Und dann Gebühren-/Kostenrechtstag.
Zunächste eine Entscheidung zum RVG, und zwar noch einmal zur Nr. 4142 VV RVG, und zwar der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.1.2022 – 12 Qs 1/22.
Gestritten wird in dem Verfahren um die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die StA hat am 9.6.2020 Anklage wegen Steuerhinterziehung und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen den Angeklagten erhoben. Von einer Einziehung hatte sie zuvor gemäß § 421 Abs. 3 StPO abgesehen. Soweit sie darüber hinaus im Ermittlungsverfahren Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden hatte, sah sie auch von einer selbständigen Einziehung gemäß § 435 StPO ab.
Nach Anklagezustellung bestellte das AG den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger, ließ später die Anklage unverändert zu und führte am 28.10.2020 die Hauptverhandlung durch. In der Hauptverhandlung wurde eine Einziehung ausweislich des Protokolls an zwei Stellen thematisiert, zuerst als die Amtsrichterin die Verfügung des Anklageverfassers verlas, in der dieser die Verfahrensbeschränkungen nach § 421 Abs. 3, § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO angeordnet hatte, sodann als der Verteidiger in seinem Plädoyer unter anderem beantragte, gemäß § 421 Abs.1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung abzusehen. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Urteil stellte das Amtsgericht – der Anklage weitestgehend folgend – fest, dass der Angeklagte Lohnsteuer i.H.v. 48.399 € sowie Einkommen- und Gewerbesteuer i.H.v. 56.049 € hinterzogen und Beiträge i.H.v. 169.478,36 € vorenthalten hatte. Eine Einziehungsentscheidung traf das Amtsgericht nicht.
Der Rechtsanwalt beantragte die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG i.H.v. 447 € netto. Er habe seinen Mandanten ausführlich über die Möglichkeit einer Einziehung beraten. Das reiche für die Entstehung der Gebühr aus. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Dad dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:
„2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht die Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt.
a) Die genannte Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht (Anm. 1 zu Nr. 4142 VV RVG). Ausreichend ist, dass eine Einziehung nach Lage der Dinge in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 – 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; Burhoff, AGS 2021, 396, 397). Erfasst werden von der Gebühr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 4). Insoweit können schon Besprechungen und Beratungen des Mandanten die Gebühr auslösen (KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21, juris Rn. 7; Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4142 VV Rn. 24 m.w.N.).
b) Hieran gemessen war die beantragte Gebühr nicht festzusetzen, weil eine Einziehung als notwendiger Bezugspunkt für die gebührenpflichtige Beratung nach dem Verfahrensablauf nicht in Betracht kam.
Eine Einziehung kommt nicht schon dann in Betracht, wenn sie abstrakt möglich ist (KG, Beschluss vom 8. November 2019 – 1 Ws 53/19, BeckRS 2019, 33300 Rn. 1; ähnlich KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21, juris Rn. 7; a.A. wohl Burhoff, AGS 2021, 396, 397: ausreichend, dass Einziehung sachlich möglich ist). Es muss vielmehr eine hinreichend konkrete Aussicht bestehen, dass hierüber tatsächlich entschieden wird. Diese Einschränkung wird dahin formuliert, dass die Einziehung „ernsthaft“ in Betracht kommt (Kremer in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., VV 4142 Rn. 6), dass entsprechende Beratung „nach Aktenlage geboten“ ist (OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 – 1 Ws 643/09, juris Rn. 6), oder dass Fragen der Einziehung „naheliegen“ (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4142 Rn. 12 m.w.N. und weiteren Beispielen).
Daran fehlt es nach Auffassung der Kammer jedenfalls für die gegebene Konstellation. Die Staatsanwaltschaft hatte durch die in ihrer Abschlussverfügung vorgenommenen Beschränkungen (§ 421 Abs. 3, § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO) dem Amtsgericht die Frage nach einer Einziehung bewusst nicht unterbreitet. Von dieser Entscheidung ist sie auch später nicht abgerückt. Eine den Angeklagten treffende Befassung mit der Einziehung hätte daher zwingend vorausgesetzt, dass das Gericht zunächst eine Wiedereinbeziehung anordnet und damit den Angeklagten auf diese Rechtsfolge hinweist (§ 421 Abs. 2 Satz 1, 3 mit § 265 StPO, vgl. Putzke/Scheinfeld in MünchKomm-StPO, § 421 Rn. 34; Schmidt in KK-StPO, 8. Aufl., § 421 Rn. 9; im Übrigen vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020, GSSt 1/20, juris Rn. 13 ff.), sodass er – erstmals – Anlass und auch Gelegenheit zur Verteidigung betreffend diesen Punkt hat. Das fand nicht statt, das Amtsgericht machte noch nicht einmal erkennbare Anstalten, die Thematik einer Einziehung proaktiv aufzugreifen, vielmehr hat es sich mit der Verlesung der staatsanwaltlichen Beschränkungsverfügung begnügt. Daher gab es für den Beschwerdeführer objektiv keine Veranlassung, wegen einer nach dem konkreten Verfahrensgang und nach praktischer Erfahrung nicht drohenden Rechtsfolge entsprechende Beratungsleistungen zu erbringen. Allein die abstrakte Möglichkeit – für deren Realisierung keine konkreten Gesichtspunkte sprachen –, dass das Amtsgericht jederzeit die Wiedereinbeziehung hätte anordnen können, reicht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers für sich betrachtet noch nicht aus. Nichts anderes folgt daraus, dass der Verteidiger in seinem Plädoyer beantragt hatte, die Einziehung nicht anzuordnen. Die Erforderlichkeit dieses Antrags erschließt sich der Kammer nach allem nicht; richtig dürfte jedenfalls sein, dass eine Einziehung nicht schon dann in Betracht kommt, wenn der Verteidiger sie in seinem Antrag ohne Not thematisiert.“
M.E. ist die Entscheidung – natürlich bestand Beratungsbedarf. Und es stellt sich mal wieder die Frage, warum sich die Gerichte eigentlich mit der Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG so schwer tun; man wird müde, immer wieder diese falschen Entscheidungen zu kommentieren. Aber, wenn man die Frage stellt, liegt die Antwort an sich auf der Hand. Es handelt sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine Wertgebühr, die sich nach dem jeweiligen Gegenstandswert bemisst (§§ 13, 49 RVG). Und solche Gebühren werden eben von der Staatskasse ungern gezahlt. Immerhin geht es hier um 447 EUR für – aus Sicht des LG – Nichtstun des Verteidigers.
Aber: Vielleicht richtet es ja das OLG Nürnberg. Das LG hat die weitere Beschwerde zugelassen.