Verkehrsrecht II: Fahruntüchtig?, oder: Wenn der Angeklagte „immer wie ein Pinguin läuft“

entnommen wikimedia.org
Fotograf: Michael Van Woert, NOAA NESDIS, ORA, Feb 1998

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich auch um ein Urteil, das den Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) zum Gegenstand hat. Das AG Tiergarten hat im AG Tiergarten, Urt. v. 06.11.2018 –  (311 Cs) 3024 Js 6441/18 (145/18) – allerdings eine Trunkenheitsfahrt  abgelehnt und den Angeklagten nur wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG verurteilt. Begründung: Keine sichere Feststellung alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit:

„Der Angeklagte hat sich unwiderlegbar dahin eingelassen, dieser Unfall sei nicht alkoholbedingt gewesen. Es handele sich bei der Brunowstraße, was gerichtsbekannt ist, um eine sehr schmale Straße mit Kopfsteinpflaster, in welcher zwei Fahrzeuge nur schwierig aneinander vorbei kommen. Hier sei es zu einer Berührung mit dem Spiegel des geparkten Fahrzeuges gekommen, wodurch die Spiegelkappe herunter gefallen sei. Er sei ausgestiegen und habe die Spiegelkappe an dem geparkten Fahrzeug wieder befestigt. Ein Schaden sei seiner Meinung nach hierdurch nicht entstanden.

Die Zeugin G. sagte aus, sie sei am Tattag mit der Familie beim Griechen essen gewesen. Sie habe vor dem Lokal gestanden und habe gesehen, dass der Angeklagte sehr langsam gefahren sei und hierbei den Spiegel an dem geparkten Fahrzeug abgebrochen habe. Dies habe er möglicherweise gar nicht gemerkt. Sie habe sich daher mit dem ihrem Schwiegersohn, dem Zeugen H., vor das Fahrzeug des Angeklagten gestellt, um diesen am Weiterfahren zu hindern. Der Angeklagte sei ausgestiegen und habe immer wieder gesagt, es sei doch nichts passiert. Er habe den Spiegel wieder an dem geparkten Fahrzeug befestigt. Alkoholgeruch habe sie bei dem Angeklagten nicht wahrgenommen. Sie habe jedoch Lebenserfahrung und habe an seinen Augen gesehen, dass dieser alkoholisiert ist. Auch habe er eine lallende Sprache gehabt. Dies sei zum einen auf seinen italienischen Akzent, zum anderen auf die Alkoholisierung zurückzuführen.

Der Zeuge H. sagte aus, er sei der Schwiegersohn der Zeugin G. Er habe mit seiner Frau etwas abseits gestanden von den anderen und vor dem italienischen Lokal, wo sie essen gewesen seien, geraucht. Er habe bei dem Angeklagten Alkoholgeruch in der Atemluft wahrgenommen. Dieser habe ein wenig gelallt und auch leicht geschwankt.

Der Zeuge Ho. sagte aus, er sei als Polizeibeamter von den Zeugen zum Unfallort gerufen worden. Die Zeugen hätten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass der Angeklagte alkoholisiert ist. Er selbst könne sich heute nicht mehr an Ausfallerscheinungen erinnern. Der Angeklagte habe die Situation nicht ernst genommen, er habe gelacht und mit Humor reagiert. Der Angeklagte sei sehr kooperativ gewesen. Er, der Zeuge Ho., habe an den Fahrzeugen keinen Schaden feststellen können. Da die Zeugen darauf aufmerksam gemacht haben, habe er dem Angeklagten einen AAK-Test angeboten. Dieser habe einen Wert von über 0,9 %o ergeben, so dass eine freiwillige Blutentnahme in der GESA durchgeführt worden sei.

Der Zeuge K. sagte aus, er sei als Polizeibeamter gemeinsam mit dem Zeugen Ho. zum Unfallort gerufen worden. Er könne sich an Ausfallerscheinungen des Angeklagten nicht erinnern. Er wisse jedoch noch, dass der Angeklagte ein lockeres Verhalten gehabt habe. Dass dieser Alkohol zu sich genommen habe könnte, habe ihm die Zeugin Grundmann gesagt.

Die Zeugin P. sagte aus, sie sei mit dem Angeklagten befreundet. Dieser laufe schon immer wie ein Pinguin, seit seiner Operation im Jahre 2013 sei dies noch schlimmer geworden. Der Angeklagte schaukele beim Gehen hin und her.

Die Zeugin F. sagte aus, sie sei die Tochter des Angeklagten. Seit sie ihn kenne, laufe dieser wie ein Pinguin. Dies habe sich seit seiner Herz-OP noch verschlimmert.

Der Gang des Angeklagten wurde in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen: Es ist tatsächlich so, dass dieser einen merkwürdigen Gang hat und beim Laufen hin und her schaukelt.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung auch gesprochen: Hierbei war festzustellen, das dieser, obwohl er bereits seit 1980 in Berlin wohnhaft ist, nach wie vor einen sehr starken italienischen Akzent hat. Die Aussprache des Angeklagten ist schleppend. Er spricht verwaschen. Diese Art zu sprechen ist seiner italienischen Herkunft geschuldet.

In der Hauptverhandlung wurde des Weiteren der ärztliche Bericht zur Blutentnahme verlesen. Danach wurden durch den Arzt, der die Blutentnahme durchgeführt hat, keine Ausfallerscheinungen festgestellt. Als Gesamteindruck war angekreuzt: „leicht beeinflusst durch Alkohol“.

Zusätzlich hat der Arzt bemerkt: „Beurteilung diffizil, er ist stark erregt und scheint nicht durch Alkohol massiv verändert zu sein“.

Desweiteren wurde in der Hauptverhandlung das Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung verlesen. Danach enthielt die Blutprobe, welche dem Angeklagten am 10.02.2018 um 20.35 Uhr entnommen wurde, 0,92 %o Ethanol im Vollblut.

Nach alledem lagen zwar Anhaltspunkte für eine alkoholbedingte Fahruntauglichkeit vor. Diese reichen jedoch für eine Verurteilung wegen einer Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB nicht aus.

Wie das Gericht selbst feststellen konnte, ist der leicht schwankende Gang des Angeklagten offenbar angeboren oder beruht auf orthopädischen Veränderungen, und auch die Sprache des Angeklagten ist kein klares und deutliches Deutsch, sondern eine schleppende, verwaschene Sprache mit einem starken italienischen Akzent.

Auch ist nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ davon auszugehen, dass der Unfall nicht alkoholbedingt war, zumal ein solcher Unfall, bei dem beim Vorbeifahren in einer engen Straße der Spiegel eines geparkten Fahrzeuges beschädigt wird, auch einem nicht alkoholisierten Fahrzeugführer passieren kann.“

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