Noch vor Jahresende 2013 ist auf der Homepage des BGH der BGH, Beschl. v. 24.09.2013 – 2 StR 267/13 – eingestellt worden, der sich mit einem Teilaspekt auf dem großen „Dauerbrennerkomplex“ Verständigung nach § 257C StPO befasst. Und zwar auf der Grundlage folgenden Geschehens in der Hauptverhandlung:
Nach Verlesung des Anklagesatzes wurde der Angeklagte vernommen. Dieser erklärte, dass er nicht zu einer Äußerung bereit sei. Darauf wurde die Hauptverhandlung von 09.40 Uhr bis 11.10 Uhr unterbrochen. Danach wurde „gem. § 243 Abs. 4 StPO festgestellt, dass Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gem. § 257c StPO gewesen ist, stattgefunden haben, aber ohne konkrete Ergebnisse ge-blieben sind.“
Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, dass ein weiteres Verfahren wegen des Vorwurfs des versuchten Betrugs zum Nachteil der Firma H. gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt werde. Im Anschluss an diese Ankündigung der Staatsanwaltschaft gab der Wahlverteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung ab, worauf der Angeklagte erklärte: „Die gemachten An-gaben meines Verteidigers treffen zu“. Danach wurden „die persönlichen Verhältnisse“ mit dem Angeklagten erörtert, und anhand des Auszugs aus dem Bundeszentralregister wurde festgestellt, dass er nicht vorbestraft sei. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte hinsichtlich der Fälle 1 bis 12 und 49 bis 55 der Anklageschrift die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO. „Nach Beratung am Richtertisch“ beschloss die Strafkammer dies.
Der Vorsitzende erklärte anschließend, dass eine „qualifizierte Absprache gem. § 257c StPO“ nicht stattgefunden habe.
Hierauf wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Wahlverteidiger beantragten übereinstimmend die Verurteilung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung und zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu 30 Euro.
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung und einer Gesamt-geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 30 Euro. Nach der allgemeinen Rechtsmittelbelehrung erklärten die Verteidiger mit Zustimmung des Angeklagten so-wie die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft jeweils Rechtsmittelverzicht.“
Der Angeklagte hat dann durch einen anderen Verteidiger doch Revision eingelegt und geltend gemacht, dass der Rechtsmittelverzicht wegen einer informellen Urteilsabsprache unwirksam sei.
Der BGH stimmt dem zu und geht von einer konkludenten Urteilsabsprache aus, was er im Leitsatz der für BGHSt vorgesehenen Entscheidung wie folgt zusammenfasst:
„Wenn Verteidigung und Staatsanwaltschaft in Gegenwart der für die Entscheidung zuständigen Richter Anträge zur Strafart und Strafhöhe nach Teileinstellung des Verfahrens und Ablegung eines Geständnisses erörtern, im Anschluss daran das Gericht nach dem Vortrag eines Formalgeständnisses auf eine – an sich vorgesehene – Beweisaufnahme verzichtet, den übereinstimmenden Anträgen folgt und der Angeklagte Rechtsmittelverzicht erklärt, ist in der Regel von einer konkludent geschlossenen Urteilsabsprache auszugehen, die dem Zweck dient, die Anforderungen und Rechtswirkungen einer Verständigung rechtswidrig zu umgehen. Bloßes Schweigen der Richter bei einem Verständigungsgespräch oder die Erklärung, das Ge-richt trete den Vorschlägen nicht bei, stehen dem nicht entgegen.“
Und er setzt noch einen drauf:
„Ein Rechtsmittelverzicht ist unwirksam, wenn dem Urteil eine informelle Verständigung vorausgegangen ist.“
Denn:
Nach dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009 I, S. 2353) ist für informelle Absprachen über das Prozessergebnis kein Raum. Nach dem Zweck des gesetzlichen Ausschlusses eines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO muss diese Regelung für informelle Absprachen erst recht gelten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27. September 2011 – 1 Ws 381/11, StV 2012, 141, 142 mit Anm. Meyer-Goßner; OLG München, Beschluss vom 17. Mai 2013 – 2 Ws 1149, 1150/12, StV 2013, 495, 499 f. mit Anm. Meyer-Goßner, StV 2013, 614; SK/Frisch, StPO, 4. Aufl., § 302 Rn. 32d; vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 offen gelassen von BGH, Be-schluss vom 27. Oktober 2010 – 5 StR 419/10, NStZ 2011, 473; a.A. Niemöller NStZ 2013, 19, 22).
Diese Bewertung der Rechtslage zum Rechtsmittelverzicht nach informellen Urteilsabsprachen steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das von der Rechtswidrigkeit informeller Verfahrenserledigungen ausgeht und die Effektivität der revisionsgerichtlichen Ver-fahrenskontrolle angemahnt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1064 ff.).
Ein Angeklagter, der an Erörterungen der Richter, Verteidiger und Vertreter der Staatsanwaltschaft im Beratungszimmer nicht beteiligt war, dem die für das Verständigungsverfahren vorgesehenen Informationen über den wesentlichen Inhalt der Erörterungen (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) nicht protokollfest (§ 273 Abs. 1 Nr. 1a StPO) erteilt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12, NJW 2013, 3046, 3047 f., für BGHSt bestimmt) und der nach der Urteilsverkündung vom Gericht nicht qualifiziert über seine Rechtsmittel-möglichkeit belehrt wurde (§ 35a Satz 3 StPO), ist besonders schutzwürdig. Er kann unmittelbar nach Urteilsverkündung nicht eigenverantwortlich entscheiden, ob eine Rechtsmittelmöglichkeit noch mit Aussicht auf Erfolg genutzt werden kann oder ein Rechtsmittelverzicht erklärt werden soll.“
Also: Richterliches Schweigen in der Hauptverhandlung bringt es nicht. Damit kann man die Regelungen des § 257c StPO nicht umgehen.
Es scheint, dass der BGH (bzw. manche seiner Strafsenate) den § 257c StPO mit einem wahren revisionsrechtlichen Minengürtel umhegen möchte, auf dass die Praxis schlussendlich ganz die Finger von diesem Instrument lasse.
Ob diese Folge dann mit der Entscheidung des Gesetzgebers so recht in Einklang steht, wird man bezweifeln dürfen. Letztlich fördert das wieder nur Gemauschel im Hinterzimmer oder am Telefon.
Dass Verstöße gegen die Regelungen zur Verständigung einen absoluten Revisionsgrund darstellen, hat ja das BVerfG mehr oder weniger StPO-konform unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleitet.
Dass Fischer den Absprachen generell kritisch gegenüber stand, war auch bekannt. Dass das Schweigen des Gerichts jetzt in origineller Auslegung zu „konkludenter Verständigung“ führt mit der Folge, dass die Vorschriften zur Verständigung einzuhalten sind, ist ein Meisterwerk der Richterkunst, wenn auch mit gängigen Instrumenten der juristischen Methodik und Begründungslehre mE nicht darstellbar.
Die in der Entscheidung zitierte Passage, wonach ein Geständnis ohnehin nicht reicht, sondern unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären ist, zeigt in Verbund mit der BVerfG-Entscheidung, dass eigentlich kein Gericht, das noch bei Trost ist, überhaupt eine Verständigung angehen sollte, weder konkludent noch ausdrücklich. Welchen Nutzwert soll denn die Verständigung noch haben ? Außer für den Angeklagten, revisible Fehler zu schaffen? Weder lässt sich die Beweisaufnahme nennenswert abkürzen noch kann man sich in der Hoffnung zurücklehnen,. nur ein abgekürztes Urteil absetzen zu müssen……
Die Aussage in der Überschrift des Blogbeitrags ist das genaue Gegenteil dessen, was der BGH entschieden hat. Ist das so gewollt?
Wo Fischer draufsteht, ist halt auch Fischer drin.
@Werner Ja? M.E. nicht, aber ich habe jetzt keine Lust, das auszudiskutieren.
@schneidermeister:
@scharfrichter:
was ist denn so schwierig daran, die formvorschriften der verständigung einzuhalten? man redet und das geredete wird protokolliert. dann fragt man noch in die runde, ob das protokoll vollständig und richtig ist. und das geständnis – das selbstverständlich keine „schlanke verteidigererklärung“ sein darf – wird das urteil und die beweiaufnahme deutlich verkürzen. es kann doch so einfach sein. 😉
@werner:
ich bin ganz auf ihrer seite. 😀
@n.n.:
Schwierig ist es in der Tat nicht unbedingt, wobei die Anforderungen an den „wesentlichen Inhalt“ (§ 273 1a StPO) erst vor Kurzem durch den 2. Senat noch weiter präzisiert wurden (z.B. muss laut Fischer-Senat auch noch protokolliert werden, von wem die Initiative ausging etc).
Die Frage ist zudem, ob Verstöße, die nicht durch Protokollberichtigung bereinigt werden (können), selbst dann einen absoluten Revisionsgrund darstellen sollen, wenn ein Beruhen nicht ersichtlich ist. In wenigstens einem der vom BVerfG entschiedenen Fälle fehlte lediglich der Hinweis auf die Möglichkeit, dass die Bindung des Gerichts an die Verständigung wegfallen kann. Tatsächlich kam es auch nicht zu einer Abweichung von dem Verständigungsinhalt. Warum also eine Belehrung über etwas, was gar nicht eingetreten ist, derart zwingend sein soll, dass ihr Fehlen die Revision begründet, ist mE nicht so ganz nachzuvollziehen.
Und im hier besprochenen Ausgangsfall des 2. Senats wurde noch nicht einmal eine Verständigung getroffen und alles dazu protokolliert, der 2. Senat behauptet in recht freier Rechtsschöpfung aber einfach mal das konkludente Zustandekommen einer – zivilrechtlich angelehnt „formnichtigen“ – Verständigung. Das ist Jura mit der Brechstange. Oder das, was im Studium „Sachverhaltsquetsche“ genannt wird.
Die Frage ist wohl auch, ob dem Angeklagten das Ganze so sehr weiter hilft. Wenn die nach § 154 eingestellten Verfahrensteile wieder aufgenommen werden, kann es auch nach hinten losgehen. Es sei denn, der 2. Senat konstruiert aus der informellen Absprache ein Wiederaufnahmeverbot für Teileinstellungen. Man darf gespannt sein.
@schneidermeister
in dem vom 2. senat entschiedenen fall ging es doch gar nicht um die frage eines absoluten revisionsgrundes durch eine fehlerhafte verständigung. das zustandekommen einer verständigung war lediglich relevant für die frage, ob der noch in der hv erklärte rechtsmittelverzicht wirksam war. und hier hat sich der 2. senat zutreffenderweise auf das freibeweisverfahren gestützt. der revisionsverteidiger wird das zustandekommen einer verständigung behauptet haben und sta und gericht sind dem nicht in ausreichendem maße entgegengetreten sondern haben „rumgeiert“.
aufgehoben wurde das urteil dann letztlich aufgrund der sachrüge, da die urteilsgründe trotz form- und fristgerecht eingelegter revision abgekürzt wurden.
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