In mehrfacher Hinsicht interessant ist der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2016 – 2 (4) Ss 633/16 – AK 226/16 -, den mir der Kollege Helling aus Waldshut-Tiengen übersandt hat. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Das LG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB verurteilt. Das OLG hebt auf und stützt die Aufhebung im Wesentlichen auf zwei Gründe:
- Fehler in der Beweiswürdigung betreffend den Zeitpunkt der Alkoholaufnahme durch den Angeklagten im Hinlick auf einen vom Angeklagten behaupteten Nachtrunk.
- Fehler in der Begründung der Ablehnung einer alkoholbedingten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nach § 21 StGB. Das AG hatte nicht nur schon die maßgeblichen Tatzeit-BAK falsch ermittelt – 2,46 Promille anstatt 3,76 Promille -, sondern eine nicht ausreichende Würdigung der Umstände in Tat und Person vorgenommen.
So weit, so gut – insoweit wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen. Besonders hinweisen will ich dann aber auf eine Segelanweisung des OLG betreffend die Verwertbarkeit von Angaben eines Vernehmungsbeamten. Dazu führt das OLG aus:
„Ob die Angaben des Vernehmungsbeamten des Angeklagten gegebenenfalls aufgrund eines alkoholbedingten Verständnisdefizits im Hinblick auf dessen Belehrung als Beschuldigter über sein Schweigerecht einem aus den §§ 163 Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO abgeleiteten Verwertungsverbot (hierzu BGH NStZ 1994, 95, juris Rn. 8) oder aufgrund alkoholbedingter Vernehmungsunfähigkeit einem Verwertungsverbot aus § 136a StPO unterliegen (Diemer in: KK-StPO, 7. Auflage, § 136a, Rn. 13, 16 m.w.N.), obliegt der tatgerichtlichen Würdigung. In der Regel dürfte ein Beschuldigter dann, wenn er infolge seiner geistigen oder seelischen Verfassung die Belehrung über die Aussagefreiheit nicht versteht, auch nicht vernehmungsfähig sein (Gleß in: Löwe-Rosenberg, 26. Auflage, § 136, Rn. 86). Ob derartige Defizite beim Angeklagten vorlagen, ist eine Frage, die der Tatrichter im Wege des Freibeweises zu prüfen hat. Dabei gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht (BGH NStZ 1993, 393; OLG Stuttgart, B. v. 28.04.2009, 2 Ss 747/08, juris Rn. 16; OLG Köln StV 1989, 520, 521).
Ob ein Zeuge oder ein Beschuldigter in der Lage war, die ihm erteilte Belehrung zu verstehen, richtet sich nach den Grundsätzen, die für die Beurteilung gelten, ob der Erklärende verhandlungsfähig war. Diese Fähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel oder Krankheiten ausgeschlossen (BGH NStZ 1993, 393). Dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung unter vorläufiger Betreuung stand, ist für die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte als Beschuldigter unerheblich. Nicht der gesetzliche Vertreter, sondern der Beschuldigte ist höchstpersönlich zu belehren (Diemer, a.a.O., § 136, Rn. 11; Rogall in: SK-StPO, 41. Aufbaulieferung, § 136, Rn 33; Gleß, a.a.O., § 136, Rn. 32; Meyer-Goßner/Schmitt, § 136, Rn. 8); unabhängig vom Aufgabenbereichs eines vorläufig bestellten Betreuers ist ein Beteiligungsrecht des gesetzlichen Vertreters – wie im Fall des Bestehens eines Aussageverweigerungsrechts eines Zeugen nach § 52 Abs. 2 S. 1 StPO – bei der Ausübung des Schweigerechts durch den Beschuldigten gesetzlich nicht vorgesehen.
Im Hinblick auf die Prüfung eines Verstoßes gegen § 136a StPO ist dabei darauf hinzuweisen, dass ein Verwertungsverbot grundsätzlich unabhängig davon besteht, ob der Beschuldigte die zur Vernehmungsunfähigkeit aufgrund Alkoholkonsums führende Trunkenheit selbst verursacht hat. Insoweit ist allein der objektive Zustand maßgebend (OLG Stuttgart a.a.O., Rn. 16; OLG Köln a.a.O., 521). Unerheblich ist ebenfalls, ob die Vernehmungsperson die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der Willensfreiheit erkannt hat oder nicht (OLG Köln a.a.O., 521; Diemer, a.a.O., § 136a, Rn. 13, 16 m.w.N.).
Vorliegend dürfte für die Feststellung der kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten zum Zeitpunkt seiner Belehrung und Vernehmung als Beschuldigter neben der konkret zu berechnenden Blutalkoholkonzentration und seinem Leistungsvermögen einer gegebenenfalls bestehenden Alkoholgewöhnung (bei einer BAK von immerhin 1,96 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme scheint der Angeklagte nach Darstellung der Zeugenangaben im Urteil kaum beeinträchtigt gewesen zu sein), einer gegebenenfalls bestehenden psychiatrischen Erkrankung oder einer Wechselwirkung mit eventuell eingenommenen Medikamenten indizielle Bedeutung beizumessen sein; bei einem trinkgewöhnten Angeklagten ließe sich jedenfalls eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit nicht allein auf einen Blutalkoholgehalt von zwei Promille stützen (hierzu BGH bei Dallinger MDR 1970, 14). Hierzu wird das Vordergericht – gegebenenfalls sachverständig beraten – weitergehende Feststellungen zu treffen haben.“
Da steckt Musik drin.