Gegenstand der Berichterstattung auch hier im Blog ist ja schon häufiger die Frage gewesen, ob sich der Verteidiger in der Berufungshautpverhandlung ggf. selbst eine Vertretervollmacht für den Mandanten ausstellen kann, um so ggf. eine drohende Verwerfung der Berufungs des unerlaubt nicht anwesenden Mandanten zu verhindern. Das hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren – wenn auch teilweise zähneknirschend – als zulässig angesehen. Problematisch und hoch gekocht ist die Frage dann wieder durch die Änderungen in § 329 StPO zum 25.07.2015. Denn in der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass eine schriftliche Vollmacht des Mandanten vorliegen muss und die Selbstausstellung durch den Verteidiger nicht mehr reicht.
Dazu liegt dann jetzt auch eine erste obergerichtliche Entscheidung vor, und zwar der OLG Hamburg, Beschl. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17, auf den mich gerade Oliver Garcia hingewiesen hat, wofür ich danke. Das OLG Hamburg lässt die selbst unterzeichnete Vertretervollmacht nicht mehr ausreichen:
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Angeklagte nicht wirksam von ihrem allein anwesenden Verteidiger vertreten wurde. Zu Recht hat es deshalb die Berufung der Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.
1. Im Berufungsrechtszug setzt die Vertretung des abwesenden Angeklagten nach § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zuvor schriftlich zur Vertretung bevollmächtigt. Die formlose Erteilung einer Vertretungsvollmacht durch den Angeklagten und deren anschließende Verschriftlichung durch den Verteidiger genügen nicht (so schon Mosbacher, NStZ 2013, 312, 314 f.; Löwe-Rosenberg/Becker, StPO, 26. Aufl.,§ 234 Rn. 8; sowie die Kommentierungen im Anschluss an die Gesetzesänderung durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwe-senheitsentscheidungen in der Rechtshilfe, BT-Drucks. 18/3562: MünchKomm-StPO/Arnoldi, § 234 Rn. 7; SK-StPO/Deiters, 5. Aufl., § 234 Rn. 4).
a) Hierfür streitet schon die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 329 StPO (BT-Drucks. 18/3562, S. 68), die eine aufgrund einer mündlichen Ermächtigung durch den Angeklagten vom Verteidiger selbst unterzeichnete Vollmacht ausdrücklich für nicht ausreichend erachtet.
b) Die Gegenansicht (BayObLG, Beschl. v. 7. November 2001 – 5 St RR 285/01, NStZ 2002, 277 f.; OLG Dresden, Beschl. v. 21. August 2012 – 3 Ss 336/12 [zum Einspruchsverfahren vor dem Amtsgericht]; Beck-OK-StPO/Gorf, 27.Ed., § 234 Rn. 6; SSW-StPO/Grube, 2. Aufl., § 234 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 234 Rn. 5) wird dem Schutzzweck der Norm nicht hinreichend gerecht. Dieser verlangt, dass sich der Angeklagte, nicht sein Verteidiger, schriftlich zur Vollmachtsfrage erklären muss. Nur dadurch wird dem Angeklagten die besondere Bedeutung seiner Bevollmächtigung bewusst (Mosbacher, a.a.O.). Zudem dokumentiert der Betroffene damit selbst zuverlässig, dass er wesentliche Verfahrensrechte aus der Hand gibt. Den Bevollmächtigten sich selbst schriftlich zur Bevollmächtigung erklären zu lassen, würde den Schutz des Angeklagten vor Übereilung durch mündliche Erklärung vereiteln und den besonderen Dokumentationswert der schriftlichen Bevollmächtigung ganz wesentlich herabsetzen (Mosbacher, a.a.O.).“
Nach der Entscheidung dürfte der „Zug abgefahren sein“. Im Hinblick auf diese Entscheidung kann also nur noch dringend davon abgeraten werden, ggf. ohne ausdrückliche, vom Mandanten selbst unterzeichnete Vertretervollmacht in die Berufungshauptverhandlung zu gehen, wenn der Mandanten dort ggf. wirksam vertreten werden soll (vgl. dazu auch schon Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 707c).
Zutreffend weist das OLG noch darauf hin, dass es einer Vorlage an den BGH nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG nicht bedurfte. Denn durch die Gesetzesänderung in § 329 StPO entfällt die Vorlagepflicht mit Blick auf die entgegenstehenden obergerichtlichen Entscheidungen.
„Stärkung“ des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung?
Ich kann bei lebenslanger Freiheitsstrafe die Revison zurücknehmen, wenn ich eine Bevollmächtigung anwaltlich versichere. Aber den abwesenden Angeklagten zu seinem Vorteil vertreten darf ich nicht?
Die bisherige Lösung war dogmatisch sauber und zwar auf BGB AT gestützt (mündliche Vollmachtserteilung wirksam!). Wie eine Gesetzesbegründung das aushebeln soll, erschließt sich mir nicht. Beachten wird man´s dennoch müssen.
Das sind zwei unterschiedliche Stränge :-). Man hängt es/sich an der „schriftlichen Vertretungsvollmacht“ auf.
Es bleibt leider nichts anderes, sich auf die Änderungen einzustellen.
@T.Scheffler:
Nun ja, so 100%ig BGB-AT-konform war die bisherige Auffassung ja nicht gerade.
Das BayObLG hat nur auf den § 167 BGB und die daraus sich ergebende Möglichkeit formloser Bevollmächtigung abgestellt.
Aber die formlose Bevollmächtigung, sich selbst eine Vollmachtsurkunde i.S.d. § 172 BGB auszustellen ist zumindest im Zivilrecht wohl schon aufgrund des Schutzwecks dieser Norm kaum möglich (und aufgrund des Umstandes, dass die Urkunde nach dem klaren Wortlaut des § 172 ja dem Bevollmächtigten durch den Vollmachtgeber ausgehändigt werden muss) Daher könnte jedenfalls zivilrechtlich zB ein RA, der gerade keine Vollmachtsurkunde zur Hand hat und seinen Mandaten nur telefonisch erreicht, sich nicht selbst „i.V.“ eine Vollmachtsurkunde ausstellen, um damit etwa die die Zurückweisung einer Kündigung nach § 174 BGB zu vermeiden.
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