StPO II: Zulässige Beschlagnahme eines Briefes?, oder: Potenzielle Beweisbedeutung

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Und dann vom BGH der BGH, Beschl. v. 29.05.2024 – StB 24/24 -zur Beweisbedeutung in Zusammenhang mit der Beschlagnahme.

Gegen den Beschuldigten ist Anklage u.a. wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB erhoben worden. Das OLG hat einen Brief an den Angeklagten gemäß §§ 94, 96 StPO beschlagnahmt, weil das Schreiben als Beweismittel von Bedeutung sein könnte. Der Staatsschutzsenat hat angeordnet, dass eine beglaubigte Ablichtung zu den Akten genommen und das Original in den Postweg gegeben wird. Gegen den Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Die hatte keinen Erfolg:

„Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 Variante 6, § 306 Abs. 1 und 2 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine richterliche Beschlagnahme gemäß §§ 94, 98 StPO liegen vor. Dem Inhalt des Briefes kommt insgesamt eine potenzielle Beweisbedeutung zu.

1. Ein Gegenstand hat dann potenzielle Bedeutung als Beweismittel, wenn die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, ihn im Verfahren zu Untersuchungszwecken in irgendeiner Weise zu verwenden (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2018 – StB 13/18, StV 2021, 558 Rn. 6; vom 11. Januar 2024 – StB 75/23, NStZ-RR 2024, 82). Diese Voraussetzungen liegen aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung vor, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. In dem beschlagnahmten Brief identifizierte die Verfasserin den Angeklagten auf einem in einem Presseartikel veröffentlichten Bild als Teilnehmer eines Treffens mit weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Vereinigung am 9. September 2022 in der Nähe von K. Das Schreiben könnte somit als Indiz zu der Überzeugung beitragen, dass der Angeklagte bei dieser Zusammenkunft anwesend war. Der Brief hat auch im Übrigen Beweisbedeutung. Denn aus seinem Inhalt wird ersichtlich, dass die Verfasserin dem Angeklagten besonders nahesteht und es deshalb gerade ihr möglich ist, ihn zu identifizieren. Das aus dem Schreiben ersichtliche Näheverhältnis zwischen beiden ist daher ebenfalls relevant (zu den Unterschieden zwischen einem wissenschaftlichen Einzelvergleich anthropologisch-morphologischer Merkmale und einem laienhaften Wiedererkennen vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 19 mwN; vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20 u.a., juris Rn. 89; Beschluss vom 19. Dezember 2023 – 3 StR 160/22, NStZ 2024, 312 Rn. 85).

2. Die Beschlagnahmeanordnung entspricht zudem unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Angeklagten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme ist mit Blick auf die weiteren in der Anklageschrift genannten Beweismittel zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich. Insbesondere stellt die Fertigung einer Ablichtung des Schreibens ein milderes Mittel als die Beschlagnahme des Originaldokuments dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281, 282; BGH, Beschluss vom 9. Januar 1989 – StB 49/88 u.a., BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 1). Zudem steht der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. September 1991 – 2 BvR 279/90, NJW 1992, 551, 552). Entgegen dem Beschwerdevorbringen begründet ferner die unterbliebene Schwärzung der weiteren Passagen nicht die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche teilweise Unkenntlichmachung aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten sein kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 5. Dezember 1977 – 1 Ws 1309/77, NJW 1978, 601), kann hier dahinstehen. Denn das aus dem gesamten Inhalt des Briefes erkennbare Näheverhältnis zwischen der Verfasserin und dem Angeklagten hat, wie oben dargelegt, Beweisbedeutung.

Die Beschlagnahmeanordnung verletzt den Angeklagten überdies nicht in seinem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht auf Wahrung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. April 1973 – 2 BvR 701/72, BVerfGE 35, 35, 39 f.). Denn der Inhalt des Briefes geht nicht über allgemeine Zuneigungsbekundungen hinaus und berührt weder die Intimsphäre des Angeklagten noch der Verfasserin.“

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