Als zweite Entscheidung zur Durchsuchung (vgl. vorhin schon den BGH, Beschl. v. 19.04.2016 – StB 10/16 und dazu Durchsuchung I: Durchsuchung des Verteidigers – darf das Gericht das?) eine Entscheidung vom 2. Strafsenat, nämlich das BGH, Urt. v. 17.o2.2016 – 2 StR 25/15. Es behandelt mal wieder die mit einem bei der Anordnung der Durchsuchung vorliegenden Verstoß gegen den Richtervorbehalt zusammenhängenden Fragen, vor allem die des Beweisverwertungsverbotes. Er enthält aber nichts wesentlich Neues zu der Frage: Der BGH hält an der seiner Linie (und der der h.M.) fest, dass Verstöße gegen den Richtervorbehalt nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wenn dieser bewusst umgangen oder ähnlich schwerwiegend verletzt wird.
Zum Sachverhalt: Der Angeklagte war wegen Verstoßes gegen das BtmG einschlägig vorbestrafte nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis und erst einige Tage auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen. Er führte am 29.12.2013 in einer verschlossenen Geldkassette im Auto einer Bekannten, die die Wegnahme des Fahrzeugs nicht bemerkt hatte, mindestens 100g Metamphetamin mit sich, das er zum Verkauf vorrätig gehalten hatte. Der Angeklagte fuhr an eine abgelegene Stelle, an der es bereits öfter zu kriminellen Handlungen und auch zu Verstößen gegen das BtMG gekommen war. Als ihn dort zwei Polizeibeamte einer Fahrzeugkontrolle unterziehen wollten, stieg der Angeklagte aus dem Fahrzeug aus und verriegelte es. Dann gelang ihm zu Fuß die Flucht.
Anschließend wurde das Fahrzeug zu einer Verwahrstelle abgeschleppt. Der Angeklagte bat seine Freundin, dorthin zu fahren, um den Rucksack abzuholen. Die Polizei verweigerte jedoch die Herausgabe. Stattdessen wurde das Fahrzeug gegen 03.15 Uhr durch Einschlagen einer Seitenscheibe geöffnet und der Rucksack entnommen. Im Rucksack befand sich u.a. der Entlassungsschein der JVA mit den Personalien des Angeklagten. Später wurde, ohne dass zuvor eine richterliche Anordnung eingeholt worden war, auch noch die Geldkassette aufgebrochen und das Metamphetamin aufgefunden. Das LG hat den den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt und dabei gegen den Widerspruch der Verteidigung die bei der Durchsuchung von Pkw und Geldkassette aufgefundenen Beweismittel vewertet. Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg.
Der BGH sagt: Für die Durchsuchung des Fahrzeugs und des Rucksacks, den der Angeklagte darin mitgeführt hatte, hat sich aus § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO eine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ergeben. Die spätere Öffnung und Durchsuchung der Geldkassette hat hingegen nicht mehr der Identitätsfeststellung gedient und sei deshalb nicht von § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO gedeckt gewesen. Es habe sich um eine Durchsuchung im Sinne der §§ 102, 105 StPO gehandelt, die einer richterlichen Anordnung bedurft hätte. Aber:
„bb) Aus dem Verfahrensfehler ergibt sich jedoch kein Beweisverwertungsverbot.
Ob dies der Fall ist, muss nach der Rechtsprechung im Einzelfall auf-grund einer umfassenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit an der wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften geprüft werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09, 1857/10, BVerfGE 130, 1, 27). Dies gilt auch für eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 289 ff.). Die Abwägung ergibt, dass der Verfahrensfehler die Rechte des Angeklagten bei der Beweis-gewinnung nicht erheblich beeinträchtigt hat und das Interesse an der Verwertung der in der Geldkassette gefundenen Sachbeweise überwiegt.
Dabei fällt ins Gewicht, dass es um den schwerwiegenden Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten geht, der einschlägig vorbestraft ist. Nachdem seine Identität durch Auffinden des Entlassungsscheins aus der Justizvollzugsanstalt, aus der er bedingt entlassen worden war, bekannt war, ist auch anzunehmen, dass ein Ermittlungsrichter in dem Fall, dass ein Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Geldkassette gestellt worden wäre, höchstwahrscheinlich einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Diese Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung ist im Rahmen der Abwägung zu berück-sichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 291; Urteil vom 15. Februar 1989 – 2 StR 402/88, NStZ 1989, 375, 376 mit Anm. Roxin; KK/Bruns, StPO § 105 Rn. 21; krit. MünchKomm/Hauschild, StPO, 2014, § 105 Rn. 39; LR/Tsambikakis, StPO § 105 Rn. 149). Sie führt dazu, dass aus der ohne richterliche Gestattung erfolgten Durchsuchung kein Beweisver-wertungsverbot resultiert. Anhaltspunkte dafür, dass der Richtervorbehalt von den Ermittlungsbeamten bewusst missachtet wurde, liegen nicht vor.
Dieser Verfahrensfehler führe jedoch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Die Abwägung des Interesses der Allgemeinheit an der wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Angeklagten an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften ergebe, dass der Verfahrensfehler die Rechte des Angeklagten bei der Beweisgewinnung nicht erheblich beeinträchtigt hat und das Interesse an der Verwertung der in der Geldkassette gefundenen Sachbeweise überwiegt. Dabei falle ins Gewicht, dass es um den schwerwiegenden Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten ging, der einschlägig vorbestraft ist. Nachdem seine Identität durch Auffinden des Entlassungsscheins aus der Justizvollzugsanstalt, aus der er bedingt entlassen worden war, bekannt war, sei auch anzunehmen, dass ein Ermittlungsrichter in dem Fall, dass ein Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Geldkassette gestellt worden wäre, höchstwahrscheinlich einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Diese Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung sei im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Schließlich lägen Anhaltspunkte dafür, dass der Richtervorbehalt von den Ermittlungsbeamten bewusst missachtet wurde, nicht vor.“
Ich habe so meine Probleme mit dieser Abwägungslehre der Rechtsprechung. Damit kann man alles „gesund beten“.
…Ja, das Gefühl teile ich. Weniger mit Blick auf den Verzicht, die Mißachtung einer gesetzlichen Verfahrensvorschrift zu sanktionieren (Merke: viele Verfahrensvorschriften sind demnach nur „blaue Hinweisschilder“), aber wegen der Berücksichtigung des durch den Verfahrensverstoß aufgefundenen Beweismittels im Rahmen der Abwägung – so klingt es zumindest.
„Anhaltspunkte dafür, dass der Richtervorbehalt von den Ermittlungsbeamten bewusst missachtet wurde, liegen nicht vor.“
Wie soll das denn gehen? Partielle Amnesie bei den ausgebildeten Polizeibeamten bzgl. des Richtervorbehalts?
Und weiter:
„Diese Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung sei im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.“
Auf gut Deutsch: Der Polizist kann sich den Beschluß de facto slebst ausstellen, wenn er nur irgendwie glaubhaft machen kann, er habe gedacht die Sache sei eh in trockenen Tüchern. SO kann man den Richtervorbehalt auch schön umgehen.
„Du Kollege, ruf den Richter an wegen Durchsuchung“
„Na, ich weiß nicht, der könnte doch auch nein sagen“
„Ach quatsch, macht der sicher nicht“
„Na dann können wir auch so rein, wenn wir da beide sicher sind ;-)“
Das Argument, die rechtswidrig nachgewiesene Tat sei besonders schwerwiegend, führt zum Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Denn es könnte auch genau so gut umgekehrt verwendet werden. Mir erschiene es sogar konsequenter, bei besonders schwerwiegenden Vorwürfen eine beosnders lückenlose und einwandfreie Beweisführung zu erwarten.
Überträge man die Argumentation auf das Folterverbot, zeigt sich die Absurdität: „Um einen Verkehrsverstoß nachzuweisen, dürfen wir nicht foltern. Dann müssen wir den Verdächtigen gleich dazu zwingen, einen Mord zu gestehen.“
Ein Gericht, das den Richtervorbehalt nicht ernst nimmt, scheint sich auch selbst nicht besonders ernst zu nehmen. Den Eindruck wirksamer Kontrolle staatsanwaltlicher und anderer Verwaltungstätigkeit zu bewirken, erzeugt das Gericht damit nicht.
@WPR
Ob es eine bewusste Missachtung war, hätte die Revision ggf. vortragen können, aber da sie den Vermerk des Polizeibeamten N. über die Vorgänge nicht mitgeteilt hat und der BGH die Zulässigkeit der Verfahrensrüge daher auch offen gelassen hat, werden wir es wohl nicht so genau erfahren….bis auf den Umstand, dass jedenfalls der Bereitschaftsdienst der StA verständigt wurde.
Erstaunlich fände ich es jedenfalls, wenn im LG_Bezirk Meiningen in der Zeit von 03:15 Uhr bis 06:00 Uhr ein richterlicher Bereitschaftsdienst für Durchsuchungsanordnungen, die nicht Wohnräume betreffen, eingerichtet wäre, den man überhaupt noch hätte kontaktieren können.
Denn an sich waren die Sachen ja nach erfolgter Identitätsfeststellung anhand des Entlassscheins an die „Freundin Sc.“ herauszugeben, und ab diesem Zeitpunkt drohte Beweismittelverlust.
Schöner rechtsethischer (rechtsromantischer?) Ansatz von „Leser“. Aber die hinter dieser Rechtsprechung stehende Befürchtung läuft doch gerade in die entgegengesetzte Richtung: Es wäre der Untergang des Rechtsstaats gerade bei schwerwiegenden Taten diese nur deswegen nicht aburteilen zu können, weil eine lässliche Verfahrensvorschrift nicht beachtet wurde und dies zu einem Beweisverbot geführt hat. Seit Jahren gibt es keine einheitliche nachvollziehbare Dogmatik für Beweisverwertung, da für den Rechtsstaat und den Einzelfall immer eine Spontanlösung möglich sein muss. Früher haben wir uns über den Zivilprozess belustigt, weil dort scheinbar alles (Alles!) verwertet wurde; heute haben wir auch da eine gewisse Vereinheitlichung der Rechtsprechung – natürlich zum Wohle des funktionierenden Rechtsstaats.
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