Im zweiten „Kessel-Buntes-Posting“ geht es seit längerem mal wieder um eine versicherungsrechtliche Problematik. Die Klägerin betreibt eine Spedition und hat für einen Lkw sowie einen Anhänger jeweils eine Teilkaskoversicherung unter Vereinbarung eines Selbstbehaltes von 150,00 € abgeschlossen. Sie meldete am 29.01.2018 den Diebstahl der Zugmaschine und des Anhängers am 26.01.2018 um 23:10 Uhr. Die Beklagte hat am 14.12.2018 5.640,50 EUR und am 18.12.2018 28.175,00 EUR bezahlt. Der Klägerin genügt das nicht. Sie verlangt von der Beklagten den Wiederbeschaffungswert ihrer Fahrzeuge aus ihrer Teilkaskoversicherung.
Im Verfahren geht es u.a. um eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin betreffend die Aufbewahrung der Fahrzeugschlüssel. Dazu hat die Klägerin „behauptet, ihre Fahrer hätten den Lkw nebst Anhänger gegen 18:00 Uhr des 26.01.2018 auf dem Betriebshof der Klägerin abgestellt. Die Fahrer hätten die Anweisung, den Fahrzeugschlüssel in Briefkästen – die den jeweiligen Fahrzeugen zugeordnet seien – im Eingangsbereich der Fahreranmeldung nach der Fahrt einzuwerfen. Für den Fall eines Fahrerwechsels sollten die Fahrzeugschlüssel auf den Haken, der auf dem Briefkasten angebracht sei, eingehängt werden. Die Briefkästen seien nur über eine Glastür zu erreichen, die durch einen Code geöffnet werden könne. Der Zeuge S. habe auf Anweisung des Geschäftsführers F. K. das Gespann mit zwei Containern in der Zeit von 20:50 Uhr bis 21:10 Uhr neu beladen und wieder abgestellt. Er habe sich hierbei den Schlüssel in der firmeneigenen Werkstatt – die auch freitags bis 22:00 Uhr besetzt sei – geholt und ihn auch dort wieder abgegeben. Am 27.01.2018 habe sich Herr J. K. gegen 7:00 Uhr auf das Betriebsgelände begeben und den Lastzug nicht mehr auf dem Betriebshof aufgefunden. Anhand der Telematikaufzeichnung sei festgestellt worden, dass der Lastzug um 23:17 Uhr vom Betriebshof entfernt worden sei. Zuletzt sei ein GPS-Signal gegen 6:06 Uhr des 27.01.2018 gesendet worden, zu diesem Zeitpunkt habe sich der Lastzug bereits 486 km weit bewegt. Der Wiederbeschaffungswert der Zugmaschine, des Anhängers sowie der zwei Wechselkoffer betrage 84.150,00 €.“.
Das LG hatte der Klage in Höhe von 45.434,50 EUR stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Dagegen die Berufung der Beklagten. Dazu verhält sich der OLG Dresden, Beschl. v. 05.07.2021 – 4 U 428/21 – ein sog. Hinweisbeschluss. Danach hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Das OLG nimmt zu Verfahrensfragen – insoweit bitte den Volltext lesen – aber auch zur Frage einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin Stellung, die sie verneint:
„3. Eine Leistungskürzung wegen des grob fahrlässigen Herbeiführens eines Versicherungsfalles gemäß § 81 Abs. 2 VVG ist nicht gerechtfertigt. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grad außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (vgl. Senat, Urteil vom 04.09.2018 – 4 U 427/18 – juris). Als grob fahrlässig ist ein den Eintritt des Versicherungsfalles förderndes Verhalten dann zu werten, wenn sich schon bei einfachen und naheliegenden Überlegungen die erhöhte Schadenswahrscheinlichkeit und die Notwendigkeit, ein anderes als das geübte Verhalten in Betracht zu ziehen, aufdrängt (so Senat a.a.O.). Zu den von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu erwartenden Sicherungsvorkehrungen gegen einen Diebstahl eines Fahrzeuges gehört es, die Fahrzeugschlüssel so aufzubewahren, dass sie vor dem unbefugten Zugriff beliebiger Dritter geschützt sind (so Senat a.a.O.).
Die Klägerin hat ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt, indem sie die Fahrzeugschlüssel im Bereich der Anmeldung der Fahrer hinter einer Glastür in den Fahrzeugen zugeordneten Briefkasten oder auf Haken auf den Briefkasten verwahrt hat. Die Glastür ermöglicht zwar einen Blick in das Innere, so dass auch für dritte Personen der Ort der Schlüsselverwahrung ohne weiteres erkennbar ist. Allerdings befindet sich die Anmeldung der Fahrer auf dem umfriedeten Betriebsgelände der Klägerin, so dass ein zufälliges Vorbeikommen von Passanten und dritten Personen sehr unwahrscheinlich ist und die Glastür darüber hinaus auch für einen potentiellen Dieb die Gefahr des Entdecktwerdens mit sich bringt. Zudem ist die Glastür nur durch einen Zahlencode, einem Transponder oder mit einem Schlüssel zu öffnen. Damit ist die Glastür hinreichend vor unbefugtem Eindringen Dritter gesichert. Soweit die Beklagte geltend macht, es sei nicht ersichtlich, dass der Zahlencode regelmäßig geändert wurde, um sicherzustellen, dass ehemalige Mitarbeiter der Klägerin keinen Zutritt erhalten, so kann offenbleiben, wie oft der Zahlencode geändert wurde. Die regelmäßige Änderung des Zahlencodes mag die Sicherheit erhöhen, jedoch wäre das Unterlassen der Klägerin insoweit als allenfalls leicht fahrlässig anzusehen. Ersichtlich erfolgt die Behauptung zudem „ins Blaue hinein“.
Keinen Sorgfaltsverstoß stellt es dar, dass an den Briefkästen, die jeweils einem Fahrzeug zugeordnet waren und für die der jeweilige Fahrer einen Briefkastenschlüssel besaß, noch ein Haken angebracht war, an den der Fahrzeugschlüssel angehängt werden konnte, wenn ein Tausch der Fahrzeuge beabsichtigt war. Für diese Verfahrensweise bestand ein praktisches Bedürfnis, denn hätte der jeweilige Fahrer den Fahrzeugschlüssel stets in den Briefkasten geworfen, so hätte der nächste Fahrer, der nicht über den Briefkastenschlüssel verfügt, keinen Zugriff auf den Fahrzeugschlüssel gehabt.
Die Klägerin hat auch das Offenstehen des Rolltores nachvollziehbar erklärt, denn das Tor ist wochentags von 6:00 bis 22:00 Uhr, an Freitagen jedoch bis 24:00 Uhr geöffnet, um u. a. Kunden zu der auf dem Gelände befindlichen Lkw-Waschstraße den Zugang zu ermöglichen. Darüber hinaus wird den zurückkehrenden Fahrzeugen die Einfahrt ermöglicht. Selbst wenn man die Schließung des Rolltores an Freitagen erst um 24:00 Uhr statt um 22:00 Uhr als sorgfaltswidrig ansehen sollte, handelt es sich hier allenfalls um eine leichte Fahrlässigkeit.
Das Landgericht musste aus der Aussage des Zeugen S., dass er den Originalschlüssel nicht am Haken des Briefkastens vorgefunden und dies dem Geschäftsführer der Klägerin mitgeteilt habe, keinen Sorgfaltsverstoß entnehmen. Denn aus diesem Umstand musste der Geschäftsführer der Klägerin nicht auf die Entwendung des Schlüssels schließen. Der Fahrzeugschlüssel hätte sich auch im Briefkasten befinden können.“