Schlagwort-Archive: Ablehnung wegen Prozessverschleppung

Beweisantrag III: Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages wegen Prozessverschleppung, oder: Nicht erst im Urteil

© robotcity – Fotolia.com

Die dritte und letzte Entscheidung des Tages enthält dann etwas Neues. Der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.07.2020 – 1 Ss 90/20, den mir der Kollege Koop aus Lingen geschickt hat, ist nämlich, soweit ich das sehen, die erste Entscheidung die sich mit der Einfügung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“, BGBl I, S. 2121, befasst. Stichwort: Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung. Von daher also etwas Neues.

In der Sache ein im Grunde ganz einfacher Sachverhalt: Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung im Rahmen einer Auseinandersetzung zweier verfeindeter Familien verurteilt. Er hat bestritten, den Geschädigten geschlagen zu haben. Der Schlag wird aber von einem Polizeibeamten, der mit einer Kollegin zu der Schlägerei hinzu gerufenen worden ist, bekundet. Der Verteidiger stellt dann im Plädoyer einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Kollegin. Den lehnt  das Gericht (erst) im Urteil wegen Prozessverschleppung ab. Dagegen die Revision, die beim OLG Erfolg hatte:

„Der Senat kann nicht ausschließen, dass diese Feststellungen auf den mit der Revision geltend gemachten Verfahrensfehlern beruhen.

1. Zu Recht rügt die Revision, das Landgericht habe einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Polizeianwärterin pp. zu Unrecht wegen Prozessverschleppung abgelehnt.

a) Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

In seinem Schlussvortrag vor dem Landgericht beantragte der Verteidiger des Angeklagten, für den Fall, dass die Kammer die Schuld des Angeklagten so festzustellen beabsichtige, wie es das Amtsgericht getan habe, die PKA’in pp. PK Nordhorn, als Zeugin zu laden. Diese werde bekunden, dass sie den Angeklagten nicht als Person erkannt habe, die auf den Zeugen pp. einwirkte, sondern dass er in deutlicher Entfernung vom Pkw des pp. an der dort befindlichen Tankstelle gewesen sei, und zwar während des Zeitraums, in dem der Zeuge pp., an seinem Fahrzeug sich befunden habe.

Diesen Antrag hat die Strafkammer im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt.

Unabhängig davon, dass der Antrag keine Angaben darüber enthalte, weshalb die Polizeianwärterin pp. dieses Geschehen wahrgenommen haben solle (§ 244 Abs. 3 a.E StPO), würde diese Beweisaufnahme nicht Sachdienliches zu Gunsten des Angeklagten erbringen. Denn der Zeuge pp. habe bekundet, seine Kollegin pp sei nach dem Einsatz nichtmals in der Lage gewesen, einen Einsatzbericht zu verfassen. Es sei ihr erster Einsatz im Polizeidienst gewesen und sie sei von der Situation völlig überwältigt und überfordert gewesen. Tatsächlich befinde sich kein Bericht von Frau pp- in der Akte. Da der Zeuge pp. diese Erklärung auf Nachfrage des Verteidigers abgegeben habe, sei dem Verteidiger auch bewusst gewesen, dass sein Antrag nichts Sachdienliches würde erbringen können. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte in seiner Einlassung gerade in Abrede genommen habe, bei der Tankstelle gewesen zu sein, sondern sich vielmehr so eingelassen habe, sich von seiner Wohnanschrift direkt ins Getümmel zu seinem Bruder begeben zu haben und dort festgenommen worden zu sein. Der Zeuge pp. habe erklärt, sich völlig sicher zu sein, dass der Angeklagte auf pp. eingeschlagen habe. In einer Gesamtschau habe der Antrag damit allein den Zweck der Verschleppung des Verfahrens gedient, § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO.

b) Die Vorgehensweise des Landgerichts erweist sich bereits deshalb als unzulässig, weil eine Ablehnung des Beweisantrags erst im Urteil unzulässig war.

Zwar bedarf regelmäßig ein vom Angeklagten oder seinem Verteidiger im Rahmen der Schlussausführungen gestellter Hilfsbeweisantrag, den das Gericht für unbegründet hält, keiner gesonderten Bescheidung durch besonderen Beschluss; er kann vielmehr in den Urteilsgründen behandelt und abgelehnt werden.

Für das bis zur Änderung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. 1, S. 2121) geltende Recht sollte dieses nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber nicht gelten, wenn ein Hilfsbeweisantrag wegen Verschleppungsabsicht des Antragstellers abgelehnt werden sollte. Denn dem Antragsteller müsse Gelegenheit gegeben werden, den Vorwurf, er habe den Beweisantrag nur in Verschleppungsabsicht gestellt, zu entkräften oder die ihm sonst infolge der Ablehnung des Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen. Das könne er z.B. dadurch tun, dass er den abgelehnten Beweisantrag mit neuer, umfassenderer oder genauerer Begründung wiederhole oder dass er mit entsprechender Begründung einen anderen Beweisantrag stelle, so dass dann das Gericht genötigt sei, sachlich auf den neuen Beweisantrag einzugehen, nämlich entweder durch Erhebung des Beweises oder durch Wahrunterstellung bestimmter für den Angeklagten günstiger Tatsachen oder aber auch durch Ablehnung aus anderen, im Gesetz vorgesehenen Gründen (vgl. schon BGH, Beschluss v. 08,05.1968, 4 StR 326167, BGHSt 22, 124; so auch BGH, Urteil v. 26.08.1982, 4 StR 357/82, NJW 1983, 54, sowie Beschluss v. 21.08.1997, 5 StR 312/97, NStZ-RR 1998, 14; vgl. auch Senatsentscheidung v. 23.01.1979, Ss 621/78, Nds.Rpfl 1979, 110).

Die mit der durch die seit dem 13. Dezember 2019 gültigen Gesetzesänderung in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nunmehr gegebene Möglichkeit, einen Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht nicht durch Beschluss des Gerichts, sondern durch den Vorsitzenden zurückzuweisen, hat hieran nichts geändert. Denn die Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht beinhaltet auch nach neuer Rechtslage einen Missbrauchsvorwurf, zu dem dem Antragsteller aus Gründen der Verfahrensfairness und zur Verhinderung von Überraschungsentscheidungen rechtliches Gehör zu gewähren ist (vgl. Meyer-Goßner /Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rz. 90b). Hinzu kommt, dass nur so dem Antragsteller die – angesichts der nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit (dazu sogleich c.) umso bedeutsamere – Möglichkeit eröffnet wird, eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen.

c) Im Übrigen ist die Behandlung des Beweisantrags als in Prozessverschleppungsabsicht gestellt auch in der Sache zu Unrecht erfolgt.

Einem Beweisantrag braucht das Gericht wegen Prozessverschleppungsabsicht nur dann nicht nachzugehen, wenn die begehrte Beweiserhebung den Abschluss des Verfahrens erheblich hinauszögern kann, sie nach Überzeugung des Gerichts – dem insoweit eine Vorauswürdigung gestattet ist – nichts Sachdienliches zu erbringen vermag und wenn der Antragsteller sich dieser Umstände bewusst ist und er deshalb mit seinem Verlangen ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckt (vgl. BGH, Beschluss v. 03.07.1990, 1 StR 340/90, NJW 1990, 2328). Dabei steht dem Tatrichter bei der anhand von Indizien vorzunehmenden Würdigung, ob Verschleppungsabsicht vorliegt, ein vom Revisionsgericht hinzunehmendes Ermessen zu. Trotz des dem Gericht zustehenden Ermessens ist durch das Revisionsgericht aber zu prüfen, ob der Tatrichter seiner Entscheidung für die Annahme von Verschleppungsabsicht diese stützenden Beweisanzeichen zu Grunde gelegt und er sich bei seiner Gesamtwürdigung der Indizien im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rz. 103a).

Diese Prüfung lässt vorliegend ausreichende Indizien für die Annahme einer Verschleppungsabsicht nicht erkennen. Das Gericht kann die Annahme von Verschleppungsabsicht nicht darauf stützen, dass das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache schon bewiesen sei (vgl. BGH, Beschluss v. 03.07. 1990, 1 StR 340/90, NJW 1990, 2328) oder dass sich bislang keine Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt der jetzt erhobenen Beweisbehauptung ergeben hätten (vgl. BGH, Urteil v. 03.02. 1982, 2 StR 374/81, NStZ 1982, 291).

Ohne hinreichende Aussagekraft ist es auch, dass die Beweisbehauptung des Verteidigers nicht in jedem Punkt mit den Angaben des Angeklagten sachlich übereinstimmt (vgl. schon BGH, Urteil v. 03.08.1966, 2 StR 242/66, BGHSt 21, 118).

Die seitens des Landgerichts für die Annahme einer Verschleppungsabsicht herangezogenen Gesichtspunkte, nämlich die Angabe des Zeugen pp. die Polizeianwärterin pp. sei nicht in der Lage gewesen, einen Einsatzbericht zu verfassen, und die Einlassung des Angeklagten, er habe sich von seiner Wohnanschrift aus direkt in Getümmel begeben, sind daher nicht geeignet, die Annahme von Verschleppungsabsicht zu stützen. Hinzu kommt noch, dass es, was die Strafkammer in ihre Erwägungen nicht eingestellt hat, um den ersten im einzigen Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag gehandelt hat.“

Ein schöner Erfolg für den Kollegen, den ich auch gar nicht schmälern will, Aber ich frage mich: Kam es auf die Frage der Prozessverschleppung, die das OLG m.E. richtig entschieden hat, überhaupt an? Oder anders gefragt: Hätte das OLG nicht etwas dazu sagen müssen, dass es sich bei dem Antrag des Kollegen um einen „Beweisantrag“ i.S. des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPo gehandelt hat, woran das LG ja wohl Zweifel hatte. Denn nur, wenn es sich um einen „Beweisantrag“ i.e.S. gehandelt hat, war das LG an die Gründe des § 244 StPO gebunden. Was damit ist, erfährt man nicht bzw. kann es auch nicht beurteilen, da der genaue Wortlaut des Antrags nicht mitgeteilt wird. Man muss also davon ausgehen, dass das OLG inzidenter die Beweisantragseigenschaft bejaht hat. Dann passt es 🙂 .