Bei der zweiten Corona-Entscheidung, dem OLG Köln, Beschl. v. 20.09.2021 – 7 U 1/21 – handelt es sich um eine zivilrechtliche Entscheidung. Zivilrecht bringe ich zwar sonst nur im samstäglichen „Kessel Buntes“, ich stelle diese Entscheidung jedoch an einem Montag vor, weil es sich um die Thematik: Corona (und seine Folgen) handelt.
Das OLG hat in dem Beschluss über einen von der Klägerin wegen der Schließung eines Gewerbebetriebes, und zwar eines Imbisses, auf Grundlage des § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 geltend gemachten Entschädigungsanspruch über rund 20.000 EUR entschieden. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung dagegen hatte beim OLG keinen Erfolg:
„Die Berufung der Kläger ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Zur Begründung wird auf den Beschluss vom 04.08.2021 Bezug genommen, in dem der Senat wie folgt ausgeführt hat:
„Die zulässige Berufung hat offensichtlich keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts Bonn beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der in § 9 Absatz 1 Satz 1 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 angeordneten Betriebsuntersagung von Imbissen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Die Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu den folgenden Erwägungen:
Das Landgericht hat einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mit zutreffenden Erwägungen, denen auch die Berufung zustimmt, verneint. Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhält lediglich eine Entschädigung in Geld, „wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet“. § 56 Abs. 1 IfSG setzt eine gezielt personenbezogene Untersagung der Erwerbstätigkeit oder Absonderung gerade wegen der Ansteckungs- bzw. Krankheitsverdächtigkeit (usw.) voraus (vgl. nur Kümper, DÖV, 2020, 904 (908)), die im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht gegeben ist.
2. Eine Entschädigung in analoger Anwendung von § 56 Abs. 1 IfSG kommt – wie das Landgericht zutreffend entschieden hat – ebenfalls nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor.
Ungeachtet der Frage, ob Eingriffe im Sinne von § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 aus grundrechtlicher Sicht entschädigungspflichtig sein müssten (ablehnend BGHZ 55, 366; ebenfalls ablehnend mit weiteren Nachweisen Kümper, DÖV, 2020, 904 (906), Fn. 18) sah sich der Gesetzgeber des IfSG nicht dahingehend verpflichtet. Er wollte mit der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Entschädigungsregelung ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich eine Billigkeitsregelung treffen und nicht aus grundrechtlicher Gebundenheit die Betroffenen entschädigen, wie sich aus der folgenden Formulierung ergibt: „Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not.“ (BT-Drs. III/1888, S. 27). Dementsprechend gab es aus seiner Perspektive auch keinen Anlass, die an die Landesregierungen erteilte Verordnungsermächtigung in § 32 IfSG mit einer Entschädigungspflicht zu verknüpfen bzw. weitere Entschädigungsregelungen unmittelbar im IfSG vorzunehmen. Eine durch entsprechende Anwendung des § 56 IfSG zu schließende unbeabsichtigte Regelungslücke lag demnach nicht vor.
Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht zudem, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Regelung (BT-Drs. III/1888, S. 27) eine Ausdehnung des Kreises entschädigungsberechtigten Personen (z.B. für Krankheitsverdächtige, Tuberkulosekranke, Nichtversicherte) zwar erwogen, aber als „nicht sachgerecht“ erachtet hat.
Ebenso hatte der Gesetzgeber im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. 6/1568) zwar den Kreis der Entschädigungsberechtigten in § 51 BSeuchG erweitert. Er hatte aber auch hier nur punktuelle Entschädigungen vorgesehen.
In diese Linie fügt sich, dass der Gesetzgeber selbst bei Hinzufügung der weiteren Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1 a IfSG im November 2020 die nur punktuellen Entschädigungsregelungen aufrechterhalten hat. Vor diesem Hintergrund kann von einer dem gesetzgeberischen Plan nicht entsprechenden Unvollständigkeit der Entschädigungsregelungen keine Rede sein (siehe auch Landgericht Stuttgart, Urteil vom 05.11.2020 – 7 O 109/20, Rn. 34 ff., juris; Landgericht Hannover, Urteil vom 20.11.2020 – 8 O 4/20, Rn. 49 ff.; juris).
Nicht zuletzt spricht gegen eine planwidrige Regelungslücke der Umstand, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich aus Anlass der Corona-Pandemie mit § 28a IfSG eine spezialisierte Eingriffsermächtigung geschaffen hat, die ebenfalls zahlreiche Beschränkungen für Nichtstörer näher regelt, ohne für diesen Personenkreis zugleich Entschädigungsansprüche zu normieren. Dies verdeutlicht, dass das staatliche Regelungskonzept dahin geht, etwaige Belastungen durch die Inanspruchnahme von Nichtstörern durch generalisierte staatliche Unterstützungsmaßnahmen – und nicht durch individuelle Entschädigungsansprüche – sozial abzufedern. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist angesichts dieses bewussten Festhaltens des Gesetzgebers an dem Konzept, in den §§ 56, 65 IfSG lediglich punktuelle Entschädigungsansprüche zu normieren, kein Raum.
3. Auch einen Anspruch des Klägers nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, § 67 PolG NRW, § 39 Abs. 1 a) und b) OBG NRW, hat das Landgericht zutreffend verneint. Der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts ist wegen der Spezialität des besonderen Gefahrenabwehrrechts im IfSG ausgeschlossen. Ihrer Konzeption nach zielen diese Vorschriften auf die Entschädigung wegen Maßnahmen ab, die auf der Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts des Landes Nordrhein-Westfalen getroffen wurden. Sie enthalten keine vorweggenommene Regelung für noch gar nicht absehbar gewesene Maßnahmen aufgrund bundesrechtlich eingeräumter Verordnungskompetenz, insbesondere dann nicht, wenn das Bundesrecht selbst die Frage der Entschädigung abschließend regelt. Sähe man dies anders, könnte die Frage der Entschädigung eines Betroffenen bei inhaltsgleicher Maßnahmen auf derselben gesetzlichen Grundlage in Abhängigkeit vom Bundesland, dessen Gesundheitsministerium handelt, unterschiedlich zu beurteilen sein (vgl. so im Ansatz auch LG Hannover, NJW-RR 2020, 1226, Rn. 53 ff.). Es liegt fern, dass der Bundesgesetzgeber mit seiner Regelung in §§ 56, 65 IfSG eine solche Folge beabsichtigt hat.
4. Mit zutreffenden Erwägungen, die auch die Berufung nicht in Frage stellt, hat das Landgericht zudem einen Anspruch auf Entschädigung aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs verneint.
5. Ansprüche auf Entschädigung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Abs. 1 GG oder aus der Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs bestehen ebenfalls nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Hinzu kommt, dass der Kläger nicht gegen die Verordnung vorgegangen ist. Dies hätte ihm oblegen, wollte er sich darauf berufen, die CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 sei rechtswidrig gewesen (§ 839 Abs. 3 BGB). Einen Schaden zu liquidieren ohne den schadensverursachenden Eingriff abzuwehren, kommt nicht in Betracht (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, S. 93 f.). Der Kläger hätte gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 109a JustG NRW im Eilrechtsschutz gegen die Verordnung vorgehen können.
6. Mit den nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts zum allgemeinen Aufopferungsanspruch besteht auch insofern kein Anspruch des Klägers auf Entschädigung.“
Die hierzu erfolgte Stellungnahme des Klägers vom 06.08.2021 rechtfertigt nach der einstimmigen Auffassung des Senats keine andere Entscheidung, sondern gibt lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:
Die vom Kläger angestellten Billigkeitserwägungen ändern nichts daran, dass eine analoge Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet. Die im Zuge der Corona-Pandemie gezahlten Unterstützungsleistungen für Gewerbetreibende sind nicht auf eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auf eine Entscheidung der Exekutive zurückzuführen. Dementsprechend können daraus keine Rückschlüsse auf den gesetzgeberischen Willen in Bezug auf die Entschädigungsregelungen im IfSG getroffen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach Beginn der Corona-Pandemie durch das Einfügen von § 28a IfSG, ohne dabei die Entschädigungsregelungen im IfSG zu ergänzen, zum Ausdruck gebracht, an der nur punktuellen Billigkeitsentschädigung (BT-Drs. III 1888, S. 27) festzuhalten.“