Angemessene Gebühren im Bußgeldverfahren?, oder: Gebührenrechtliche Diaspora in Osnabrück

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Osnabrück, Beschl. v. 17.11.2023 – 15 Qs 39/23 – schon etwas älter, aber leider jetzt erst eingegangen. Auch unschön, wie meist vom LG Osnabrück.

Gestritten wird um die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG, insoweit waren 176,00 EUR geltend gemacht und um die Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG, insoweit hatte die Rechtsanwältin  280,50 EUR als angemessen angesehen. Festgesetzt hat der AG, das der Bezirksrevisorin gefolgt ist, für die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 120,00 EUR und für die Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG 130,00 EUR. Das LG ist dem gefolgt:

„Mit dem Bezirksrevisor ist die Kammer der Auffassung, dass die vom Verteidiger geltend gemachten und auch vom Amtsgericht Osnabrück festgesetzten Gebühren (Verfahrensgebühr Nr. 5109 und Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG) im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unbillig hoch und damit unverbindlich sind.

Die Gebühren waren jeweils nur in der festgesetzten Höhe gerechtfertigt. Nach § 14 RVG bestimmt ein Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände. Solche sind v. a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers.

Zunächst ist festzustellen, dass die Gebührenfestsetzung unabhängig von der Kostenstruktur und des Kostendeckungsgrades des Anwalts erfolgt. Das anwaltliche Gebührenrecht ist gerade so konzipiert, dass es Fälle geben kann, in denen die Vergütung nicht kostendeckend ist, was aber dadurch ausgeglichen wird, dass im Gegensatz dazu in anderen Fällen im Hinblick auf den Arbeitsaufwand eine unverhältnismäßig hohe Vergütung erfolgt (ständige Rechtsprechung des LG Osnabrück, vgl. nur LG Osnabrück, Beschluss vom 21.03.2012 -15 Qs 12/12; zur Mischkalkulation auch OLG München, Urteil vom 11.11.2004 – 1 U 4066/04 zum damals geltenden § 12 BRAGO). Dies findet seine Stütze in der Vorschrift des § 14 RVG selbst, in dem der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als eines der beispielhaft benannten Kriterien zur Bestimmung der Gebühr genannt ist. Die Vorschrift räumt dem Rechtsanwalt das Recht; aber auch die Pflicht ein, sämtliche persönlichen und sachlichen Umstände miteinander im Einzelfall abzuwägen und die Gebühr nach billigem Ermessen zu bestimmen (v. Seltmann in BeckOK RVG, 35. Edition, § 14 Rn. 6).

1. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV RVG war in Höhe von lediglich 120 Euro anzusetzen. Für diese Gebühr gilt ein vorgegebener Gebührenrahmen von 33 bis 319 Euro für Geldbußen zwischen 60 und 5.000 Euro mit bzw. ohne Verhängung eines Fahrverbots.
Der vorliegende Fall ist unter Abwägung aller nach § 14 RVG maßgeblichen Kriterien als unterdurchschnittlich einzustufen.

Verfahrensgegenstand war hier eine Verkehrsordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in Höhe von 200 Euro. Die indirekte Heranziehung der Höhe der Geldbuße unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Angelegenheit für den Beschwerdeführer stellt auch keine unzulässige „Doppelverwertung“ dar, da gerade die Höhe der finanziellen Belastung durch« den Bußgeldbescheid eines der ausschlaggebenden Kriterien dafür ist, welche Bedeutung die Angelegenheit für den Beschwerdeführer hat.

Auch im Übrigen ist die Bedeutung der Angelegenheit für den Beschwerdeführer als unterdurchschnittlich anzusehen. Insbesondere drohte ihm kein Fahrverbot. Punkte waren für ihn bislang nicht beim Kraftfahrt-Bundesamt eingetragen.

Auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist hier als unterdurchschnittlich anzusehen. Die Akte umfasste bis zum Akteneinsichtsgesuch der Verteidigerin 66 Seiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer bereits selbst Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, den Einspruch mit Schreiben vom 27.03.2022 damit begründet, die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht begangen zu haben und nicht die im Bußgeldbescheid abgebildete Person zu sein, und mit Schreiben vom 30.05.2022 eine Kopie seines Passbildes zwecks Einholung eines Sachverständigengutachtens an das Amtsgericht Osnabrück übersandt. Als die Verteidigerin sich mit Schriftsatz vom 30.09.2022 zur Akte meldete und um Akteneinsicht bat, war bereits eine Bewertung der Qualität des Messbildes durch den Sachverständigen Prof. Dr. med. Huckenbeck erfolgt und ein Hauptverhandlungstermin anberaumt. Mit weiterem Schriftsatz vom 06.10.2022 übersandte die Verteidigerin eine Vollmacht und mit Schriftsatz vom 02.11.2022 beantragte sie die Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG. Diesen Antrag begründete sie damit, dass der Bruder des Beschwerdeführers zugegeben habe, das Tatfahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt zu haben. Dessen Vernehmung wurde beantragt und angekündigt, diesen als präsenten Zeugin zum Hauptverhandlungstermin mitzubringen. Es wurde ferner beantragt, ein mitgesandtes Bild vom Personalausweis des Zeugen im Hauptverhandlungstermin in Augenschein zu nehmen und dem Sachverständigen vorzulegen. Dieser Vortrag wurde mit Ausführungen zu Unterscheidungsmerkmalen zwischen den Brüdern untermauert. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft eines anthropologischen Gutachtens im Hinblick auf Betroffene, die keiner mitteleuropäischer Ethnie angehörten, beschränkt sei, und die Mutter des Beschwerdeführers und des Zeugen von den Philippinen stamme. Ein konkreter Zeitaufwand für die Tätigkeit im amtsgerichtlichen Verfahren einschließlich der Vorbereitung der Hauptverhandlung ist nicht dargelegt. Angesichts des Aktenumfangs und des Akteninhalts ist – auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme vom 02.11.2022 -ein noch unterdurchschnittlicher Zeitaufwand zu schätzen.

Auch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist als einfach gelagert anzusehen. Letztlich ging es um die Frage, ob der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt der Fahrer war. Daran ändert auch der Umstand, dass ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist in Verkehrsordnungswidrigkeiten mit anwaltlicher Verteidigung inzwischen nahezu Standard geworden. Ein gerichtliches Verfahren, in welchem lediglich die Frage der Fahrereigenschaft mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt werden muss, stellt deshalb an die Tätigkeit des Verteidigers nur unterdurchschnittliche Anforderungen (vgl. LG Flensburg, Beschluss vom 27.08.2015 – 1 Qs 40/15, BeckRS 2016, 9578; LG Detmold, Beschluss vom 03.02.2009 – 4 Qs 172108, BeckRS 2009, 7360; LG Potsdam, JurBüro 2013, 640).

In einer Gesamtschau aller für die Bestimmung der Gebühr zu berücksichtigenden. vorgenannten Kriterien ist die Angelegenheit insgesamt als unterdurchschnittlich zu werten. Die Verteidigerin hat mit Abrechnung der Mittelgebühr den Ermessensspielraum überschritten, so dass das Gericht befugt ist, die billige Gebühr festzusetzen. 120 Euro, wie von der Bezirksrevisorin vorgeschlagen und vom Amtsgericht festgesetzt, erscheinen angemessen.

2. Aufgrund des Vorgenannten ist auch die Terminsgebühr gemäß Nr. 5110 VV RVG lediglich mit 130 Euro festzusetzen. Für diese Gebühr gilt ein vorgegebener Gebührenrahmen von 44 bis 517 Euro für Geldbußen zwischen 60 und 5.000 Euro mit bzw. ohne Verhängung eines Fahrverbots.

Auch hier gelten die obigen Ausführungen zur Bedeutung der Angelegenheit für .den Beschwerdeführer und zur Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage fort.

Der Hauptverhandlungstermin am 09.11.2022 begann um 09:55 Uhr und endete bereits 15 Minuten später um 10:10 Uhr. Auch wenn die Verhandlungsdauer alleine nicht über die Gebührenhöhe entscheidet, ist sie ein nicht unbedeutender mitbestimmender Faktor. Schließlich entgilt die Termingebühr auch langandauernde, sich über einen ganzen Tag hinziehende, Hauptverhandlungen. Eine solche könnte nicht mehr vernünftig in den Gebührenrahmen eingeordnet werden, wenn bereits kurze Hauptverhandlungen, die – wie hier – auch keine schwierigen Besonderheiten aufweisen, die Mittelgebühr auslösen würden. Es wurde lediglich bis 10:05 Uhr ein Sachverständiger vernommen, der zu dem Ergebnis kam, dass nicht der Beschwerdeführer, sondern sein Bruder auf dem Messfoto abgebildet war. Unter Beachtung der Termindauer und der vorgenannten Umstände ist die Festsetzung der Termingebühr durch das Amtsgericht mit 130. Euro mehr als angemessen anzusehen.“

Könnte man manches zu sagen. Tue ich aber nicht. Lohnt sich beim LG Osnabrück eh nicht. Das ist dort eine gebührenrechtliche Diaspora. 130 EUR für einen Termin? Ohne weitere Worte.

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