigenen Angaben stützen, so ist seine Glaubwürdigkeit entscheidend (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2002 – IV ZR 263/00 – juris).“

Wegen der Einzelheiten der Beweiswürdigung verweise ich dnan auf den verlinkten Volltext.

Manipulierter Unfall – ein Hauch von Strafrecht, oder: Welche Indizien sprechen gegen einen Unfall?

© Thaut Images – Fotolia.com

Heute im „Kessel Buntes“ zwei zivilrechtliche Entscheidungen, und zwar beide zum Schadensersatz nach (angenommenen) Manipulationen. Über solchen Entscheidungen liegt ja immer auch ein Hauch von Strafrecht 🙂 . Die damit zusammenhängenden Fragen, vor allem die der Unfallmanipulation, haben die Rechtsprechung früher häufiger beschäftigt. In der letzten Zeit tauchen sie m.E. nicht mehr so häufig auf. Beide Entscheidungen befassen sich mit der Beweiswürdigung. I.d.R. liegt hier immer der Schwerpunkt der entsprechenden Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Bremen, Beschl. v. 01.07.2022 – 1 U 24/22 – zu einer Unfallmanipulation vor. Es handelt sich um einen gem. § 522 ZPO ergangenen Beschluss. Das LG hatte die Schadensersatzklage abgewiesen. Dagegen dann die Berufung des Klägers. Das OLG arbeitet sich in seinem Hinweisbeschluss minutiös an der landgerichtlichen Beweiswürdigung, die ein zum Schadensersatz führendes Unfallereignis verneint hatte, ab:

„2. Das Landgericht ist im vorliegenden Fall aufgrund einer zutreffenden Gesamtwürdigung der für und gegen die Annahme eines manipulierten Unfallgeschehens sprechenden Umstände auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gekommen, dass ein manipuliertes Unfallgeschehen vorgelegen hat.

a) Diese Tatsachenfeststellungen des Gerichts des ersten Rechtszuges hat nach § 529 Nr. 1 ZPO auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO können sich grundsätzlich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2005 – VIII ZR 266/03, juris Rn. 7, BGHZ 162, 313; Urteil vom 29.06.2016 – VIII ZR 191/15, juris Rn. 26, NJW 2016, 3015). Das Berufungsgericht ist demnach zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet, wenn aus der für dieses Gericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 403/14, juris Rn. 11, VersR 2016, 1194). Hält es das Berufungsgericht es für denkbar, dass die von der Berufung aufgeworfenen Fragen zu einer anderen Würdigung führen können, besteht Anlass für die Überlegung, ob für die andere Würdigung zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht und deshalb Anlass zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, juris Rn. 24, NJW-RR 2017, 75).

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben: Für eine abweichende Würdigung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme besteht keine solche Wahrscheinlichkeit und daher ist auch ein Anlass zu einer Wiederholung oder zu einer Ergänzung der Beweisaufnahme um weitere Feststellungen nicht gegeben. Die Würdigung und Berücksichtigung der für und gegen eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien ist im angefochtenen Urteil im Einklang mit den Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung hierzu erfolgt (siehe hierzu die Rechtsprechung des Senats in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 08.03.2021 – 1 U 48/20, juris Rn. 26 ff. m.w.N.) und die hiergegen erhobenen Angriffe der Berufung sind nicht durchschlagend.

c) Hierzu ist zunächst festzustellen, dass diejenigen vom Landgericht als Indizien für die Annahme einer Unfallmanipulation angesehenen Umstände, gegen die sich die Berufung nicht wendet, auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats in diesem Sinne bewertet wurden: Dies betrifft namentlich die Beteiligung eines Pkw der Oberklasse auf der Klägerseite; die Suggestion einer eindeutigen Haftungslage nach dem geschilderten Unfallgeschehen; die fiktive Abrechnung; die Beteiligung eines Miet-Fahrzeugs auf Verursacherseite, welches dort keinen relevanten Vermögensschaden entstehen lässt; das sofortige Schuldeingeständnis des Schädigers gegenüber der Polizei; die wiederholte Verwicklung des Zeugen pp. in Unfälle mit Mietwagen und eine fehlende plausible Erklärung des Zeugen pp. dafür, mehrere Unfälle mit angemieteten Fahrzeugen verursacht zu haben; sowie die fehlende Anwesenheit des Klägers am Unfallort (siehe hierzu sowie zu den nachstehenden Punkten jeweils die Rechtsprechung des Senats in Hanseatisches OLG in Bremen, a.a.O.). Ergänzend zu den vom Landgericht berücksichtigten Umständen wären im Übrigen auch noch weitere Indizien zugunsten der Annahme einer Unfallmanipulation zu bewerten gewesen, namentlich die nur kurze Zulassungszeit des Geschädigtenfahrzeugs erst kurz vor dem Unfallereignis, dessen Wertminderung durch eine vergleichsweise hohe Laufleistung und die Schadensnatur in Form von seitlichen Schrammschäden.

d) Auch soweit der Kläger einzelne Rügen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts vornimmt, erweisen sich diese nicht als durchgreifen. Dies gilt zunächst für die Rüge, dass das Landgericht den Umstand nicht berücksichtigt habe, dass im vorliegenden Fall die Polizei eingeschaltet worden sei, was gegen die Annahme einer Unfallmanipulation spreche. Hierbei handelt es sich vielmehr um einen neutralen Umstand; die Hinzuziehung der Polizei muss nicht notwendigerweise der Annahme einer Unfallmanipulation entgegenstehen, insbesondere wenn dies mit einer gegenüber den Polizeibeamten suggerierten eindeutigen Unfallverursachung oder einer klaren Verantwortungsübernahme des vermeintlichen Schädigers einhergeht.

e) Soweit der Kläger weiter rügt, dass das Landgericht nicht berücksichtigt habe, dass das Geschehen sich gegen 22.50 Uhr auf der pp. zugetragen haben soll, die zu dieser Zeit stark frequentiert sei, vermag auch dies keine Zweifel an den Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zu begründen. Gegen die Annahme eines gestellten Unfallgeschehens würde es sprechen, wenn bei einem Unfall, der nach Örtlichkeit und Uhrzeit des Geschehens das Vorhandensein solcher Zeugen erwarten lässt, von den Parteien auch tatsächlich solche neutrale Zeugen benannt worden wären, was vorliegend aber gerade nicht der Fall war.

f) Der Kläger kann der Beweiswürdigung des Landgerichts auch nicht durchgreifend entgegenhalten, dass der Kläger bzw. der Zeuge pp. nicht mit dem Zeugen pp. bekannt sei. Der fehlende Nachweis einer Bekanntschaft stellt für sich genommen kein gegen die Annahme einer Unfallmanipulation sprechendes Indiz dar, sondern ist ein lediglich neutraler Umstand, zumal Unfallmanipulationen auch ohne eine direkte Bekanntschaft zwischen den Beteiligten über Dritte organisiert werden können.

g) Zweifel gegenüber der Beweiswürdigung des Landgerichts zeigt der Kläger auch nicht mit seinem Vorbringen auf, dass der Zeuge pp. eine nachvollziehbare Schilderung des Unfalls gegeben und auch eine plausible Erklärung für seine Anwesenheit am Unfallort geboten habe, indem er darauf verwiesen habe, dass er sich am Unfalltag im nördlichen Teil von Bremen aufgehalten und dort ein Date mit einem Bekannten gehabt habe, mit dem er zuvor nur flüchtig geschrieben habe, und dass sich dieses nachher dann verlaufen habe. Die Beschreibung der Umstände der Anwesenheit am Unfallort bleibt damit weiterhin in höchstem Maße vage – insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine wegen des Unfallgeschehens eine genauere Erinnerung zu erwarten gewesen wäre. Auch ist festzustellen, dass nicht nachvollziehbar ist, warum sich der aus dem nördlichen Teil von Bremen kommende Zeuge auf seiner Heimfahrt nach pp. auf der pp. in Höhe pp. befunden haben sollte, um dort – wie er in seiner schriftlichen Unfallanzeige angegeben hat – die Abfahrt nehmen zu wollen.

h) Ebenso begründet es keine Zweifel gegenüber der Beweiswürdigung des Landgerichts, wenn der Kläger vorbringt, dass der Zeuge pp. zwar nur eine vage Unfallschilderung gegeben und er sich nicht mehr daran zu erinnern vermocht habe, warum er am Unfallort gewesen sei, dass aber seine Aussage dadurch beeinflusst gewesen sei, dass er an Klaustrophobie leide. Dafür, dass aus diesen Gründen dem Zeugen eine Aussage nur erschwert möglich gewesen wäre, bietet das richterliche Protokoll seiner Vernehmung keinerlei Anhaltspunkte. Auch seitens des Klägers ist dieser Umstand erstinstanzlich nicht gerügt worden, weswegen er mit diesem Vorbringen in der Berufungsinstanz nicht mehr zu hören ist, §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO, zumal auch dem Berufungsvorbringen des Klägers nicht eine plausible Erklärung dafür zu entnehmen ist, weswegen sich der Zeuge pp. am Unfallort befunden haben soll. Daher bedarf es auch nicht der Einholung der hierzu angebotenen Beweise.

i) Ferner kann der Kläger der Beweiswürdigung des Landgerichts auch nicht durchgreifend entgegenhalten, das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt vollkaskoversichert gewesen sei, dass weder der Kläger noch der Zeuge pp. bislang in Vorunfälle verwickelt gewesen sei, dass der Kläger in geordneten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen lebe, einen festen Wohnsitz mit jederzeitiger Erreichbarkeit unterhalte und nicht vorbestraft sei Hierbei handelt es sich vielmehr um neutrale Umstände. Auch eine günstige finanzielle Situation eines Beteiligten ist nicht als Indiz gegen die Annahme einer Unfallmanipulation zu werten, da die Lebenserfahrung nicht belegt, dass Versicherungsbetrug ein in wohlhabenden Kreisen weniger übliches Vergehen darstellen würde.

j) Auch die weitere Rüge des Klägers erweist sich nicht als durchschlagend gegenüber der Beweiswürdigung, dass aus technischer Sicht keine Bedenken gegen den klägerseits behaupteten Unfallablauf bestünden und dass nicht nachgewiesen sei, dass die Leitplanke tatsächlich nicht beschädigt worden sei. Dabei ist zutreffend, dass die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit des Unfallgeschehens ein Indiz darstellt, dass gegen die Annahme einer Unfallmanipulation spricht. Hierbei handelt es sich aber lediglich um ein einzelnes Indiz, welches die Annahme einer Unfallmanipulation nicht ausschließt, sondern welches lediglich in die Gesamtwürdigung einzustellen ist. Nach Bewertung des Senats ist auch unter Berücksichtigung dieses Umstands aber davon auszugehen, dass die Vielzahl der einzelnen für die Annahme einer Unfallmanipulation sprechenden Umstände weiterhin die Überzeugungsbildung trägt, dass im vorliegenden Fall das vermeintliche Unfallgeschehen auf einer Manipulation beruht. Dabei bedarf es auch keiner ergänzenden Befragung des Sachverständigen zur Frage der Plausibilität und Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens: Es kann vielmehr unterstellt werden, dass sich hieraus ergeben würde, dass das Unfallgeschehen nach der Darstellung des Klägers tatsächlich plausibel ist und dass bei einem entsprechenden Hergang, wenn er nicht durch Manipulation eingeleitet worden wäre, eine Vermeidbarkeit nicht gegeben wäre. Ungeachtet dessen würde das Indiz der Plausibilität und Nachvollziehbarkeit eine anderweitige Bewertung in der Gesamtwürdigung nicht tragen.

k) Dasselbe gilt sodann für die Rüge, dass das Landgericht den Umstand nicht korrekt in die Gesamtwürdigung einbezogen habe, dass eine nicht unerhebliche Gefahr von Verletzung der beteiligten Fahrer bestanden habe und dass sich aus einer ergänzenden Befragung ergeben hätte, dass bei dem Unfallgeschehen ein noch schwerwiegenderes Verletzungsrisiko der beteiligten Fahrzeugführer bestanden hätte als zunächst angenommen. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass ein typisches Indiz, das gegen die Annahme eines gestellten Unfallgeschehens spricht, der Umstand ist, dass bei dem Unfall eine konkrete erhebliche Verletzungsgefahr bestand. Dies gilt aber vor allem dann, wenn diese Verletzungsgefahr nicht lediglich als unbeabsichtigte Nebenfolge eines nicht wie geplant verlaufenen gestellten Unfallgeschehens entstanden ist, sondern vielmehr nach der Art der Kollision ohne weiteres zu befürchten war. Letzteres ist auch vom Kläger nicht behauptet. Insgesamt verbliebe es im Ergebnis auch insoweit dabei, dass nach Bewertung des Senats auch unter Berücksichtigung dieses Umstands davon auszugehen bliebe, dass die Vielzahl der weiteren anderen für die Annahme einer Unfallmanipulation sprechenden Umstände weiterhin die Überzeugungsbildung tragen, dass im vorliegenden Fall das vermeintliche Unfallgeschehen auf einer Manipulation beruht. Dabei bedarf es auch keiner ergänzenden Befragung des Sachverständigen zur Frage des Verletzungsrisikos im Rahmen des Unfallgeschehens: Auch wenn sich hieraus ein gesteigertes Verletzungsrisiko für den Fall des Reifenschadens mit vollständigem Druckverlust oder einem Achsschaden ergeben würde, ist bereits nichts dazu vorgetragen, dass diese Verletzungsgefahr als ohne weiteres zu erwartende Kollisionsfolge anzusehen wäre, so dass dieses Indiz im vorliegenden Fall eine anderweitige Bewertung in der Gesamtwürdigung nicht tragen würde.

l) Soweit der Kläger schließlich rügt, dass sich die Beweiswürdigung fehlerhaft lediglich in der bloßen Addition von Umständen erschöpfe, bei der auch entlastende Umstände nicht berücksichtigt worden seien, kann auch dies Zweifel an der Beweiswürdigung des Landgerichts im vorstehenden Sinne nicht begründen. Wie vorstehend ausgeführt, begründen die vom Kläger vorgebrachten entlastenden Umstände keine anderweitige Bewertung. Das Landgericht hat erkennbar die wesentlichen Umstände berücksichtigt und es hat erkennen lassen, welche Umstände es für seine Überzeugungsbildung als maßgeblich ansieht, dies genügt den Anforderungen an die Führung des Indizienbeweises.“

BtM II: Nochmals Täterschaft/Teilnahme beim Handel, oder: Anforderungen an die Beweiswürdigung

Bild von Nattanan Kanchanaprat auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung heute dann noch einmal eine zu Täterschaft und Teilnahme beim Handel mit Betäubungsmitteln. Das OLG Stuttgart nimmt im OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2022 – 4 Rv 25 Ss 983/21 – dazu und vor allem zur Beweiswürdigung Stellung.

Die Angeklagten sind vom LG u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat (zumindest vorläufig) auch in der Sache Erfolg. Denn die Strafkammer hat die Annahme mittäterschaftlichen Handelns nicht hinreichend begründet.

1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Zu deren Überprüfung ist das Revisionsgericht nur eingeschränkt in der Lage. Es hat die tatrichterliche Würdigung grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Fehler enthalten. Solche sind namentlich dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist oder wenn sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein, sondern es genügt, dass sie möglich sind. Die Urteilsgründe müssen aber ergeben, dass alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in die Beweiswürdigung einbezogen worden sind und überdies erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogenen Schlussfolgerungen nicht lediglich Vermutungen sind, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (BGH, Urteil vom 10. April 2019 — 1 StR 646/18, juris Rn. 12). Weiter muss der Tatrichter zwar nicht jede theoretisch denkbare, den Umständen nach jedoch fern-liegende Möglichkeit der Fallgestaltung berücksichtigen. Er muss aber die in Betracht kommenden Beweise erschöpfend würdigen und darf deshalb von mehreren naheliegenden tatsächlichen Möglichkeiten nicht nur eine in Betracht ziehen und die anderen außer Acht lassen (BGH, NJW 1974, 2295).

2. Von diesen Maßstäben ausgehend hält die Beweiswürdigung des Landgerichts der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder als Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 — 1 StR 180/21, juris Rn. 4). Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln setzt Mittäterschaft in subjektiver Hinsicht eine eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit voraus, die bloße Förderung fremden Eigennutzes genügt nicht (BGH, Beschluss vom 30. September 2021 — 4 StR 70/21, juris Rn. 8).

b) Diese Voraussetzungen sind in dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend belegt. Weder werden einzelne Tatbeiträge des Angeklagten erörtert, noch hat sich die Jugendkammer erkennbar mit der Frage der Tatherrschaft befasst. Aus der Beweiswürdigung ergibt sich auch nicht, dass der Angeklagte eigennützig handelte. Zudem fehlt eine Auseinandersetzung mit der jedenfalls nicht fernliegenden Möglichkeit, dass es sich um Drogengeschäfte der Mitangeklagten pp., bei der ausweislich der Urteilsfeststellungen bereits seit 2013 eine Drogenproblematik besteht, handelte und der Angeklagte zwar von derartigen Ge-schäften wusste, ohne selbst mit Betäubungsmitteln zu handeln.

aa) Stattdessen wird lediglich darauf abgestellt, dass die Angeklagten in einer Einzimmerwohnung leben und eine feste Beziehung führen. Die Annahme, es gebe deshalb keine festen Zeiten, in denen zumindest eine Person nicht in der Wohnung ist, weshalb ein unbemerktes Bestellen oder Annehmen von Sendungen unwahrscheinlich sei, ist nicht durch Tatsachen belegt. Auch gibt es keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass Paare ihre Zeit ganz überwiegend oder gar durchgehend gemeinsam verbringen.

Überdies hätte es auch keiner regelmäßigen Abwesenheiten eines der Angeklagten bedurft, um die insgesamt fünf bestellten Päckchen in Empfang zu nehmen, lässt sich der Eingang solcher Sendungen doch anhand des Bestellzeitpunktes und der inzwischen bei allen gängigen Paketdienstleistern möglichen Sendungsverfolgung durchaus präzise vorhersehen, sodass ohne größeren Aufwand Vorkehrungen für eine unbemerkte Entgegennahme getroffen werden können.

bb) Weiter legt die Strafkammer nicht konkret dar, weshalb es aufgrund der wohnlichen Situation ausgeschlossen sein soll, unbemerkt Päckchen zu lagern. Aus den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern der Wohnung ergibt sich dies nicht. Vielmehr lässt die über-schaubare Menge der bestellten Betäubungsmittel eine heimliche Lagerung jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen. Außerdem hätte auch die Möglichkeit bestanden, einmal in Empfang genommene Betäubungsmittel später andernorts zu lagern.

cc) Auch der von der Strafkammer herangezogene Marihuanakonsum der beiden Angeklagten belegt die angenommene Mittäterschaft nicht. Die Bezugsquelle der konsumierten Betäubungsmittel ist unbekannt, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass nur einer der Angeklagten das Marihuana bezog und der Partnerin bzw. dem Partner anschließend den (Mit-)Konsum ermöglichte.

Zudem wurden vorliegend auch Ecstasy-Tabletten und Amphetamine bestellt; in Bezug auf diese Betäubungsmittel ergeben sich aus dem eigenen Konsumverhalten der Angeklagten keine Anhaltspunkte für eine Mittäterschaft.

dd) Auch die Verwendung des Klarnamens der Mitangeklagten pp. im Fall 4 bzw. des An-geklagten im Fall 5 begründet mittäterschaftliches Handeln nicht. Es liegt jedenfalls nicht fern, dass sich einer der beiden Angeklagten lediglich mit der Verwendung der Klarnamen einverstanden erklärte, ohne dabei selbst eigennützig zu handeln. Auch insoweit hätte eine Abgrenzung zur Beihilfe erfolgen müssen…..“

Beweiswürdigung III: Lückenlose Gesamtwürdigung, oder: Erfahrungssatz ohne Erfahrung

Bild von ar130405 auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann noch der BayObLG, Beschl. v. 03.02.2022 – 202 StRR 11/22 – zu einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung bei Bejahung des Tatentschlusses für den Versuch der gefährlichen Körperverletzung. Das AG hate den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung verworfen. Dagegen dann die Revision, die beim BayObLG Erfolg hatte. Das BayObLG beanstandet die Beweiswürdigung:

„2. Allerdings kann die Verurteilung aufgrund der Sachrüge keinen Bestand haben, weil das angefochtene Urteil sachlich-rechtliche Fehler aufweist.

a) Soweit für die Entscheidung des Senats relevant, hat die Berufungskammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Am Abend des 24.01.2019 kam es im Anschluss an eine tätliche Auseinandersetzung des Angeklagten mit seiner Ehefrau in deren gemeinsamer Wohnung im zweiten Stock eines Mietshauses zu einem Polizeieinsatz, nachdem die Ehefrau vor dem randalierenden Angeklagten zu ihrem im ersten Stock des Anwesens wohnenden Nachbarn geflüchtet war. Die zunächst aus einer Polizeibeamtin und einem Polizeibeamten bestehende Streife vor Ort entschloss sich, Verstärkung anzufordern und nach deren Eintreffen zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Erteilung eines etwaigen Platzverweises den weiter lautstark randalierenden Angeklagten in dessen Wohnung aufzusuchen. Nach Eintreffen eines dritten Beamten begaben sich die beiden erstgenannten Beamten wieder in den 1. Stock, während sich der dritte Beamte noch im Treppenhaus auf dem Weg in den 1. Stock befand. In diesem Moment kam der Angeklagte aufgebracht und schreiend aus dem 2. Stock die Treppe hinunter, wobei er in der linken Hand einen ca. 0,95 Meter langen Birkenstock hielt und in der rechten Hand eine Axt mit einer Gesamtlänge von ca. 38 cm und geschärfter Klinge mit einer Klingenlänge von ca. 10 cm. Er hielt dabei den Birkenstock mit angewinkeltem Arm halbhoch vor seinen Körper und die Axt zunächst etwa auf Schulterhöhe. Dabei schrie der Angeklagte Unverständliches. Auf die Aufforderung „Waffe weg“ der beiden bereits im 1. Stock befindlichen Polizeibeamten reagierte der Angeklagte nicht, obgleich beide Beamte ihren Einsatzstock zogen. Während diese daraufhin im Flur zurückwichen, ging der Angeklagte mit dem Holzstock und der erhobenen Axt weiter auf die [beiden] Beamten zu. Die Polizeibeamtin warf ihren Einsatzstock weg und ergriff ihre Dienstwaffe. Der Angeklagte bewegte sich dabei immer noch auf die [beiden] Beamten […] zu, wobei er die Axt so hielt, dass die scharfe, geschliffene Seite der Axt in deren Richtung zeigte. Trotz eines erneuten Rufs der Beamten „Waffe weg“, bewegte sich der Angeklagte jedoch weiterhin auf die [beiden] Polizeibeamtem zu und machte mit der Axt eine Ausholbewegung nach oben über seinen Kopf, um auf die Beamten einzuschlagen und diese durch Einsatz von Axt und Stock zu verletzen. Der Angeklagte handelte dabei in der Absicht, sich den polizeilichen Anordnungen zu widersetzen. Insbesondere weigerte er sich, Axt und Stock wegzulegen. Als sich der Angeklagte noch etwa 2 Meter von den beiden Beamten entfernt befand, gab der zur Verstärkung hinzugezogene, sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Treppe zum 1. Stock befindliche dritte Polizeibeamte aus dem Treppenhaus heraus insgesamt 5 Schüsse aus seiner Dienstpistole ab, die den Angeklagten jedoch verfehlten. Der Angeklagte wich jetzt zunächst ins Treppenhaus zum 2. Stock zurück, ehe er unmittelbar darauf von den Beamten nach Einsatz von Pfefferspray überwältigt werden konnte. Bei dem Versuch der drei Beamten, den Angeklagten am Boden zu fixieren und zu fesseln, leistete dieser weiterhin Widerstand, indem er die Arme unter dem Körper sperrte und diese trotz Aufforderung nicht freigab. Nur unter Einsatz von Kraftaufwand gelang es den drei Beamten, die Hände des Angeklagten auf den Rücken zu ziehen und diesen letztlich zu fesseln.

b) Die Beweiswürdigung ist zum festgestellten Tatentschluss, der auf die Verwirklichung einer versuchten gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22 StGB gerichtet ist, rechtsfehlerhaft. Dies erfasst zugleich den Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB, weil dieser eine unmittelbar auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung, die nicht zum Erfolg geführt haben muss, voraussetzt (vgl. zuletzt BayObLG, Beschl. v. 01.06.2021 – 202 StRR 54/21 bei juris), was durch die Beweiswürdigung ebenfalls nicht belegt wird.

…..

bb) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung der Berufungskammer nicht gerecht.

(1) Das Landgericht schließt aus dem objektiven Geschehen, nämlich das Erheben der Axt in eine „Ausholbewegung“ über den Kopf und dem Zugehen des Angeklagten auf die Polizeibeamten, darauf, dass „der Angeklagte sich im Begriff befand, auf die Beamten einzuschlagen und dabei eine Verletzung in Kauf zu nehmen“. Schon die Annahme des Landgerichts, das objektive Geschehen lasse „nur“ den von ihm gezogenen Schluss zu, ist nicht haltbar. Das Landgericht legt seiner Überzeugungsbildung einen Erfahrungssatz zugrunde, den es nicht gibt, und lässt außer Acht, dass das Verhalten des Angeklagten auch ohne weiteres dahingehend interpretiert werden könnte, dass er die Polizeibeamten mit der Verwirklichung bedrohen wollte. Mit der von der Berufungskammer gezogenen Schlussfolgerungen hat sie sich den Blick auf eine denkbare und keineswegs durch die Beweiswürdigung fehlerfrei ausgeschlossene Sachverhaltsalternative von vornherein verstellt. Dies gilt umso mehr, als es nicht darauf ankommt, wie die Polizeibeamten das Verhalten des Angeklagten in der konkreten Situation verstehen mussten. Denn aus ihrer Sicht, die darauf gerichtet sein musste, erforderliche Maßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz zu treffen, war es allein maßgeblich, ob eine konkrete Gefahr oder zumindest eine Anscheinsgefahr bestand (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 1, 84 Abs. 1 Nr. 1 PAG in der zur Tatzeit geltenden Fassung v. 18.05.2018). Im Strafverfahren geht es aber im Gegensatz dazu darum, ob dem Angeklagten die Begehung der ihm angelasteten Straftat positiv nachgewiesen werden kann.

(2) Die Berufungskammer hat überdies die zwingend erforderliche, an einer lückenlosen Beweiswürdigung auszurichtende Gesamtwürdigung unterlassen.

(a) Das Berufungsurteil trifft keine Feststellungen dazu, dass der Angeklagte Hiebbewegungen in Richtung der Beamten unternommen hätte. Gerade damit hätte sich der Tatrichter aber auseinandersetzen müssen, zumal – wie dargelegt – die Bedeutung der Ausholbewegung als solche ambivalent ist.

(b) Das weitere Tatgeschehen nach Überwältigung des Angeklagten mittels des Einsatzes von Pfefferspray durch die Polizeibeamten hat das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung ebenfalls nicht in seine Überlegungen eingestellt und offensichtlich deshalb insoweit nur lückenhafte Feststellungen getroffen. Das Berufungsurteil stellt insoweit fest, dass der Angeklagte, bei dem Versuch der Polizeibeamten, ihn am Boden zu fixieren und zu fesseln, weiterhin Widerstand leistete, indem er die Arme unter den Körper sperrte und diese trotz Aufforderung nicht freigab. Dazu, wo sich mittlerweile die zunächst in der Hand gehaltene Axt befand und ob der Angeklagte hierauf noch Zugriff hatte, verhält sich das Landgericht nicht. Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau hätte aber auch dieses Verhalten des Angeklagten unmittelbar nach dem Tatgeschehen eventuell Rückschlüsse darauf zulassen können, ob es ihm darauf ankam, die Polizeibeamten tatsächlich mit der Axt zu verletzen oder nicht.“

Beweiswürdigung II: Lückenhafte Beweiswürdigung, oder: Wenn viele DNA-Spuren zum Angeklagten führen

In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Urt. v. 03.05.2022 – 6 StR 120/21 – geht es um die Beweiswürdigung in einem Verfahren wegen Mordes. Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes und des Raubes mit Todesfolge freigesprochen. Dagegen die Revision der StA, die Erfolg hatte.

Das Landgericht hatte Folgendes festgestellt:

„Am 8. Dezember 2016 zwischen 13:10 Uhr und 13:30 Uhr kehrte die 82-jährige Rentnerin    K.     vom Einkaufen in ihre Wohnung zurück. Sie brachte Teile ihrer Einkäufe in die Küche, zog sich ihren Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. Noch bevor sie sich die Schuhe ausziehen konnte, wurde sie im Flur-/Küchenbereich ihrer Wohnung überfallen und nach heftiger Gegenwehr erwürgt. Bei dem Geschehen fügte ihr der Täter weitere massive Verletzungen zu. So waren mehrere Rippen gebrochen. Ein Rippenbruch führte zu einer Verletzung der Herzaußenwand. Die Rippenbrüche können durch ein Knien oder Sitzen des Täters auf ihrem Brustkorb entstanden sein. Die Geschädigte wies ferner zahlreiche Hämatome auf, unter anderem an beiden Oberarmen, wobei die Unterblutungen als Griffspuren interpretiert werden können. Zuletzt wurde ihr – nicht todesursächlich – eine Plastiktüte über den Kopf gezogen.

Die Wohnung wurde vom Täter durchwühlt. Der Geldbörse der Geschädigten wurden 80 Euro entnommen.

Der Angeklagte war unmittelbarer Wohnungsnachbar der Getöteten. Er hatte vor der Tat keine Kontakte mit ihr. Im Ermittlungsverfahren machte er unterschiedliche Angaben dazu, wo er sich zur Tatzeit aufgehalten hatte.

In der Wohnung wurden die folgenden DNA-Spuren gesichert:

– An der Bekleidung des rechten Oberarms des Opfers (Spur 02.006) wurde ein DNA-Merkmalsgemisch von mindestens zwei Personen festgestellt. Eine biostatistische Berechnung ergab, dass dessen Verursachung durch das Opfer und den Angeklagten 257 Trilliarden Mal wahrscheinlicher ist als eine Verursachung durch die Geschädigte und eine unbekannte Person.
– An der Außenseite (Spur 04.004.05.4) und am Kartenfächer-Druckknopf (Spur 04.004.05.6) der Geldbörse des Opfers wurde männliche DNA festgestellt, die mit derselben Wahrscheinlichkeit dem Angeklagten zuzuordnen ist.
– Am bekleideten rechten Oberarm (Spur 02.007) wurde ein autosomales Merkmalsgemisch von mindestens zwei Personen festgestellt. Bei der Untersuchung der Spur mit DYS-Marker wurden Merkmalsgemische von mindestens zwei männlichen Personen festgestellt. Die intensivsten Merkmale wurden dem Angeklagten zugeordnet.
– An der Hose, rechter Unterschenkel Knie bis Hosensaum, des Opfers (Spur 02.012) wurde ein autosomales Merkmalsgemisch von mindestens drei Personen festgestellt. Hauptverursacherin der Spur ist die Geschädigte. Die DYS-Marker-Untersuchung ergab, dass die Spur ferner durch mindestens zwei männliche Personen verursacht wurde. Der Angeklagte wurde als Hauptverursacher festgestellt.
– An der Bekleidung des Opfers, linker Brustbereich (Spur 02.018), wurden die autosomalen Merkmale der DNA-Mischspur der Geschädigten zugeordnet. Die DYS-Marker-Untersuchung ergab Gemische von mindestens zwei männlichen Personen, wobei die intensivsten Merkmale dem Angeklagten zuzuordnen waren.

Soweit die Merkmalsgemische auf andere männliche Verursacher hinwiesen, wurden die männlichen Bewohner des Mehrfamilienhauses sowie die nach der Entdeckung der Tat an und in der Wohnung tätigen Polizeibeamten und Rettungskräfte als Spurenverursacher ausgeschlossen.“

Das sachverständig beratene Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit überzeugen können. Zwar spreche die an der Geldbörse und am Leichnam sichergestellte DNA des Angeklagten in erheblichem Maße dafür, dass er die Tat begangen habe. Jedoch bestehe die konkrete Möglichkeit, dass die DNA des Angeklagten aus dem Treppenhaus durch Sekundär- oder Tertiärübertragung an den Tatort gelangt sei. Mehrere Personen hätten die Wohnung ohne Schutzkleidung betreten oder die Schutzkleidung bereits angezogen, bevor sie den Hauseingang des Mehrfamilienhauses betreten hätten. Zudem seien vor Eintreffen der Spurensicherungskräfte Veränderungen an der Leiche, insbesondere der Oberbekleidung, vorgenommen worden. Auch seien der Personalausweis und die Krankenkassenkarte des Opfers den Rettungskräften aus der Wohnung herausgegeben und anschließend wieder in die Wohnung verbracht sowie in die Geldbörse zurückgesteckt worden. Erst danach sei die Geldbörse auf Spuren untersucht worden.

Der BGH hat die Beweiswürdigung des LG als lückenhaft beanstandet:

„2. a) Entsprechend den Ausführungen der Beschwerdeführerin begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass sich das Landgericht nicht näher mit der Aussagekraft der Ergebnisse der DYS-Marker-Untersuchungen betreffend die Spuren 02.007, 02.012 und 02.018 auseinandergesetzt und diese nicht erkennbar mit dem ihnen zukommenden Gewicht in seine Beweiswürdigung eingestellt hat.

Namentlich die beweiswürdigenden Ausführungen betreffend die Spur 02.012 an der Hose der Getöteten, wonach der Angeklagte als Mitverursacher insoweit (lediglich) nicht ausgeschlossen werden könne (UA S. 37), lassen besorgen, dass das Landgericht diesen Befunden letztlich überhaupt keinen Beweiswert beigemessen hat. Dafür spricht auch, dass es sich im Weiteren ausdrücklich nur mit den „DNA-Treffern“ befasst und die an der Hose gefundene Spur außer Acht lässt (UA S. 54). Damit wird aber verkannt, dass die Untersuchung mit DYS-Markern das Y-Chromosom betrifft, das in väterlicher Linie gekoppelt und von Mutationen abgesehen unverändert weitervererbt wird (vgl. LR-StPO/Sander, 27. Aufl., § 261 Rn. 171 mwN). Demgemäß kommen als Verursacher – worauf auch der Sachverständige hingewiesen hat (UA S. 37) – neben dem Angeklagten nur aus derselben väterlichen Linie stammende männliche Verwandte wie seine Brüder als Spurenverursacher in Betracht. Anhaltspunkte für eine Anwesenheit seiner Brüder sind aber nicht vorhanden.

b) Das angefochtene Urteil lässt eine umfassende Gewichtung der vorhandenen Beweisanzeichen vermissen. Der gerichtsbiologische Sachverständige hatte zwar ausgeführt, dass eine sekundäre oder tertiäre Übertragung von DNA an den Tatort „grundsätzlich immer möglich“ sei. Gegenständlich halte er eine solche Übertragung aber für unwahrscheinlich, weil die DNA des Angeklagten an zwei verschiedenen Orten, nämlich an der Leiche und an der Geldbörse, gefunden worden sei. Dem entspricht das durch den Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen für forensische DNA-Analyse Prof. Dr. Courts (Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Köln).

Vor diesem Hintergrund hätte es näherer Erörterung bedurft, dass sich vom Angeklagten herrührende Spuren an mehreren Stellen des Leichnams befanden (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, NStZ 2012 648 [dort nicht abgedruckt] LR-StPO/Sander, aaO, § 261 Rn. 156; siehe auch Vennemann/Oppelt/Grethe/Anslinger/Schneider/Schneider, NStZ 2022, 72, 75, 78). Dies gilt umso mehr, als mit dem Arm der Getöteten (multiple Druckmale) und ihrem Brustbereich (Rippenbrüche, vermutlich verursacht durch Knien oder Sitzen des Täters auf dem Brustkorb) Stellen betroffen waren, die nach den Feststellungen massiver Gewalthandlungen von Seiten des Täters ausgesetzt waren. Eine Überspannung der Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt es in diesem Zusammenhang dar, wenn die Jugendkammer darauf verweist, dass nicht habe festgestellt werden können, ob der Ort der jeweiligen Spuren exakt mit den Druckmalen korrespondiere. Denn dieser Umstand kann seine Erklärung zwanglos in einem Verrutschen der Kleidung finden. Den Urteilsgründen (UA S. 14 f.) lässt sich überdies nicht entnehmen, dass durch die Rettungskräfte bzw. Polizeibeamten gerade am Arm des Opfers Veränderungen vorgenommen wurden.

Schließlich fehlen Ausführungen dazu, ob die Gesamtheit der am Leichnam gefundenen Spuren Primärübertragungen so sehr nahelegen, dass aus sachverständiger Sicht ohnehin unwahrscheinliche sekundäre oder tertiäre Übertragungen aus dem Hausflur heraus nur noch theoretisch in Betracht kommen. Diese wären auch deswegen notwendig gewesen, weil in der Wohnung – was das Landgericht im Grundsatz nicht verkannt hat – keine Spuren von anderen den Hausflur wie der Angeklagte nutzenden männlichen Hausbewohnern, von den Rettungskräften oder den Polizeibeamten gefunden wurden.“