Verständigung, Verständigung, Verständigung und kein Ende. An der Vielzahl der derzeit vom BGH kommenden Entscheidungen zu § 257c StPO kann man m.E. u.a. auch deutlich ablesen, dass in der Praxis „mehr verständigt“ wird als man denkt. Zu einem kleinen Grundkurs kommt der 1. Strafsenat des BGH in seinem Beschl. v. 11.10.2010 – 1 StR 359/10. In dem heißt es:
„Zur Verständigung:
1. Gestützt auf das Hauptverhandlungsprotokoll weist die Revision darauf hin, dass nur eine Gesamtstrafe „von nicht mehr als drei Jahren“ zugesichert, aber keine Mindeststrafe genannt ist.
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass bei Mitteilung eines möglichen Verfahrensergebnisses (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) stets ein Strafrahmen, also Strafober- und Strafuntergrenze, anzugeben ist (vgl. näher BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2010 – 1 StR 347/10 mwN). Letztlich kann diese unterschiedlich beurteilte Frage (vgl. BGH aaO mwN) aber offen bleiben; es ist nicht ersichtlich, wie sich ein (etwaiger) Verfahrensfehler hier zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH aaO mwN). Insbesondere teilt der Senat nicht die Besorgnis, wegen der nicht genannten Strafuntergrenze könne sich die Strafkammer auf eine nicht zulässige „Punktstrafe“ (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 – 1 StR 345/10 mwN, NStZ 2010, 650) festgelegt haben.
2. Mit dem Hinweis, das Hauptverhandlungsprotokoll ergebe entgegen § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO nicht, ob eine Verständigung zustande gekommen sei, ist nicht prozessordnungswidriges Geschehen behauptet, sondern nur, dass das Protokoll nicht den Anforderungen des § 273 Abs. 1a StPO genüge (vgl. Schlothauer/Weider StV 2009, 600, 604; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 273 Rn. 12a f.). Eine „Protokollrüge“ ist unbehelflich, ein Urteil kann nicht auf dem Protokoll beruhen (vgl. Wiedner in Graf, StPO § 344 Rn. 46, Meyer-Goßner, aaO Rn. 36 jew. mwN). – 4 –
3. Im Urteil heißt es, eine Verständigung sei vorausgegangen, dem Angeklagten sei eine Gesamtstrafe von nicht mehr als drei Jahren zugesichert worden. Der Hinweis der Revision, dass dem Urteil „unmittelbar nicht (zu) entnehmen“ sei, „ob die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten … und … zugestimmt haben (§ 257c Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 StPO)“, belegt keinen Rechtsfehler. Im Urteil ist nur eine gegebenenfalls vorausgegan-gene Verständigung festzustellen (§ 267 Abs. 3 Satz 5 StPO), die Angabe ihres Inhalts ist nicht geboten (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 528/09, NStZ-RR 2010, 151), ebenso wenig Ausführungen zu sonstigem Prozessgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 StR 99/09, Rn. 10, NJW 2009, 2612, 2613).“
Der Rechtsprechung insgesamt kann man m.E. deutlich entnehmen, dass es der BGH offenbar nicht so gern sieht, wenn gegen „verständigte Urteile“, die sich im Rahmen der Absprache halten, Revision eingelegt wird. Und: Was eine „unzulässige Protokollrüge“ ist, sollte man als Verteidiger wissen.
Verwundert das? Wer sich an Abmachungen nicht hält, macht sich keine Sympatien. Und es spricht sich schnell rum. Ein Anwalt der das einmal macht, wird in anderen Fällen kaum Entgegenkommen erwarten dürfen.
Verstehe auch nicht warum eine Verständigung überhaupt regelungsbedürftig ist. Ein Geständnis ist doch nach der Rechtslage ein Schritt zur tätigen Reue und in geeigneten Fällen strafmildernd zu werten. Darauf beruhend wird doch schon vor der gesetzlichen Regelung in vielen Fällen eine Verständigung vor jedem Amtsgericht stattgefunden haben. Was ist denn dabei, dem Angeklagten vorher mitzuteilen was es nach Anklagevorwurf an Strafe hergibt und wieviel er sich mit einem Geständnis erspart?
Wenn das Gericht nicht mit offenen Karten spielt, warum soll es dann der Angeklagte tun? Die meisten Angeklagten wissen doch, das sie schuldig sind, erwarten eine Strafe, wollen diese nur im Rahmen halten.
Wenn Gericht dann geizig ist, und meint der Strafrahmen liege in dem konkreten Fall zwischen 3 Jahren und 3 Jahren 4 Monate, dann darf es sich nicht wundern, wenn Angeklagter auf Konfrontationkurs geht.
Eine Verständigung nach § 257c StPO kommt nur zustande, wenn in sie auch die Staatsanwaltschaft eingewilligt hat. Die Straf-Unter-Grenze steht als Mindeststrafe im Gesetz – auch wenn sie als Strafe nicht schuldangemessen ist.
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Ich stimme Schneider nicht zu. Richtig ist „Die meisten Angeklagten wissen doch, das sie schuldig sind, erwarten eine Strafe, wollen diese nur im Rahmen halten.“ Aber eben nur die meisten.
Ich kam zu diesem Blogbeitrag, weil ich derzeit hier vor einer Entscheidung stehe. Als Unschuldiger fürchte ich die langwierige Beweisaufnahme, die meine beruflichen Aussichten für die nächsten 10 Jahre abtötet und Anwaltskosten im 5- bis 6-stelligen Bereich verursacht.
Also gebe ich wohl ein Geständnis ab. Denn besser (natürlich auf Bewährung) verurteilt und alles ist erledigt – als finanziell und beruflich tot und freigesprochen.