Sog. „Abstinenzweisungen“, z.B. betreffend Drogen – häufig im Rahmen der Anordnung der Führungsaufsicht (§ 68f ff. StGB) anzutreffen – sind bei den davon betroffenen Probanden sehr unbeliebt. Die (obergerichtliche) Rechtsprechunggeht aber davon aus, dass eine Weisung, die dahin geht, keine Betäubungsmittel bzw. keinen Alkohol zu konsumieren, für sich genommen keinen Verstoß gegen Grundrechte darstellt. Die Abstinenzweisung muss aber im Einzelfall verhältnismäßig sein, was eine Abwägung zwischen den betroffenen Gemeinwohlbelangen und den Rechten des Verurteilten voraussetzt. Insoweit werden als ohne Weiteres zulässig angesehen Abstinenzweisungen gegenüber zum Verzicht auf den Konsum von Alkohol oder anderer Suchtmitteln fähige Personen. Hingegen ist bei nicht- oder erfolglos therapierten langjährigen Suchtkranken eine Abwägung erforderlich, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, inwieweit die Aussicht besteht, den mit der Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten sind. Auch § 145a StGB spielt eine Rolle. Das kann man alles noch einmal nachlesen im BVerfG, Beschl. v. 30.03.2016 – 2 BvR 496/12, in dem es zu Unzumutbarkeit/Unverhältnismäßig dann konkret u.a. heißt:
c) Gemessen an diesen Maßstäben tragen die angegriffenen Entscheidungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung.
aa) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob im Fall des Beschwerdeführers die Anordnung einer Abstinenzweisung überhaupt geeignet ist, eine Reduzierung des Drogenkonsums und des damit verbundenen Risikos weiterer Straftaten zu erreichen:
Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen langjährigen Suchtkranken, der bereits als Jugendlicher Drogen konsumiert und diesen Konsum ungeachtet mehrfacher Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten durchgängig fortgesetzt hat. Er hat in den letzten Jahren zahlreiche Entgiftungen und mehrere Langzeitentwöhnungstherapien erfolglos absolviert. Bis auf eine Ausnahme mussten die Entwöhnungstherapien vorzeitig beendet werden, weil festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer Drogen konsumiert hatte oder sich im Besitz von Drogen befand. Eine erneute stationäre Therapie lehnt er ab. Selbst im unmittelbaren Vorfeld von Entscheidungen über den Widerruf gewährter Vollstreckungszurückstellungen und Bewährungsaussetzungen wurde der Beschwerdeführer wegen Drogenbesitzes auffällig. Nicht einmal in dieser Situation vermochte er seinen Suchtdruck so zu beherrschen, dass er zumindest einige Tage abstinent blieb.Sämtliche festgesetzten Freiheitsstrafen und Therapieangebote haben nichts an der Drogenabhängigkeit des Beschwerdeführers geändert. Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, inwieweit eine strafbewehrte Abstinenzweisung dazu beitragen soll, dass der Beschwerdeführer „sein noch junges Leben in den Griff bekommt“. Die Geeignetheit der Abstinenzweisung zur Verminderung des Risikos weiterer suchtmittelbedingter Straftaten erscheint daher zumindest zweifelhaft.bb) Jedenfalls überschreitet die Weisung im vorliegenden Fall die verfassungsrechtlich vorgegebene Grenze der Zumutbarkeit.
Die Weisung, keine Suchtmittel zu konsumieren, stellt für den Beschwerdeführer angesichts seiner Drogenabhängigkeit eine schwerwiegende Belastung dar. Es ist noch nicht einmal erkennbar, ob er krankheitsbedingt überhaupt in der Lage ist, sich weisungsgemäß zu verhalten. Dabei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das wahrscheinliche Unvermögen, die Abstinenzweisung zu beachten, selbstverschuldet ist, da nicht feststeht, ob das Scheitern der bisherigen Therapieversuche auf die Suchtabhängigkeit oder auf eine nicht krankheitsbedingte Therapieunwilligkeit des Beschwerdeführers zurückzuführen ist. Bei der Behauptung, es dränge sich der Schluss auf, dass der Beschwerdeführer nur verbal bekunde, zu einer Entziehung motiviert zu sein, handelt es sich um eine bloße Vermutung. Daher kann von dem Beschwerdeführer zwar möglicherweise erwartet werden, dass er einen weiteren ernsthaften Therapieversuch unternimmt. Die Erwartung drogenabstinenten Lebens ohne die vorherige erfolgreiche Absolvierung einer solchen Therapie erscheint demgegenüber nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Abstinenzweisung lediglich zu einer Pönalisierung suchtbedingt unvermeidbaren künftigen Verhaltens führt und daher dem Beschwerdeführer nicht zumutbar ist……
Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität ohnehin bereits die Vorstufen drittschädigenden Verhaltens – etwa gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 BtMG das Sichverschaffen oder der Besitz von Betäubungsmitteln – strafbar sind. Im Fall fortgesetzten Drogenmissbrauchs wäre daher eine erneute Strafverfolgung des Beschwerdeführers bereits frühzeitig möglich. Demgemäß stellt sich die Abstinenzweisung als eine vom Beschwerdeführer suchtbedingt voraussichtlich nicht erfüllbare Verhaltenserwartung dar, deren Nichtbeachtung vor allem zur Strafbarkeit selbstschädigenden Verhaltens führt. Eine durch die strafrechtlichen Regelungen im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität nicht erfasste Sanktionierung der Vorstufen drittschädigenden Verhaltens ist mit der Weisung nicht verbunden. Demgemäß beinhaltet die Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB vorliegend eine schwerwiegende Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Beschwerdeführers, die angesichts des allenfalls geringen zusätzlichen Beitrages zum Schutz der Allgemeinheit als unzumutbar bewertet werden muss.“