Für Verkehrsrechtler: Am Begriff des Unfallortes hält der BGH fest…

Im Jahr 2007 hat es eine Entscheidung des BVerfG gegeben (VRR 2007, 232 = StRR 2007, 109), die ein obiter dictum des BVerfG enthielt, das in Rechtsprechung Literatur zu der Diskussion geführt hat, ob auch derjenige nach § 142 Abs. 1 StGB strafbar ist, der den Unfall zunächst nicht bemerkt und weiterfährt  (§ 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheidet nach der Rechtsprechung des BVerfG aus), dann aber nachträglich von dem Unfall an einem Anhalteort erfährt und sich dann weiter entfernt.

Zu der Problematik hat jetzt der BGH in seinem Beschl. v. 15.11.2010 – 4 stR 413/10 Stellung genommen und dazu ausgeführt:

„Die von der Strafkammer getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben weder, ob der Angeklagte die Kollision mit dem Fahrzeug des Geschädigten – eine touchierende Berührung beider Fahrzeuge – unmittelbar während des Unfallgeschehens bemerkte oder erst bei dem späteren Halt an einer Ampel von dem Geschädigten auf den Unfall hingewiesen wurde, noch verhalten sie sich zu der Frage, welche Wegstrecke der Angeklagte bereits zurückgelegt hatte, als er von dem Geschädigten an der Ampel angesprochen wurde. Nach den Feststellungen bleibt daher die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte noch in Unkenntnis des Unfalls den Unfallort verließ. Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals vom Unfall erfahren hat, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BGH, Beschluss vom 30. August 1978 – 4 StR 682/77, BGHSt 28, 129, 131). Auch eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheidet aus, da das unvorsätzliche Verlassen des Unfallorts nicht vom Wortlaut der Norm erfasst wird (BVerfG, NZV 2007, 368). Entgegen einer in Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 2008, 107) und Literatur (vgl. Blum, NZV 2008, 495; Laschewski, NZV 2007, 444, 448) vertretenen Ansicht sieht der Senat keine Veranlassung, die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zum Begriff des Unfallorts (vgl. OLG Stuttgart, NZV 1992, 327; OLG Karlsruhe, NStZ 1988, 409; OLG Köln, NZV 1989, 197, 198) zu modifizieren, um auf diese Weise Fälle strafrechtlich zu erfassen, in denen der Täter nachträglich auf den Unfall hingewiesen wird und sich dennoch weiter entfernt (vgl. OLG Hamburg, NZV 2009, 301; SSW-StGB/Ernemann § 142 Rn. 43; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 142 Rn. 52).“

M.E. zutreffend, da die Auffassung des OLG Düsseldorf nur zu einer noch weiteren Ausdehnung des § 142 StGB führt.

10 Gedanken zu „Für Verkehrsrechtler: Am Begriff des Unfallortes hält der BGH fest…

  1. RA JM

    „Nach den Feststellungen bleibt daher die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte noch in Unkenntnis des Unfalls den Unfallort verließ“ – genau diese Situation ficht „unsere“ StA regelmäßig überhaupt nicht an und sie verfolgt den Beschuldigten gnadenlos – wohl in der Hoffnung auf eine ungeschickte Einlassung.

  2. n.n.

    @ RA JM

    naja, die StA befindet sich ja auch in der luxuriösen situation, dass ihr zunächst der anfangs- und später der hinreichende verdacht genügt. und dies könnte sich in der HV ja evtl noch ein wenig über § 261 StPO verdichten lassen.

  3. klabauter

    @ RA JM:
    Ist wohl ein Unterschied, ob nach Hauptverhandlung „nach den Feststellungen offen“ bleibt, oder ob nach Aktenlage und Schadensbild hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Unfall bemerkt wurde. Und eine ungeschickte Einlassung braucht es auch nur dann, wenn kein Gutachten vorliegt, das eine taktile/akustische/optische Wahrnehmung mehr als nahelegt.

  4. Ref.iur.

    Eigentlich völlig abwegig nach unbemerkt fortgesetzter Fahrt dann noch später einen Unfallort anzunehmen, der ganz woanders ist — so abwegig, dass ich im ersten Examen mangels Kenntnis des Meinungsstreits leider gar nicht auf die Idee gekommen bin… Na ja, wenigstens hat der BGH diesem Mist eine klare Absage erteilt, so dass nachfolgende Kandidaten wohl in einem Satz das Ganze als Humbug verwerfen dürfen…

  5. Schneider

    @refiur
    Wörter wie „völlig abwegig“, „Humbug“ und „ein Satz“ weil der BGH angeblich eine Meinung dazu hat, würde ich persönlich nicht in einer juristischen Prüfung benutzen.
    Sie werden oft dazu gebraucht um Diskussionen abzuwürgen und beeindrucken eher Laien als Fachleute.

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