Das Zusammenspiel von § 275 Abs. 1 StPO und § 338 Nr. 7 StPO hat schon mancher Revision zum Erfolg verholfen. So vor kurzem auch einer gegen ein Urteil des LG Erfurt. Das Urteil war dort nach sieben Hauptverhandlungstagen am 13.12.2012 verkündet worden. Die siebenwöchige Urteilsabsetzungsfrist lief am 31.01.2013 ab. Bis dahin war das Urteil des LG aber nicht vollständig bei der Geschäftsstelle eingegangen. Unterzeichnet war es nämlich nur von dem beisitzenden Richter am LG. Nicht hingegen vom (damaligen) Vorsitzenden Richter am LG. Dazu gab es einen Vermerk: „Vorsitzender Richter am Landgericht wurde zum Vorsitzenden Richter am Thüringer Oberlandesgericht in Jena ernannt. Auf telefonische Nachfrage am 29. Januar 2013 teilte er mit, dass er aufgrund der Arbeitsbelastung im Senat unabkömmlich und zeitlich nicht in der Lage ist, das hiesige Urteil noch vor Fristablauf zu unterzeichnen.“ Der hatte allerdings vorab einen Urteilsentwurf bekommen und hatte am 24.01.2013 Änderungswünsche mit dem Beisitzer besprochen. Diese hatte der danach eingearbeitet und am 29. 01.2013 den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht in Jena angerufen und gefragt, ob er das Urteil nochmals lesen und unterschreiben wolle. Der Vorsitzende hatte darauf wie aus dem Verhinderungsvermerk ersichtlich geantwortet. In seiner dienstlichen Erklärung vom 14.03,2013 hatte er dann noch ausgeführt, dass ungeachtet der dienstlich begründeten Ortsabwesenheit die hohe Belastung im Strafsenat in Jena – u.a. mit einem überdurchschnittlichen Anfall von Haftbeschwerden und Haftprüfungen – keinen Raum für eine rechtzeitige Lektüre und Unterzeichnung des nochmals überarbeiteten schriftlichen Originalurteils gelassen habe.
Das Ganze schmeckt dem BGH nicht, wie man dem BGH, Beschl. v. 26.09.2013 – 2 StR 271/13 – m.E. deutlich anmerkt. Denn er führt aus:
„Die Unterzeichnung eines Strafurteils ist ein dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358), dessen Vornahme nur ausnahmsweise wegen anderer Dienstgeschäfte zurückzustehen hat. …..
Legt man dies zugrunde, ist vorliegend nicht hinreichend dargetan, dass es dem Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht nicht möglich gewesen sein soll, die Urteilsgründe zu lesen und zu unterzeichnen. Zwar kann die Versetzung an ein anderes Gericht – wie hier die Versetzung an das Thüringer Oberlandesgericht – im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358 mwN). Auch kann die Überlastung mit anderen Dienstgeschäften grundsätzlich einen Verhinderungsgrund darstellen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013 § 275 Rn. 22 mwN). Jedoch hatte das Urteil hier mit 27 Seiten einen überschaubaren Umfang. Einen Urteilsentwurf hatte der versetzte Richter bereits mit dem Berichterstatter durchgesprochen, sodass eine erneute Prüfung der Urteilsgründe nur einen begrenzten Umfang haben konnte. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine Übermittlung des fertiggestellten Urteils und seine Unterzeichnung nach Durchsicht nicht auf anderem Wege hätte durchgeführt werden können. Vor allem aber ist der Verhinderungsgrund nicht hinreichend dargelegt. Dass der Vermerk von Richter am Landgericht auf der Urteilsurkunde aus Gründen der Praktikabilität notwendigerweise allgemein gehalten ist, ist an sich rechtlich nicht zu beanstanden. Da die Revision jedoch ausdrücklich geltend macht, dass die vermerkte Verhinderung auf willkürlichen, sachfremden Erwägungen beruht, hätte es näherer Darlegung in der dienstlichen Erklärung von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht bedurft, auf welchen Um-ständen die geltend gemachte Überlastung mit anderweitigen Dienstgeschäften beruht (vgl. BGHSt 31, 212). Insoweit ist die allgemein auf einen überdurchschnittlichen Anfall mit Haftsachen gestützte Erklärung nicht hinreichend substantiiert, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen, ob bei der Annahme der Verhinderung dem nach der gesetzlichen Regelung in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Gewicht der persönlichen Unterschriftsleistung aus-reichend Rechnung getragen wurde.„
Unabhängig von der Kritik des BGH am Inhalt des Verhinderungsverermerks, der in der Tat inhaltsleer ist – „aufgrund von Arbeitsbelastung unabkömmlich“ – ist alles und nicht: Will der zum VorsRiOLG beförderte ehemalige VorEiLG wirklich ernsthaft behaupten, dass er so überlastet war, dass er keine Zeit hatte bzw. finden konnte, innerhalb von drei Tagen: 29.01., 30.01., 31.01.2012, 27 Seiten, die bereits gelesen waren und in die Änderungdwünsche schon eingearbeitet waren, noch einmal zu lesen. Da muss es aber beim OLG Jena viele Haftsachen, die der beschleunigten Bearbeitung bedurften gegeben haben. So hat das wohl auch der BGH gesehen, wenn er auf den „überschaubaren Umfang“ des Urteils hinweis. In der Tat: sehr überschaubar, wenn man noch berücksichtigt, dass im Zweifel noch mindestens eine Seite des Urteils für Rubrum und Tenor wegfallen. Dann bleiben knapp 26 Seiten Text!Der VorsRiOLG sollte sich vielleicht auch mal überlegen, was man anderen Verfahrensbeteiligten zumutet, wenn man ihnen „Akteneinsicht für drei Tage“ gewährt und dann ein „Gürteltier“ von mehreren hundert Seiten schickt. Das soll alles machbar sein, aber 27 Seiten in drei Tagen schafft man nicht 🙁