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Merkt das denn keiner?, oder: Wenn das Urteil nicht unterschrieben ist….

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In die Rubrik: Merkt das denn keiner?, gehört für mich der KG, Beschl. v. 22.11.2016 – (3) 161 Ss 191/16 (122/16). Das AG hat den Angeklagten am 21.03.2016 verurteilt. Das mit Gründen versehene Urteil geht am 31.03.2016 auf der Geschäftsstelle ein. Aber: Die Urteilsurkunde war nicht unterschrieben und sie ist durch den Strafrichter auch in der Folge nicht unterzeichnet worden. Gegen das Urteil wird Berufung eingelegt und erklärt, diese auf die Rechtsfolgen beschränkt wird. Das LG verwirft die Berufung. Die Strafkammer ist von einer wirksamen Beschränkung der Rechtsmittel ausgegangen und hat die daher für rechtskräftig gehaltenen Feststellungen der amtsgerichtlichen Urteilsurkunde wörtlich wiedergegeben. Dagegen die Revision. Und die hat beim KG Erfolg.

Auf die wirksam erhobene Sachrüge hat der Senat von Amts wegen zu prüfen, ob das Landgericht über alle Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils entschieden hat, die von der Berufung erfasst werden (vgl. Senat VRS 115, 137; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 250; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 59. Aufl., §.352 Rn. 4 m.w.N..). Wenn die Anfechtung des Urteils nur dem Rechtsfolgenausspruch gelten soll, setzt dies grundsätzlich voraus, dass die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils den Schuldspruch tragen und eine hinreichende Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgen bieten. Beides ist hier nicht der Fall.

„In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass das Fehlen der richterlichen Unterschrift abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Fehlens (nur) der Unterschrift eines Richters bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichsteht (BGHSt 46, 204; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 250 m.w.N. ; Saarländisches OLG, Beschluss vom 20. Mai 2016 – Ss 28/16 [21/16] — m.w.N. [juris]; OLG Schleswig SchIHA 2002, 172 [Volltext bei juris]; Meyer-Goßner/Schmitt aa0, § 318 Rn 16 m.w.N.). Bei dem hier zu den Akten gebrachten Schriftstück, das keine richterliche Unterschrift trägt, dessen Feststellungen die Strafkammer aber als bindend angesehen hat, handelt es sich damit um kein Urteil, sondern lediglich um den Entwurf des schriftlichen Urteils (vgl. KG, Beschluss vom 8. August 2016 4 Ss 108/16 —; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 2 [7] SsBs 467/15  [juris]). Als solcher schied es als Grundlage für die vom Berufungsgericht zu treffende Rechtsfolgenentscheidung aus. Die von den Angeklagten erklärte Beschränkung ihrer Berufungen ist daher unwirksam (vgl. OLG Frankfurt aa0; Saarländisches OLG a.a.O. m.w.N.).

Da das Landgericht aber von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen ist, hat es nur noch ergänzende Feststellungen zum Schuld- und Strafausspruch getroffen. Damit verfehlt das Urteil die Anforderungen des § 267 StPO, namentlich fehlen die „für erwiesen erachteten Tatsachen (…), in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden“ (§ 267 Abs. 1 ‚Satz 1 StPO).

2. Die das nicht unterschriebene Urteil betreffende Zustellungsverfügung des Amtsrichters kann die Urteilsunterschrift nicht ersetzen (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Düsseldorf VRS 72, 118). Nach Ablauf der in § 275 StPO bestimmten Frist konnte der Mangel auch nicht mehr behoben werden (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 237). Er ist schließlich auf die Sachrüge (BGHSt 46, 204) und damit auch bei der von Amts wegen veranlassten Prüfung der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung zu beachten (OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 24 [Revisionsbeschränkung]).

3. Für den neuen Rechtsgang weist der Senat darauf hin, dass die fehlende Unterschrift der allerdings vollständigen — Durchführung der Hauptverhandlung nicht entgegensteht. Denn formale Fehler im erstinstanzlichen Urteil sind in der Berufungsinstanz regelmäßig ohne Bedeutung. Das Rechtsmittel kann daher auch durchgeführt werden, wenn das erstinstanzliche Urteil gar keine Gründe enthält (vgl. Saarländisches OLG a.a.O. m.w.N.). Für den hier vorliegenden geringeren Form- und Verfahrensfehler gilt nichts anderes.“

Strafrichter und Vorsitzender der Berfungskammer merken nicht, dass die Unterschrift fehlt. Die Geschäftsstelle des AG natürlich auch nicht. Man versteht es nicht………

„Wichser“ reicht nicht – im „Beleidigungs-Urteil“ muss mehr stehen

entnommen wikimedia.org Autor Christoph Braun

entnommen wikimedia.org Autor Christoph Braun

Zu dem Beitrag „Konfetti im Gerichtssaal – Bärendienst?“ passt ganz gut  (na ja, immerhin ging es da auch um die Beleidigung eines Polizeibeamten)  der OLG Bamberg, Beschl. v. 25. 11. 2013 – 3 Ss 114/13. Ausgangspunkt für ihn ist nämlich auch ein amtsgerichtliches Verfahren gewesen, in dem der Angeklagte wegen Beleidigung von Polizeibeamten  verurteilt worden ist. Anschließend war die Berufung auf das Strafmaß beschränkt worden. Diese Beschränkung, deren Wirksamkeit von Amts wegen zu prüfen ist, hat das OLG als teilweise unwirksam angesehen. Es verweist dazu allgemein auf den allgemeinen Grundsatz in der Rechtsprechung der OLG, dass eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur dann wirksam ist, wenn die Schuldfeststellungen eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben.

Und das hat es dann für den einen der beiden abgeurteilten Beleidigungsfälle verneint:

a) Das AG hat hinsichtlich der ersten Tat neben der form- und fristgerechten Strafantragstellung nur festgestellt, dass der Angekl. „am 02.03.2013 gegen 2:45 Uhr […] in D., C-Straße den Polizeibeamten S.“ als „Wichser“ beschimpfte, „um seine Missachtung auszudrücken“. Aus den Darlegungen des AG im Rahmen seiner Beweiswürdigung und den Strafzumessungserwägungen ergibt sich im Hinblick auf dieses erste Tatgeschehen lediglich noch, dass die Überzeugung des Gerichts insoweit „aufgrund des glaubhaften und glaubwürdigen Geständnisses des Angeklagten“ gewonnen wurde und dass sich der teilgeständige Angekl. „gegenüber dem Polizeibeamten S. bereits schriftlich entschuldigt“ hat. Aus dem Berufungsurteil kann hierzu noch ergänzend entnommen werden, dass der Angekl. dort – im Unterschied zu seiner erstinstanzlichen Einlassung – „beide Tatvorwürfe, auch die bisher in Abrede gestellte Beleidigung gegenüber dem Beamten T. am 02.03.2013, eingeräumt“ und „mitgeteilt“ hat, „unter Alkoholeinfluss gestanden und deshalb wohl den nötigen Respekt verloren zu haben“, weshalb er „inzwischen Kontakt zur Suchtberatung aufgenommen habe“.

b) Diese Feststellungen sind unzureichend, da sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes über die reine Tatbestandserfüllung hinaus nicht erkennen lassen und damit als (alleinige) Grundlage für die Strafzumessung nicht ausreichen: Aus den knappen Feststellungen des AG ergibt sich noch nicht einmal, ob die Beschimpfung des Polizeibeamten mit einer Formalbeleidigung im Zusammenhang mit dessen Dienstausübung erfolgte oder der Beamte als Privatperson beleidigt wurde. Sofern die Beleidigung im Rahmen der Dienstausübung des Geschädigten erfolgt sein sollte, sind regelmäßig weitere Mindestfeststellungen zum Vortatgeschehen und den Beweggründen und Zielen des Täters, etwa zur polizeilichen Maßnahmerichtung, ihrem Anlass und Ablauf sowie zu möglichen Rechtsgrundlagen und gegebenenfalls zur Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, gegen die sich der Angekl. verbal ‚zur Wehr gesetzt hat‘, unverzichtbar (OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.10.2007 – 2 St OLG Ss 160/07 [bei juris]).

Im zweiten Fall haben die Feststellungen nach dem „berühmten Gesamtzusammenhang“ der Urteilsgründe dann noch ausgereicht:

3. Zwar beschränkt sich auch die Sachverhaltsschilderung der zweiten Tat des Angekl. vom „02.03.2013 gegen 4:55 Uhr“ (Beschimpfung des Zeugen und Polizeibeamten PHM T.) auf die für den Schuldspruch unabdingbaren Mindestangaben. Im Unterschied zur ersten Tat können jedoch aufgrund des Fehlens einer geständigen Einlassung über die zusammenfassende Darstellung der Aussagen der beiden polizeilichen Zeugen im Rahmen der Beweiswürdigung weitere für den Schuldumfang wichtige Erkenntnisse zum Anlass des polizeilichen Einsatzes, der unmittelbar vor der Tat ergriffenen polizeilichen Maßnahmen und zum Vortatverhalten des Angekl. gewonnen werden. In der Gesamtschau der amtsgerichtlichen Urteilsgründe kann damit für diese zweite Tat noch von einer hinreichenden Grundlage für die Strafzumessung ausgegangen werden mit der Folge, dass das LG insoweit zu Recht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgehen durfte. Da insoweit auf die Revision auch keine weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. offenbar geworden sind, war das Rechtsmittel entsprechend dem Antrag der GenStA im Übrigen, nämlich im Schuldspruch und im Ausspruch über die vom LG rechtsfehlerfrei festgesetzte Einzelstrafe von zwei Monaten wegen der dem Angekl. zu Last liegenden zweiten Beleidigung gemäß § 349 II StPO als un­begründet zu ver­werfen.“

Also: Gratwanderung.