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OWi III: Verhängung eines Fahrverbotes, oder: Wenn der Betroffene bei dem Verkehrsverstoß verletzt wurde

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Und als dritte OWi-Entscheidung dann mit dem KG, Beschl. v. 29.07.2021 – 3 Ws (B) 182/21 – etwas zum Fahrverbot, und zwar zum Begründungserfordernis, wenn der Betroffene bei dem Verkehrsverstoß selbst verletzt worden ist:

„Das Amtsgericht Tiergarten hat den nicht vorbelasteten Betroffen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 38 Abs. 1 Nr. 2 (richtig: Satz 2) StVO, 49 Abs. 3 Nr. 2 (richtig: Nr. 3) StVO zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und unter Gewährung des Erstverbüßerprivilegs ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Bei der Bemessung der Rechtsfolgen hat das Gericht Nr. 135.2 BKat angewendet („Einem Einsatzfahrzeug, das blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwendet hatte, nicht sofort freie Bahn geschaffen – mit Sachbeschädigung“). Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Motorrads mit einem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr kollidierte, der sich zuvor „langsam mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn in die Kreuzung“ eingetastet hatte. Der Betroffene wurde hierbei selbst „erheblich verletzt“ (UA S. 3). Er erlitt einen Kreuzband- und einen Seitenbandabriss (UA S. 3) und war nach einer stationären Krankenhausbehandlung noch längere Zeit arbeitsunfähig. Das Amtsgericht hat wegen der „erheblichen Verletzungen“ nicht auf die Regelgeldbuße von 320 Euro erkannt (UA S. 5). Bei der Begründung des Fahrverbots führt das Urteil aus, der Fall weise „keine wesentlichen Besonderheiten auf“, welche „die Verhängung eines Fahrverbots hier unangemessen erscheinen lassen.“ Auch der Betroffene habe nichts derartiges eingewandt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt in Bezug auf den Schuldspruch erfolglos, dringt aber mit der Sachrüge gegen den Rechtsfolgenausspruch durch.

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In Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.

Allerdings hat das Amtsgericht zunächst zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen für den vom Betroffenen an sich verwirkten Regelfall eines groben Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV vorliegen. Jedoch folgt hieraus nicht, dass unbedingt ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter auch in den Regelfällen des § 4 Abs. 1 BKatV ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809; OLG Bamberg VRS 114, 379). Denn die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Die tatrichterliche Entscheidung wird vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft, ob das Tatgericht sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten oder sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat.

Hier wird nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht bei der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens die tragenden Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Namentlich wäre bei der Begründung des Fahrverbots zu erörtern gewesen, ob die erheblichen Verletzungen, welche der Betroffene bei seiner Ordnungswidrigkeit erlitten hat, ihn bereits ausreichend zur Besinnung gebracht und gewarnt haben. Das Amtsgericht hat diesen Umstand bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt, nicht aber bei der Frage, ob auf das an sich indizierte Fahrverbot ausnahmsweise verzichtet werden kann, weil der Betroffene durch die unmittelbaren und schweren Folgen seiner Fahrlässigkeitstat ausreichend beeindruckt ist.

Es kann hier offenbleiben, ob das Fahrverbotserkenntnis rechtsbeschwerderechtlich Bestand gehabt hätte, wenn das Amtsgericht diese Überlegung erkennbar in seine Ermessensentscheidung eingestellt und gegebenenfalls kurz erörtert hätte. Dies liegt aber nahe, denn das Rechtsbeschwerdegericht hat die Ermessensentscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. OLG Hamm DAR 2021, 477; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen 4. Aufl., § 6 Rn. 203). Dass der Fall, wie die Tatrichterin ausdrücklich im Zusammenhang mit der Besinnungs- und Denkzettelfunktion des Fahrverbots ausführt, „keine wesentlichen Besonderheiten“ aufweise, kann der Senat aber nicht nachvollziehen und bewertet es als ermessensfehlerhaft.“