Der BGH, Beschl. v. 16. 2. 2011 – IV ZB 23/09 befasst sich mit der Reichweite der Verschwiegenheitspflicht eines als Strafverteidiges tätig gewordenen Rechtsanwalts.
Nach dem Sachverhalt bestand Streit über ein Zeugnisverweigerungsrecht. Der Beschwerdeführer war einer der Strafverteidiger in einem Strafverfahren gegen ein Ehepaar wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Im Rahmen der Hauptverhandlung kam es zu einer Absprache über einen Täter-Opfer-Ausgleich und den Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung zwischen den Angeklagten und dem Geschädigten, die Voraussetzung einer Strafaussetzung zur Bewährung sein sollte. In einer Verhandlungspause fanden im Gerichtsflur Gespräche unter den Angehörigen der Angeklagten darüber statt, wie die benötigten 10.000 € aufgebracht werden könnten. Man kam dahin überein, dass der Vater und der Bruder je 5.000 € in bar zahlten. Bei diesem Gespräch waren auch die Verteidiger anwesend. Nunmehr nimmt der Bruder des angeklagten Ehemannes die Mutter der angeklagten Ehefrau auf Rückzahlung von 5.000 € mit der Behauptung in Anspruch, er habe ihr das Geld zur „Auslösung“ ihrer Tochter als Darlehen gegeben. Zum Beweis für die Darlehensabrede hat er sich auf das Zeugnis des Beschwerdeführers berufen. Dieser verweigerte die Aussage, weil sein Mandant ihn nicht von seiner Schweigepflicht entbunden hatte. Amtsgericht und Landgericht haben die Aussageverweigerung für unberechtigt gehalten. Die Abmachungen der Angehörigen über eine Erstattungspflicht zählten nicht zu den Tatsachen, die der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Tätigkeit erfahren habe. Sie seien so weit von seiner Verteidigung entfernt, dass sie dem Zufallswisssen eines auf den Termin wartenden Rechtsanwalts gleichzustellen seien. Die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs.1 S.1 Nr.2 ZPO hatte Erfolg.
Der BGH hält die Aussageverweigerung in seiner Entscheidung für berechtigt. Die Reichweite der in § 43a Abs. 2 BRAO geregelte Verschwiegenheitspflicht eines Rechtsanwalts sei verkannt. Unter diese falle alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden sei, ohne dass es darauf ankomme, wie das Wissen erworben wurde. Sie umfasse deshalb auch Zufallswissen, das im Rahmen beruflicher Tätigkeiten erlangt wurde. Davon sei abzugrenzen, was der Anwalt nur anlässlich seiner Tätigkeit erfahre, ohne dass ein innerer Zusammenhang mit dem Mandat bestehe. Als Beispiel führt der BGH Kenntnisse an, die ein Anwalt als wartender Zuhörer einer Verhandlung erlangt und die mit seinem Mandat nichts zu tun haben. Im konkreten Fall sei der Beschwerdeführer jedoch nicht zufälliger Zuhörer einer Unterredung im Gerichtsflur gewesen. Er habe dieser vielmehr als Vertreter seines Mandanten, der den Gerichtssaal nicht verlassen durfte und der sich von einer Freiheitsstrafe bedroht sah, teilgenommen. Dass eine Schlichtungsvereinbarung zustande kam und das dafür benötigte Geld aufgebracht wurde, berührte besonders die Interessen seines Mandanten. Daraus folge, dass der Verteidiger das Gespräch nicht als unbeteiligter Zuhörer verfolgt habe. Von der damit bestehenden Verschwiegenheitspflicht hätte der Verteidiger nur durch seinen Mandanten befreit werden können. Dieser sei „Herr des Geheimnisses“ (BGHZ 109, 260) auch bezüglich solcher Tatsachen, die dem Anwalt von Dritten mitgeteilt worden seien. Die Verweigerung einer Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht sei grundsätzlich zu beachten. Ausnahmen bestünden nur, wenn es um die Bekämpfung schwerster Straftaten oder die Erfüllung von Steuergesetzen geht. Zu einer generellen Abwägung, ob schützenswerte Interessen seines Mandanten berührt seien, sei der Anwalt nicht berechtigt.