Weihnachten rückt immer näher, aber ein wenig dauert es noch. Hier gibt es heute daher erst noch zwei Gebührenentscheidungen. Und vor Weihnachten natürlich zwei „richtige“ Entscheidungen.
Ich starte mit dem LG Augsburg, Beschl. v. 23.11.2023 – 8 Qs 307/23 -, dem folgenden Sachverhalt zugrunde liegt:
Die Pflichtverteidigerin hat nach Ergreifung des Verurteilten aufgrund eines vom AG erlassenen Haftbefehls am 04.08.2022 an der Vernehmung des Beschuldigten durch den zuständigen Richter (§ 115 StPO) vor dem AG teilgenommen. In diesem Termin gab die Pflichtverteidigerin für den Beschuldigten eine Einlassung zur Sache ab und stellte den Antrag, nach Aktenlage zu entscheiden.
Die Pflichtverteidigerin hat dan die Festsetzung ihrer Gebühren beantragt und hat u.a. auch für die Teilnahme an dem Termin vom 04.08.2022 eine Gebühr nach Nrn. 4102, 4103 VV RVG begehrt. Das AG hat diese Gebühr zunächst nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung der Pflichtverteidigerin ist die Gebühr dann festgesetzt worden. Dagegen hat die Staatskasse Beschwerde eingelegt, die beim LG keinen Erfolg hatte:
„2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet und hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtenen Entscheidungen des Amtsgerichts Augsburg entsprechen der Sach- und Rechtslage.
Deren Begründung wird durch das Beschwerdevorbringen, das sich in dem wiederholten Vorbringen erschöpft, ein „Verhandeln“ im Sinne des Gebührentatbestands habe nicht stattgefunden, nicht entkräftet. Die Kammer teilt die Auffassung, dass die Terminsgebühr VV 4103, 4102 Nr. 3 RVG angefallen und dementsprechend auch festzusetzen ist.
VV 4103 RVG sieht eine Gebühr mit Zuschlag für die Gebührentatbestände der VV 4102 RVG vor. VV 4102 Nr. 3 RVG sieht eine Terminsgebühr für Termine außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird, vor.
Bei der am 04.08.2022 erfolgten Vernehmung des (damaligen) Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter(§ 115 StPO) vor dem Amtsgericht Augsburg handelt es sich um einen solchen Termin außerhalb der Hauptverhandlung, in dem über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird. Unstreitig kann ein solcher Termin nämlich auch ein sog. ,,Vorführtermin“ sein, der hier zweifelsfrei außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt ist.
Wie seitens der Staatskasse zutreffend ausgeführt wird, ist für das Entstehen dieser Gebühr ein „Verhandeln“ erforderlich (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4102 Rn. 13). Mit diesem Erfordernis wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst werden und die Teilnahme des Rechtsanwalts an derartigen Terminen nicht gesondert honoriert wird (vgl. OLG Saarbrücken, B. v. 25.06.2014, 1 Ws 85/14 – juris Rn. 7).
Entgegen der Auffassung der Staatskasse hat ein solches „Verhandeln“ im Termin vom 04.08.2022 jedoch stattgefunden. Daran ändert auch der abermalige Verweis der Staatskasse in der Beschwerdebegründung vom 05.10.2023 auf die Entscheidungen des OLG Saarbrücken (B. v. 25.06.2014, 1 Ws 85/14 – juris) und OLG Bamberg (B. v. 19.01.2012, 1 Ws 692/20 – juris) nichts, da selbstverständlich die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick zu nehmen sind und den zitierten Entscheidungen – soweit ersichtlich – ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde lag:
Der Entscheidung des OLG Bamberg lag ein Haftbefehlseröffnungstermin zugrunde, nachdem das Landgericht nach Anklageerhebung gegen den später Verurteilten einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl erließ. Der darauf folgende Termin zur Verkündung und Eröffnung des neuen Haftbefehls fand in Anwesenheit des Pflichtverteidigers statt. Nach der Vereidigung des Dolmetschers und der Feststellung der Personalien des zum damaligen Zeitpunkt Angeschuldigten wurde diesem eine Haftbefehlsabschrift überreicht. Anschließend wurde die Sitzung kurz unterbrochen. Nach Fortsetzung der Sitzung erklärte der Angeschuldigte, dass er den Haftbefehl erhalten habe, dieser ihm vom Dolmetscher vorgelesen worden sei und er ihn verstanden habe. Er bestätigte, die im Haftbefehl benannte Person zu sein. Nach gerichtlicher Belehrung des Angeschuldigten über dessen Rechte erklärte der Verteidiger, dass eine Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werde. Dies bestätigte der Angeschuldigte. Anschließend bestätigte das Landgericht den neuen Haftbefehl.
Ersichtlich erfolgte in diesem Haftprüfungstermin gerade keine Einlassung zur Sache, auch eine Antragstellung durch den Verteidiger erfolgte nicht. Vielmehr erschöpfte sich die „Leistung“ des Verteidigers hier darin, seinen Mandanten dahingehend zu beraten, keine Einlassung zur Sache und zur Person abzugeben. Zutreffend ließ das OLG Bamberg dies nicht ausreichen, da das Landgericht durch diese Erklärung gar nicht in die Lage versetzt werden konnte über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Fortdauer der Untersuchungshaft ernsthaft zu entscheiden.
Auch hinsichtlich des der Entscheidung des OLG Saarbrücken zugrunde liegenden Sachverhalts hatte sich der damalige Beschuldigte nach vorläufiger Festnahme im Rahmen zweier Haftvorführungen nicht zum Sachverhalt oder zu den Haftgründen eingelassen, sondern von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht. Anträge stellte der Verteidiger – soweit sich der Entscheidung entnehmen lässt – jeweils nicht.
Damit wird bereits der Unterschied zu dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt deutlich: In dem Termin am 04.08.2022 hat die Verteidigerin für den (damaligen) Beschuldigten eine Einlassung zur Sache abgegeben, an die sich der Beschuldigte anschließend im Rahmen eines (etwaigen) Hauptverfahrens auch zu messen hätte. Zusätzlich hat die Verteidigerin auch den Antrag gestellt, nach Aktenlage zu entscheiden. Wie sich sowohl den zitierten Entscheidungen als auch der Kommentarliteratur (vgl. etwa Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4102 Rn. 14) wie auch der Gesetzesbegründung (vgl. ST-Drucks. 15/1971, S. 223) entnehmen lässt, sollen die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine von dem Gebührentatbestand nicht erfasst werden. Schließt sich allerdings eine Verhandlung über die Fortdauer der Untersuchungshaft an, entsteht die Terminsgebühr (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 223).
Vorliegend hat ein solches „Verhandeln“ über die Fortdauer der Untersuchungshaft stattgefunden. Wie ein Blick in § 112 Abs. 1 StPO zeigt, setzt die Anordnung der Untersuchungshaft voraus, dass der Beschuldigte einer Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Dementsprechend kann selbstverständlich auch eine Einlassung zur Sache die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft entfallen lassen. Hierzu hat sich der Beschuldigte in dem Termin über seine Verteidigerin eingelassen. Allein der Umstand, dass der Beschuldigte den Tatvorwurf nicht bestritten hat, kann seiner Verteidigerin bei der Beurteilung, ob ein Verhandeln im Sinne des Gebührentatbestands vorliegt, nicht anschließend im Kostenfestsetzungsverfahren zum Nachteil gereichen.
Zusätzlich hat die Verteidigerin auch den Antrag gestellt, nach Aktenlage zu entscheiden. Damit hat sie sehr wohl einen Antrag hinsichtlich der Fortdauer der Untersuchungshaft gestellt:
Das Amtsgericht Augsburg ist nämlich bei Erlass des Haftbefehls am 15.07.2022 irrig davon ausgegangen, dass der Haftgrund der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO vorliegt. Zu diesem Zeitpunkt saß der Beschuldigte jedoch bereits in Strafhaft in anderer Sache in einer Justizvollzugsanstalt ein, sodass das Amtsgericht Augsburg spätestens bei der Haftbefehlseröffnung am 04.08.2022 dazu angehalten gewesen wäre, den Haftbefehl vom 15.07.2022 nicht aufrechtzuerhalten, sondern richtigerweise aufzuheben und ggf. einen neuen Haftbefehl mit einem tragfähigen Haftgrund zu erlassen.
Ein darüberhinausgehendes Verhandeln – wie von den Bezirksrevisoren des Amtsgerichts Augsburg für erforderlich erachtet – ist hier nicht zu fordern. Die Verteidigerin hat mit ihrer Tätigkeit innerhalb des Termins am 04.08.2022 alles Erforderliche hierfür getan, den Gebührentatbestand VV 4103, 4102 Nr. 2 RVG zu erfüllen.“
M.E. zutreffend und: Es hätte m.E. gar nicht so viel Worte zur Begründung der Festsetzung der Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV RVG gebraucht, wie sie hier das LG gemacht hat. Denn das LG weist selbst zutreffend darauf hin, dass es Sinn und Zweck des Erfordernisses des „Verhandelns“ in der Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG ist, die reinen Haftbefehlsverkündungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen. Erfasst werden sollen aber alle (Verkündungs-)Termine, in denen mehr geschehen ist, also die bloße Verkündung eines Haftbefehls (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O. VV 4102 Rn 13 ff. m.w.N.). Und das war hier der Fall.