In der zweiten Entscheidung, dem VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 08.07.2021 – 13 S 1800/21 – geht es auch um Cannabis-Konsum und die Entziehung der Fahrerlaubnis.
Grundlage der Entscheidunge ist folgender Sachverhalt:
„Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner kroatischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Gebrauch zu machen.
Dem Antragsteller wurde erstmals 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Nachdem er am 08.02.2017 unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hatte – eine bei ihm durchgeführte Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,41 ng/ml und eine THC-COOH-Konzentration von 58,5 ng/ml – hörte die Stadt … ihn zu einer beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller verzichtete daraufhin mit Erklärung vom 03.03.2017 auf seine Fahrerlaubnis.
Am 24.09.2020 wurde dem Antragsteller eine kroatische Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.
Am 04.11.2020 führte der Antragsteller ein Kleinkraftrad. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle stellten die Polizeibeamten unter anderem ein deutliches Muskelzittern sowie ein extremes Liedflattern fest. Eine insoweit beim Antragsteller durchgeführte Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,3 ng/ml und eine THC-COOH-Konzentration von 39,1 ng/ml.
Mit – dem Antragsteller am 12.02.2021 zugestelltem – Bescheid vom 09.02.2021 entzog das Landratsamt pp. (im Folgenden: Landratsamt) dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung seine kroatische Fahrerlaubnis bzw. erkannte ihm das Recht, von dieser im Gebiet der Bundesrepublik Gebrauch zu machen, ab (Ziff. 1 des Bescheids), forderte diesen auf, den Führerschein binnen einer Woche zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen (Ziff. 2 des Bescheids), ordnete die sofortige Vollziehbarkeit hinsichtlich Ziff. 1 an (Ziff. 3 des Bescheids) und setzte eine Gebühr von 200,– EUR fest (Ziff. 4 des Bescheids).
Der Antragsteller erhob am 10.03.2021 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden wurde. Gleichzeitig beantragte er beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend: Er sei Cannabispatient und könne zwischen dem medizinisch indizierten Konsum und den Anforderungen des Straßenverkehrs trennen. Soweit bei ihm am 04.11.2020 ein Zittern festgestellt worden sei, beruhe dies auf einer Unterkühlung.
Mit – dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 10.05.2021 zugestelltem – Beschluss vom 04.05.2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Aberkennung des Rechts, von der kroatischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Der Antragsteller könne sich wohl hinsichtlich der Fahrten am 08.02.2017 und am 04.11.2020 nicht auf das Arzneimittelprivileg berufen. Dies gelte ohne weiteres für die Fahrt am 08.02.2017, da zu diesem Zeitpunkt das Arzneimittelprivileg noch nicht eingeführt gewesen sei. Nichts anderes ergebe sich für die Fahrt am 04.11.2020. Den Ausführungen des Antragstellers und den vorgelegten ärztlichen Attesten lasse sich nicht entnehmen, dass dem nachgewiesenen Konsum im November 2020 tatsächlich Medizinal-Cannabis zugrunde gelegen habe. Weder der verantwortliche Arzt noch der Zeitraum der Verordnung seien hinreichend erkennbar, ebenso wenig auf Grund welcher Erkrankung die Verordnung erfolgt sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller den Ausweis als Cannabispatient nicht bereits bei der Polizeikontrolle oder zu einem sonstigen Zeitpunkt vor Erlass des angegriffenen Bescheids vorgelegt habe. Ausgehend hiervon könne offenbleiben, ob der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiere. Er habe jedenfalls zweimal gegen das Trennungsgebot verstoßen und sei daher nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Der Antragsteller hat am 25.05.2021 Beschwerde erhoben und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend: Bei der Fahrt am 05.11.2020 seien verkehrsbedingte Auffälligkeiten nicht festgestellt worden. Er nehme das Medizinal-Cannabis zuverlässig im Rahmen des medizinischen Behandlungsplans ein und halte sich strikt an die Vorgaben seines Arztes. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass naheliegender Weise zahlreiche cannabisaffine Personen versuchten, durch ärztliche Verschreibungen ihren Gebrauch zu legalisieren, widerspreche der Unschuldsvermutung und diffamiere Cannabispatienten. Der Antragsteller legalisiere keinen missbräuchlichen Konsum, sondern sei auf Medizinal-Cannabis angewiesen. Er sei im Sommer 2020 von pp. über die Trennung hinsichtlich des Konsums von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr belehrt worden. Soweit das Verwaltungsgericht nähere Ausführungen zu der ärztlichen Verordnung vermisse, missachte es strafprozessuale Rechte sowie Grundrechte und verkenne die Schweigepflicht des Arztes sowie die Interessen eines Kranken. Überdies könne beim Zeitablauf von mehreren Jahren zwischen zwei selbständigen Konsumeinheiten auch nicht von einem gelegentlichen Konsum ausgegangen werden. Selbst wenn man von gelegentlichem Cannabiskonsum ausgehe, sei davon auszugehen, dass er hinreichend trenne. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe Erkenntnisse der Grenzwertkommission, die auf Untersuchungen aus dem Jahr 2002 basierten. Zwischenzeitlich gebe es neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere sei die Entscheidung nicht auf den Gebrauch von medizinischem Cannabis eins zu eins übertragbar. In einem solchen Fall sollte möglicherweise ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beeinträchtigung in Betracht gezogen werden.“
Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:
- Auch ein wiederholter Verstoß gegen das Trennungsgebot genügt für sich genommen regelmäßig nicht, um ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.
- Der Konsum von Cannabis fällt nur dann nicht unter Ziff. 9.2 der Anlage 4 zur FeV, wenn dieses ärztlich verordnet und entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen wird. Dies darzulegen ist Sache des Fahrerlaubnisinhabers.