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Klassischer Fehler XXXVI: Das mit dem wiederholten Wiedererkennen sollte man können

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Und zum Schluss dann noch der BGH, Beschl. v. 22.11.2017 – 4 StR 468/17. Den stelle ich mal ein in die Reihe „Klassischer Fehler, die ich ganz lange nicht mehr bedient habe, was allerdings nicht heißt, dass es in der Zwischenzeit keine „Klassischen Fehler“ gegeben hat. Hier geht es bei einer Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln um die die Beweiswürdigung. Ein Zeuge hatte den Angeklagten in der Hauptverhandlung aufgrund einer „erneuten“ Lichtbildvorlage als Täter wiedererkannt. Also eine „klassische“ Beweissituation, mit der man als große (!) Strafkammer umgehen können und wissen sollte, was dann alles im Urteil stehen muss. Wusste man beim LG paderborn allerdings wohl nicht. Jetzt weiß man es, denn der BGH hat es mitgeteilt:

b) Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist unter mehreren Gesichtspunkten lückenhaft, soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf ein Wiedererkennen durch den Zeugen P. bei einer „in der mündlichen Verhandlung erneut vorgelegten Lichtbildvorlage“ (UA 10) gestützt hat. Zum einen ergeben die Urteilsgründe nicht, ob diese Lichtbildvorlage vorschriftsmäßig erfolgt ist (vgl. RiStBV Nr. 18). Eine entsprechende Darstellung wäre hier aber erforderlich gewesen, da der Zeuge den Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung nicht sicher zu identifizieren vermochte und die Lichtbildvorlage für den Beweiswert der Aussage dieses Zeugen deshalb von entscheidender Bedeutung war (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 1996 – 4 StR 6/96, NStZ 1996, 350, 351; Miebach, NStZ-RR 2014, 233, 236 mwN). Zum anderen setzt sich die Strafkammer nicht mit dem eingeschränkten Beweiswert eines wiederholten Wiedererkennens in der Hauptverhandlung auseinander (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 2016 – 2 StR 480/16, StraFo 2017, 111; vom 30. März 2016 – 4 StR 102/16, NStZ-RR 2016, 223 [Ls]; Urteile vom 14. April 2011 – 4 StR 501/10, NStZ 2011, 648, 650; vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, NStZ 1998, 266, 267; vom 28. Juni 1961 – 2 StR 194/61, BGHSt 16, 204, 205 f.). Da sich das Landgericht die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten aus einer Gesamtschau des Beweisergebnisses gebildet hat, vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesen Rechtsfehlern nicht auszuschließen.“

So ganz fit scheint man da auch an anderer Stelle nicht zu sein. Denn sonst müsste der BGH nicht noch eine knappe Segelanweisung anschließen:

„3. Der neue Tatrichter wird bei der Darstellung der Ergebnisse der Auswertung von DNA-Spuren die insoweit geltenden Anforderungen der Rechtsprechung zu berücksichtigen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2016 – 2 StR 572/16, Rn. 12; vom 30. März 2016 – 4 StR 102/16, Rn. 12 mwN). Sollte wiederum § 30a Abs. 3 BtMG zur Anwendung kommen, wird die Sperrwirkung von § 29a Abs. 1 BtMG zu beachten sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 5 StR 536/14, Rn. 5; Beschluss vom 14. August 2013 – 2 StR 144/13, NStZ-RR 2014, 180).“

Und bitte: Keine „Gesundbeterkommentare“. 🙂

„Der war es, ich erkenne ihn wieder“, oder: Das Wiedererkennen im Strafverfahren

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Wer kennt nicht aus diversen Krimis im Fernsehen und in Spielfilmen die Gegenüberstellung und oder Lichtbildvorlagen. Wenn man es manchmal sieht, möchte man sich die Haare raufen. So viele Fehler werden da häufig gemacht. Und Fehler hatte auch eine Strafkammer des LG Erfurt in einem Verfahren wegen Diebstahls gemacht. Einer – letztlich der massivste – hat dann zur Aufhebung durch den BGH im BGH, Beschl. v. 08.12.2016 – 2 StR 480/16 – geführt.

Folgender Sachverhalt: Einbruch in eine Postfiliale,  den man den drei Angeklagten zur Last legt. Das LG verurteilt sie auf folgender Beweisgrundlage:  Das LG sieht einen der Angeklagten auf Grund der Aussagen von zwei Zeuginnen für überführt. Beide Zeuginnen hatten zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe zum Tatort drei männliche Personen beobachtet und auf einem um 20.32 Uhr anlässlich der Geschwindigkeitsüberwachung gefertigten, ihnen von der Polizei vorgelegten Lichtbild den einen Angeklagten wiedererkannt. Die Zeuginnen hatten dies auf Vorhalt in der Hauptverhandlung bestätigt; die einen Zeugin hatte den Angeklagten auch in der Hauptverhandlung wiedererkannt. Das LG hat dann zwar „nicht übersehen, dass das Bild des Angeklagten B. A. den Zeuginnen von den Ermittlungsbeamten nicht zusammen mit Bildern anderer Personen, sondern als Einzelbild vorgelegt wurde, so dass dem Ergebnis ein wesentlich geringerer Beweiswert zukommt als dem einer vorschriftsmäßigen Wahllichtbildvorlage. Es hat die Verurteilung gleichwohl auch auf die Aussage der Zeuginnen gestützt, da weitere gewichtige Indizien für die Täterschaft des Angeklagten B. A. sprächen. Insbesondere stehe aufgrund des vorgenannten um 20.32 Uhr gefertigten Fotos fest, dass alle drei Angeklagten von W. in Richtung D. gefahren seien, denn die Angeklagten seien auf dem Foto von der Polizeibeamtin Br. , die sie aus mehreren Ermittlungsverfahren im Großraum B. kenne, ebenso wie durch den Zeugen A. M. , der die Vermietung des auf dem Lichtbild abgebildeten Audi A8 abgewickelt habe, bei polizeilichen Lichtbildvorlagen wiedererkannt worden.“

Dem BGH genügt das -m.E. zu Recht – nicht:

„Diese Beweiswürdigung trägt die Verurteilung nicht. Denn das Wiedererkennen des Angeklagten B. A. auf dem um 20.32 Uhr gefertigten Bild begegnet nicht nur im Hinblick auf die fehlende Wahllichtbildvorlage Bedenken. Konnte ein Zeuge eine ihm vorher unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich der Tatrichter nicht ohne weiteres auf die subjektive Gewissheit des Zeugen beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat, und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283 Rn. 7). Dies hat das Landgericht vorliegend nicht getan. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, anhand welcher Merkmale die Zeuginnen K. und We. den Angeklagten auf dem um 20.32 Uhr gefertigten Bild, anhand dessen der anthropologische Sachverständige die Identität mit dem Angeklagten B. A. gerade nicht feststellen konnte (UA S. 24), wiedererkannt haben.

Die Beweiswürdigung ist überdies auch deshalb lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, ob sich das Landgericht mit dem eingeschränkten Beweiswert des wiederholten Wiedererkennens – nach fehlerhafter Lichtbildvorlage – durch die Zeugin K. in der Hauptverhandlung auseinandergesetzt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, BGHR StPO Identifizierung 13).

Ebenso wenig tragfähig ist die Beweiswürdigung des Landgerichts zu der Feststellung, der Angeklagte B. A. sei um 20.32 Uhr auf der Bundesautobahn in einem grauen Audi A8 zusammen mit den beiden Mitangeklagten von W. kommend unterwegs gewesen. Nach den Urteilsgründen konnte der anthropologische Sachverständige die Identität des Angeklagten auf dem Foto nicht positiv feststellen (UA S. 24). Die Erwägungen des Landgerichts zum Wiedererkennen durch die Zeugen Br. und A. M. bilden keine hinreichende Nachprüfungsgrundlage für das Revisionsgericht. Insoweit fehlt es bereits an einer konkreten Darlegung dazu, wann, wie oft, wie lange und in welchem zeitlichen Abstand zur Identifizierung die Zeugen den Angeklagten gesehen hatten. Eine Beurteilung der Fähigkeit der Zeugen, den Angeklagten zu identifizieren, ist dem Revisionsgericht vor diesem Hintergrund nicht möglich. Überdies werden auch hier äußere Merkmale des Angeklagten, anhand derer die Zeugen ihn auf dem Foto wiedererkennen konnten, nicht mitgeteilt.

Weiteren vom Landgericht als indiziell angenommenen Umständen – etwa der Vorstrafe des Angeklagten und dem opus moderandi – kommt angesichts dessen kein objektiver Beweiswert zu.“

Zutreffend und: Bei der Beweissituation muss man schon viel schreiben, um das „Wiedererkennen“ „revisionssicher“ zu machen. Was man schreiben muss, kann man überall nachlesen, steht in jedem Kommentar. Und jetzt hat man ja auch noch diesen BGH-Beschluss und dann gleich auch noch einen weiteren, nämlich den BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – 2 StR 472/16. Das sollte ja vorerst mal wieder reichen.

Ach so: „Opus moderandi“ muss wohl „opus operandi“ heißen 🙂 .

Auch beim zweiten Mal hat das Urteil beim BGH nicht „gehalten“.

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Das liest man nicht so häufig: Eine zweite Aufhebung durch den BGH. So aber nachzulesen im BGH, Beschl. v. 25.09.2012 –  5 StR 372/12. Der BGH hebt in dem Beschluss zum zweiten Mal die Verurteilung eines Angeklagten u.a. wegen Raubes auf, und zwar wegen Mängeln in der Beweiswürdigung. Dabei stützt sich der BGH vornehmlich auf die fehlerhafte Bewertung einer Lichtbildvorlage gegenüber einer Zeugin.

„aa) Die Strafkammer hat nicht hinreichend bedacht, dass der Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin Sc. aufgrund erheblicher Mängel der Wiedererkennungsleistung nur ein äußerst geringer Beweiswert zukommt. Dieser ist – was die Strafkammer im Grundsatz richtig erkannt hat – bereits dadurch stark herabgesetzt, dass die Zeugin den Angeklagten lediglich auf einer Einzelbildvorlage erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, BGHR StPO § 261 Identifizierung 13; Beschluss vom 18. August 1993 – 5 StR 477/93). Dieser Umstand wiegt um so schwerer, als die Zeugin – was das Landgericht ebenfalls im Grundsatz nicht verkannt hat – den Angeklagten weder in der sequentiellen Lichtbildvorlage noch in der Videowahlgegenüberstellung identifizieren konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, BGHR StPO § 261 Identifizierung 17), da dies Zweifel an ihrer Fähigkeit zur Wiedererkennung des Täters weckt und zusätzlichen Anlass zu der Annahme gibt, die Zeugin könnte durch den mit der Einzellichtbildvorlage verbundenen suggestiven Effekt beeinflusst worden sein…“

Damit ist dann ein Pfeiler der landgerichtlichen Beweiswürdigung entfallen:

„Angesichts des danach gravierend verringerten Beweiswerts der Identifizierungen des Angeklagten, auf die das Landgericht seine Überzeugung maßgeblich stützt, fehlt es insgesamt an einer ausreichenden Tatsachengrundlage, die den Schluss auf die für die Überzeugungsbildung erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Angeklagten zuließe. Die übrigen von der Strafkammer angeführten Gesichtspunkte vermögen auch in ihrer Gesamtheit nicht mehr als einen Verdacht zu begründen…“

Man fragt sich natürlich: Hätte die Strafkammer das wissen können bzw. ergaben sich aus der ersten Revisionsentscheidung Hinweise? M.E. wohl kaum, denn da hatte sich der BGH in seinem BGH, Beschl. v. 10.11.0211 – 5 StR 397/11 – mit einer ganz anderen Frage befasst. Nämlich mit der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit. Die Beweiswürdigung im Übrigen hatte der BGH nicht angesprochen.

Es geht dann jetzt in die 3. Runde.

Klarstellung beim BGH: DNA-Gutachten nur ein Indiz

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Für zumindest leichte Irritation hatte der BGH, Beschl. v. 21.01.2009 – 1 StR 722/08 im Jahr 2009 zur Frage des Beweiswertes eines DNA-Vergleichsgutachtens geführt. Der 1. Senat hatte in dem Beschluss das Ergebnis einer DNA-Analyse für die tatrichterliche Überzeugung ausreichen lassen.

Der BGH, Beschl. v. 06.03.2012 – 3 StR 41/12 stellt nun klar, dass das Ergebnis eines DNA-Vergleichsgutachtens nur als ein – wenn auch bedeutsames – Indiz anzusehen ist, das aber der Würdigung im Zusammenhang mit anderen für die Täterschaft sprechenden Beweisanzeichen bedarf. Denn ein solches Gutachten enthalte nur eine abstrakte, biostatistisch begründete Aussage über die Häufigkeit der festgestellten Merkmale bzw. Merkmalskombinationen innerhalb einer bestimmten Population.

Und: Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Berechnung auf ihre Plausibilität zu ermöglichen, seien die Berechnungsgrundlagen im Urteil mitzuteilen. Hierzu gehören nach Auffassung des BGH neben Verbreitungswahrscheinlichkeiten auch die eindeutige Kennzeichnung der verglichenen Systeme (Basenfolgemuster), die Zahl der Wiederholungen in den beiden zugehörigen Allelen sowie eine hinreichend deutliche Umschreibung der herangezogenen Vergleichspopulation.

Also: Der Schluss: DNA stimmt überein – „Sack zu“ kann nicht so einfach gezogen werden.