In der Praxis häufig ist die Ablehnung eines Beweisantrages wegen eigener Sachkunde des Gerichts (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Man ist, wenn man die Entscheidungen der Revisionsgerichte dazu liest, immer wieder erstaunt, was die Gerichts so alles können und was sie wissen, oder kurz: Von welchen Materien/Frage sie „Kenne haben“ bzw. meinen zu haben. So auch im BGH, Beschl. v. 24.01.2017 – 2 StR 509/16. Angeklagt war in dem Verfahren ein Überfall auf eine Tankstelle. Das LG hat den Angeklagten verurteilt und ist dabei von einer „Lebensbeichte“ eines Mitangeklagten ausgegangen, der den Angeklagten als Tatbeteiligten benannt hatte. Von dem Überfall gab es Lichtbilder, auf der zwei Täter zu sehen waren. Dazu hatte der Angeklagte unter Beweis gestellt, dass „der auf den zur Akte gelangten Lichtbildern der Videoüberwachungskamera der Total-Tankstelle …. erkennbare Täter mindestens 180 cm groß“ gewesen sei, während der Angeklagte W. nur eine Körperlänge von 170 cm aufweise. Mithilfe der „Photogrammetrie“ sei es möglich, anhand des Hintergrunds die Körpergröße der fotografierten Person auch unter Ausgleich perspektivischer Verzerrungen näher festzulegen. Das LG hatte den Antrag unter Hinweis auf eigene Schkunde zurückgewiesen, ohne das näher zu begründen:
Das beanstandet der BGH:
a) Bei dem Antrag der Verteidigung handelt es sich um einen förmlichen Beweisantrag, der nur nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 oder Abs. 4 StPO zu-rückgewiesen werden durfte. Unter Beweis gestellt wurde nach der Erläuterung des Antragsvorbringens nicht nur das Beweisziel, dass der auf den Lichtbildern erkennbare zweite Täter nicht der Angeklagte W. gewesen sei, sondern dass der zweite Täter nach Körperlänge und Statur nicht dem Erscheinungsbild des Angeklagten W. entspricht. Dies enthält eine dem Beweis zugängliche Tat-sachenbehauptung und nicht nur das Ergebnis einer „Bewertung“.
b) Indem das Landgericht den Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO unter Berufung auf eigene Sachkunde zurückgewiesen hat, hat es sich auf einen im vorliegenden Fall untauglichen Ablehnungsgrund gestützt.
aa) Die Frage, ob mit Mitteln der Bildbearbeitung und Raumvermessung, auf die der Beweisantrag im Hinblick auf Möglichkeiten der „Photogrammetrie“ verwiesen hat, näherer Aufschluss über die Größe der auf Fotos vom Verkaufs-raum der Total-Tankstelle abgebildeten Person zu gewinnen ist, zählt nicht zu allgemein vorhandenem Wissen, auf das Tatrichter ohne weiteres zurückgreifen können. Der Hinweis des Landgerichts, aus anderen Verfahren sei ihm bekannt, dass exakte Größenangaben derartigen Bildern regelmäßig ohnehin nicht zu entnehmen seien, ist demgegenüber nicht aussagekräftig. Sie erklärt nicht, dass und warum die Bildbearbeitung und Raumvermessung keine weite-ren Erkenntnisse ergeben könne. Sie steht zudem in Widerspruch zur eigenen Bewertung der Lichtbilder in den Urteilsgründen.
bb) Deshalb hätte die eigene Sachkunde des Gerichts näherer Darlegung bedurft.
(1) Eine solche wäre nach § 244 Abs. 6 StPO zunächst im Ablehnungsbeschluss vorzunehmen gewesen, um der Verteidigung eine Reaktion hierauf noch in der Hauptverhandlung zu ermöglichen (vgl. SK-StPO/Frister, StPO, 5. Aufl., § 244 Rn. 220; Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl., 2. Teil 2. Kap. Rn. 1442). An einer Erläuterung der eigenen Sachkunde fehlt es aber in der Begründung des Beschlusses, abgesehen von dem nicht aussagekräftigen Hinweis auf die angebliche Unmöglichkeit einer genaueren Größenbestimmung durch Sachverständige.
(2) Nach der Rechtsprechung genügt gegebenenfalls auch eine Dar-legung der Sachkunde des Gerichts in den Urteilsgründen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; s.a. LR/Becker, StPO, Aufl., § 244 Rn. 339). Sie ist aber entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch daraus nicht ausreichend zu entnehmen.
Die Anforderungen, die an die Darlegung der eigenen Sachkunde im Urteil zu stellen sind, richten sich nach der Schwierigkeit der konkret zu beurteilenden Beweisfrage, die Art und Umfang des erforderlichen Spezialwissens bestimmt. Erfordert die Materie eine besondere Ausbildung oder kontinuierliche wissenschaftliche oder praktische Erfahrung, sind die Anforderungen an die Darlegungspflicht erhöht (MünchKomm-StPO/Trüg/Habetha, StPO, § 244 Rn. 73 mwN).
Wenn die Strafkammer nach den Urteilsgründen selbst anhand des Er-scheinungsbildes der fotografierten Personen im Verhältnis zu den im Hintergrund erkennbaren Regalen Schlüsse auf die Größenverhältnisse gezogen hat, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, durch Bildbearbeitung und Raumvermessung sei kein genauerer Aufschluss zu gewinnen. Der Beschwerdeführer ist insoweit dem Landgericht zutreffend mit der Bemerkung entgegengetreten: „Wenn es dann von einem größeren und einem kleineren Täter spricht, so handelt es sich lediglich um Vermutungen, denn die Täter sind auf keinem Bild gleichzeitig anwesend und daher (ist) nur ein ungefährer Vergleich möglich. Nur ein Fachmann kann hier genau erkennen, wie der Größenunterschied tatsächlich ist und auch eine Körpergröße angeben, vor allem wenn man bedenkt, dass die Originalregale noch vorhanden sind.“
Na, da war wohl einiges an Veruteilungswillen beim LG vorhanden. Alleine schon auf die Begründung, warum das grundsätzlich nicht möglich sein soll, wäre ich gespannt. Der Geometrieunterricht in der Schule läßt jedenfalls das Gegenteil annehmen.
Und der Schluß ist ja eh ein Knaller – meinen, das könnte man nicht berechnen, aber aufgrund der gleichen Methodik meinen zu wissen, dass der eigene Blick das feststellen kann.