Die letzte Entscheidung des heutigen Tages kommt aus dem Auslieferungsrecht, also ggf. Auslieferungshaft 🙂 . Das OLG Celle hat aber im OLG Celle, Beschl. v. 22.02.2023 – 2 AR (Ausl) 45/22 – die beantragte Auslieferung für unzulässig erklärt.
Betrieben wurde das Verfahren von den polnischen Justizbehörden auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Poznan wegen der Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung. Das AG Grodzisk Wielkopolski hat den Verfolgten am 19.06.2013 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Inzwischen ist die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des AG Nowy Tomysl vom 13.11.2018 widerrufen. Die Freiheitsstrafe ist von dem Verfolgten noch vollständig zu verbüßen.
Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl führte der Verfolgte bei der ihm zur Last gelegten Straftat am 25.3.2013 gegen 17.25 Uhr in der S. K. in der Ortschaft N. T. in der W. W. ein Kraftfahrzeug und stand hierbei ausweislich der bei ihm durchgeführten Atemalkoholkontrolle und der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l unter Alkoholeinfluss. Auf Nachfrage der GStA haben die polnischen Justizbehörden mit Schreiben im Auslieferungsverfahren mitgeteilt, dass sich aus den der Verurteilung des Verfolgten zugrundeliegenden Aktenvorgängen keine Anhaltspunkte für einen Fahrfehler des Verfolgten zum Tatzeitpunkt ergeben hätten.
Die GStA hat beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Sie erachtet die Auslieferung für unzulässig, da es bei der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden abgeurteilten Tat des Verfolgten an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit fehle. Das OLG hat die Entscheidung über den Antrag der GStA im Hinblick auf das beim BGH anhängige Vorlageverfahren 4 ARs 13/21 zunächst zurückgestellt. Es hat jetzt dann festgestellt, dass die Auslieferung des Verfolgten unzulässig ist:
„2, Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der in dem o.g. Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 bezeichneten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 (Az. VII K 376/13) ist unzulässig.
Die Zulässigkeit der Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung setzt nach § 3 Abs. 1 IRG voraus, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Tat des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre. Dies gilt auch, wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt (vgl. § 81 Nr. 1 IRG; Art. 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses Europäischer Haftbefehl). Das Erfordernis der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt nur dann, wenn es sich um eine sog. Katalogtat i.S. von Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses handelt.
Die vorliegend in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 näher beschriebene Tat des Verfolgten, welche seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 zugrunde lag, stellt keine Katalogtat im vorgenannten Sinne dar. Daher wäre die Auslieferung des Verfolgten nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Auf der Grundlage des in dem Europäischen Haftbefehl mit-geteilten Tatgeschehens käme insoweit lediglich eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Ver-kehr gemäß § 316 StGB in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre in objektiver Hinsicht, dass sich der Verfolgte zur Tatzeit im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit befunden hat. Diese wäre tatbestandlich nur dann gegeben, wenn bei dem Verfolgten eine relative oder absolute Fahruntüchtigkeit vorgelegen hätte. Ob dies der Fall war, ist anhand des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens, das zu der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Verurteilung geführt hat, zu prüfen. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergeben sich insoweit über die auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l festgestellte Alkoholisierung des Verfolgten hinaus keine Anhaltspunkte für einen alkohol-bedingten Fahrfehler. Die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit kommt deshalb nicht in Betracht. Daher müsste tatbestandlich eine absolute Fahruntüchtigkeit bei ihm vorgelegen haben. Dies wäre nur bei einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 o/oo zu bejahen. Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl wurde dem Verfolgten jedoch weder eine Blutprobe zwecks Ermittlung der Blutalkoholkonzentration entnommen noch sind Feststellungen zu Art und Menge des von ihm vor der Tat konsumierten Alkohols getroffen worden. Seine Verurteilung beruht allein auf der zum Tatzeitpunkt gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l. Indes reicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte der Messwert der Atemalkoholkonzentration allein für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration nicht aus. Denn er bietet nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung nicht die in einem Strafverfahren erforderliche Sicherheit für die Bestimmung des Wertes der Blutalkoholzentration (vgl. BGH, NStZ 1995, 539; KG, DAR 2008, 273; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.04.2009 – 2 Ss 159/09 –, juris; OLG Naumburg, Beschl. v. 05.12.2000 – 1 Ws 496/00 – juris; Kudlich in BecKOK StGB, 55. Edition, Stand 01.11.2022, § 315c Rd. 27 mwN). Eine hohe Atemalkoholkonzentration stellt allenfalls ein starkes Indiz für eine Fahruntüchtigkeit dar, lässt aber die Annahme einer absoluten Fahr-untüchtigkeit nicht zu (vgl. OLG Stuttgart, aaO). Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB bedarf es deshalb zumindest eines weiteren, tragfähigen Indizes für die Fahruntüchtigkeit des Täters. Da im vorliegenden Fall des Verfolgten jedoch – wie bereits ausgeführt – neben dem Wert der Atemalkoholkonzentration keine weiteren ihn belastenden Indizien festgestellt worden sind, scheidet eine Strafbarkeit der ihm in dem Europäischen Haft-befehl zur Last gelegten Tat nach § 316 StGB aus.
Nach alledem steht der Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden das Zulässigkeitshindernis der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 Abs. 1 IRG entgegen.“