Der BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15 – ist ja schon in anderen Blogs gelaufen. Er ist aber – auf den ersten Blick – auch „zu schön“, den muss man einfach bringen. Es geht mal wieder um die Schmähkritik. In Berlin ist ein Verteidiger wegen Beleidigung einer Staatsanwältin verurteilt worden. Es ist ein bisschen hin und her gegangen – ganz einig war man sich nicht. Das AG hatte zunächst einen Strafbefehl erlassen, das LG hat den Verteidiger auf sein Berufung hin dann frei gesprochen, das KG hat diesen Freispruch aufgehoben. Das LG hat dann im zweiten Durchlauf den Verteidiger verurteilt. Die dagegen eingelegte Revision hat das KG verworfen. Das BVerfG hat nun ein vorletztes (?) Wort gesprochen und die verurteilenden Urteile von LG und KG aufgehoben.
Grundlage des Hin und Her und der Entscheidung aus Karlsruhe ist folgender Sachverhalt:
„1. Der Beschwerdeführer arbeitet als Rechtsanwalt. Seit Dezember 2009 vertrat er als Strafverteidiger den ersten Vorsitzenden eines gemeinnützigen Vereins, der Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Veruntreuung von Spendengeldern war. Dieses Ermittlungsverfahren erregte großes Medieninteresse.
2. Das Amtsgericht erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. An der nicht öffentlichen Sitzung der Haftbefehlsverkündung nahm neben dem Beschwerdeführer auch die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin teil. Der Beschwerdeführer griff die Staatsanwältin im Laufe des Termins verbal an und verließ die Sitzung noch vor ihrer offiziellen Schließung. Der Beschwerdeführer war der Ansicht, sein Mandant werde zu Unrecht verfolgt und die erfolgten und drohenden Maßnahmen der Strafverfolgung seien ungerechtfertigt. Am Abend desselben Tages rief ein Journalist, der an einer Reportage über den Beschuldigten und das ihn betreffende Ermittlungsverfahren arbeitete und der über die Verhaftung im Bilde war, den Beschwerdeführer an. Nach den Feststellungen der Fachgerichte kannte der Beschwerdeführer den Journalisten nicht und wollte ihm keine Fragen beantworten oder ihm ein Interview mit dem Beschuldigten vermitteln, war jedoch immer noch wütend über den Verlauf der Ermittlungen und bezeichnete im Laufe des Telefonats die zuständige Staatsanwältin als „dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin“.
LG und KG sind von „Schmählritik“ ausgegangen. Das BVerfG meint: Nicht ausreichend begründet und abgewogen:
„b) Diesen Maßstäben genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht in jeder Hinsicht.
aa) Das Landgericht geht bei seiner Verurteilung ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen des Sonderfalls einer Schmähkritik aus. Es verwendet den Begriff der Schmähkritik zwar nicht ausdrücklich, stellt aber darauf ab, die inkriminierten Äußerungen seien Ausdruck einer persönlichen Fehde und stellten die Beleidigte als Person in den Vordergrund. Dementsprechend unterlässt es die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, worin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler liegt (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>).
Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>). Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.
Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben hat das Landgericht verkannt. Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand. Der Beschwerdeführer reagierte auf einen Anruf von einem mit dem Verfahrensstand vertrauten Journalisten, der ihn in seiner Eigenschaft als Strafverteidiger zu dem Ermittlungsverfahren gegen seinen Mandanten und dessen Inhaftierung befragte. In diesem Kontext ist es jedenfalls möglich, dass sich die inkriminierten Äußerungen auf das dienstliche Verhalten der Staatsanwältin vor allem mit Blick auf die Beantragung des Haftbefehls bezogen. Für die Annahme einer Schmähkritik reicht es unter diesen Umständen nicht, wenn das Landgericht nur darauf abstellt, dass die Äußerungen dabei nicht relativiert oder auf ganz bestimmte einzelne Handlungen der betreffenden Staatsanwältin Bezug nahmen. Es hätte insoweit in Auseinandersetzung mit der Situation näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren.
So lange solche Feststellungen nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind, hätte das Landgericht den Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. An dieser fehlt es hier. Auch das Kammergericht hat diese nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich auf eine „noch hinreichende“ Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht stattgefunden hat.“
Nun ja. Unabhängig davon, ob man die Ausführungen des BVerfG überzeugend findet oder nicht – mich überzeugen sie nicht unbedingt, aber man kennt die angegriffenen Entscheidungen ja nicht im Einzelnen -, frage ich mich, was das noch mit Meinungsfreiheit zu tun hat bzw. haben soll. Und in der Sache: M.E. „unter aller Sau“. Denn was soll das im Verfahren dem Mandanten bringen? M.E. kann die Antwort nur sein: Nichts, oder? Es gilt der Spruch: „Sine ira et studio“.
„dahergelaufene, durchgeknallte, widerwärtige, boshafte, dümmliche, geisteskranke Staatsanwältin“? Kein Wunder, wenn Lehrern, Polizisten, überhaupt Beamten und anderen Personen, selbst Abgeordneten, kein Respekt mehr entgegen gebracht wird, sondern sie im Gegenteil im Internet mit Hasstiraden überzogen werden. Wenn die Kanzlerin als Hure der Amerikaner beschimpft wird und man weist den Forumsbetreiber darauf hin, bekommt man „Meinungsfreiheit“ zur Antwort. Es gibt keine Unhöflichkeit oder schlechtes Benehmen mehr, das ist halt im Zweifel Meinungsfreiheit.