Der Angeklagte schreibt als Reaktion auf einen vorherigen Fernsehbericht des WDR über die Abschiebehaft eines serbischen Ehepaares, in dem über „angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis“ berichtet worden war, eine E-Mail mit folgendem Inhalt an die zuständige Behörde, das Ausländeramt des Kreises G:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
nach dem Erleben des heutigen WDR-Beitrages muss ich sachlich feststellen, daß Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben. Man sollte doch erwarten, daß die rechtssicheren Handlungen, die jedem damaligen Judenschänder seinen Beamtenstatus erhielten, auch noch von Ihnen beherrscht werden. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ehe dem deutschen Beamten ein Rechtsbruch nachgewiesen würde, drehte sich die Erde rückwärts.
Weiter so bis zum Ruhestand.
Und Kopf hoch, selbst Roland Freislers Witwe wurde im Nachhinein die Altersversorgung aufgebessert.“
Na ja, ist schon ganz schön dicke, oder?. Hat sich das AG auch wohl gedacht und verurteilt den Angeklagten wegen Beleidigung verurteilt. OLG Hamm hebt auf die Revision des Angeklagten dann aber im OLG Hamm, Beschl. v. 14.08.2014 – 2 RVs 29/14 – auf und spricht frei. Begründung. (noch) keine Schmähkritik, sondern noch freie Meinungsäußerung_
Die mangels Vorliegens einer Schmähkritik demnach unter Berücksichtigung aller wesentlichen Einzelumstände vorzunehmende konkrete Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten fällt vorliegend zugunsten der Meinungsfreiheit aus.
Zwar ist der Ehrschutz und das Persönlichkeitsrecht der bei der Ausländerbehörde des Kreises G tätigen Mitarbeiter in massiver Weise angegriffen bzw. verletzt worden. Denn in seiner E-Mail nimmt der Angeklagte zwar auch auf den Inhalt des WDR-Berichtes Bezug, eine nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt des WDR-Berichtes erfolgt jedoch nicht. Vielmehr steht der ehrverletzende Charakter der E-Mail im Vordergrund. Gerade der vom Angeklagten vorgenommene Vergleich der Mitarbeiter des Ausländeramtes des Kreises G mit den Amtsvorgängern der NS-Diktatur, welche „Judenschänder“ gewesen seien, und die damit gezogene Parallele zu den Gräueltaten der NS-Diktatur, greift in massiver Weise in den Ehrschutz der Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein.
Dennoch überwiegt bei Zugrundelegung der Maßstäbe der maßgeblichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung die Meinungsfreiheit.
Für den Vorrang der Meinungsfreiheit spricht, dass nach dem Inhalt des Fernsehberichtes des WDR Anlass zu – auch scharfer – Kritik gegeben war. In einem solchen Fall ist der Umfang dessen, was an Meinungsäußerung noch gerechtfertigt ist, erheblich größer (vgl. Thür. OLG, Beschluss vom 4. Juli 2001, NJW 2002, 1890). Dabei fallen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Bei Beiträgen zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, NJW 1992, 2815).
Bei der Beurteilung der Schwere der zweifellos vorliegenden Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist zudem von Bedeutung, ob die betroffenen Mitarbeiter der Ausländerbehörde persönlich angegriffen und womöglich sogar namentlich genannt wurden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, a.a.O.). Vorliegend hat der Angeklagte mit dem Inhalt seiner E-Mail jedoch keine einzelnen Personen, sondern allgemein die Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Kreises G ansprechen wollen. Zudem ist der Inhalt der E-Mail nicht unbeteiligten Dritten zugänglich gemacht worden, was ebenfalls bei der Abwägung zu berücksichtigen ist.
Auch ist zu bedenken, dass der Inhalt der E-Mail des Angeklagten zwar beleidigend, jedoch angesichts der gewählten Formulierungen nicht derart ehrverletzend ist, dass der Ehrschutz überwiegen würde. Vielmehr dürfen im „Kampf um das Recht“ auch scharfe, polemische und übersteigerte Äußerungen getätigt werden, um eine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn die Kritik auch anders formuliert hätte werden können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Juni 2004, NStZ-RR 2006, 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, NStZ-RR 2012, 244). Bei Beiträgen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage – wie hier der Abschiebung von Ausländern – muss Kritik an staatlichen Maßnahmen, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, hingenommen werden, weil anderenfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 82, 272]).“
Einzelne Senate des OLG Hamm gefallen sich offensichtlich besonders darin, die Beleidigungsfähigkeit aller öffentlich Bediensteter (sich selbst natürlich ausgenommen) abzuschaffen. Bei dem hier relevanten Text geht es ersichtlich ausschließlich um Ehrverletzung, zumal der Verfasser an dem so gerne zitierten „Kampf ums Recht“ wohl kaum beteiligt gewesen dürfte es sei denn in einer Mischung aus GoA und gewillkürter „Kamfstandschaft“.
Im Übrigen bestreffen die zitierten Entscheidungen wesentlich „mildere“ Formulierungen, und z.T. ist der Maßstab dennoch strenger, so etwa in dem zitierten Fall des OLG Jena.
„Kampf ums Recht“, wenn jemand seiner Empörung nach einem Fernsehbeitrag freien Lauf lässt, ohne irgendwie verfahrensbeteiligt zu sein? Bringt da das OLG nicht ein paar Sachen durcheinander?
Zumal dann im nächsten Satz nicht der Kampf ums Recht, sondern der Topos der „die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ bemüht wird (bei der man sich dann auch darüber streiten kann, ob ein einzelner Fernsehbericht über einen lokalen Einzelfall das Ganze schon „wesentlich“ macht ?
Mir fiel es gar nicht so leicht herauszufinden, was der Schreiberling eigentlich sagen wollte. Will er sagen, dass die deutschen Beamten sich ein Beispiel an schneidigen Nazibeamten nehmen und Asylbewerber in Viehwaggons wegschaffen sollen? Oder will er die heutigen Beamten in die Nähe der Nazibeamten rücken?
Ohne klare und eindeutige Aussage fällt die Bestimmung des beleidigenden Gehalts derselben nicht unbedingt leicht.
Keine Bange, da ist das OLG Hamm nicht alleine. Auch im Bezirk des OLG Köln darf ein jeder die öffentlichen Bediensteten frei Schnauze anpöbeln.