Terminsvertreter des Pflichtverteidigers für einen Tag, oder: OLG Hamm ändert LG Essen unrichtig ab

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Und dann noch nochmal etwas zu den Gebühren des Terminsvertreters des Pflichtverteidiger. Folgender Sachverhalt in Kürze: Die Kollegin ist durch Beschluss der Vorsitzenden einer großen Strafkammer des LG Essen vom 03.03.2022 in einem dort anhängigen Strafverfahren gegen u.a. den Angeklagten als Terminsvertreterin für den Pflichtverteidiger dieses Angeklagten, Rechtsanwalt R. für den ersten Hauptverhandlungstag beigeordnet worden. Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 07.03.2022 statt und dauerte dreißig Minuten, es wurde im Wesentlichen die Anklageschrift verlesen. Eine Einlassung des Angeklagten erfolgte zunächst nicht.

Die Kollegin hat dann beantragt, ihre Gebühren festzusetzen. Sie hat Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4101, VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV RVG, der Terminsgebühr Nr. 4115 VV RVG, der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie von Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgelder sowie USt beantragt.

Das LG hat die dann auch festgesetzt im LG Essen, Beschl. v. 06.07.2023 – 27 KLs 43/21, der folgenden Leitsatz hat:

    1. Der nur für einen Termin als Terminsvertreter beigeordnete Rechtsanwalt rechnet nach Teil Abschnitt 1 VV RVG ab.
    2. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühr, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände.

Es kommt dann natürlich das, was zu erwarten war, nämlich das Rechtsmittel des Bezirksrevisors. Und dann kommt das OLG Hamm in seiner überbordenden Weisheit und hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2024 – III-5 Ws 273/23 – die Entscheidung des LG auf und sagt:

Für den „Terminsvertreter“ des Pflichtverteidigers entsteht nur die Terminsgebühr. Grund-, Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale entstehen nicht.

Ich fasse die Begründung des Beschlusses des Einzelrichters (!) mal zusammen. Sie lautet. Vertretung ist bei der Pflichtverteidigung zulässig und der Vertreter verdient dann nur die Terminsgebühr. Wer mehr von der falschen Begründung lesen will, der mag das im verlinkten Volltext tun.

Anzumerken ist dazu Folgendes:

Der Entscheidung ist zu widersprechen.

1. Zu widersprechen ist schon der Auffassung des Einzelrichters, dass wegen der ständigen Rechtsprechung des OLG Hamm eine Übertragung auf den und durch den Senat nicht erforderlich sei. Es ist ja schön, wenn das OLG die Frage offenbar schon häufiger entschieden hat. Nur: Die Beschlüsse sind alle unveröffentlicht, hängen also irgendwo beim OLG Hamm im „stillen Kämmerlein“. Man fragt sich., warum man diese Entscheidungen in einer Frage, die ja nun die Rechtsprechung schon seit langem immer wieder beschäftigt nicht, nicht nach außen kund tut. Vielleicht waren die Beschlüsse ja überzeugend, jedenfalls hätten sie zur Diskussion beitragen könne?

Zu einer Übertragung auf den Senat hätte m.E. auf vor allem deshalb Anlass bestanden, weil die Frage, ob der Terminsvertreter des Pflichtverteidigers nur die Terminsgebühr verdient oder auch die Grund- und Verfahrensgebühr ja inzwischen von zahlreichen Gerichten anders gesehen wird als vom OLG Hamm (vgl. nur OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223 [Ls.]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), AGS 2024, 171; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – 1 Ws 318/08; OLG Jena, JurBüro 2011, 478; Beschl. v. 14.4.2021 – (S) AR 62/20, AGS 2021, 394 = JurBüro 2021, 576; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 349 = NJW 2008, 2935 = RVGreport 2009, 19 = StRR 2009, 119; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159; OLG Köln, RVGreport 2010, 462 = AGS 2011, 286; OLG München, NStZ-RR 2009, 32 = StRR 2009, 120 = RVGreport 2009, 227; OLG München, RVGreport 2016, 145 = AGS 2014, 174 = Rpfleger 2014, 445; OLG Nürnberg, RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29; OLG Schleswig SchlHA 2010, 269 [Dö/Dr]). Insbesondere die gut begründete Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 9.2.203 (a.a.O.) hätte dem OLG Hamm Anlass sein sollen, sich noch einmal näher mit der streitigen Frage auseinander zu setzen. Aber die wird noch nicht einmal erwähnt. Das lässt – zumindest bei mir – den Eindruck entstehen, es hier mit einer Entscheidung zu tun zu haben, die in die Rubrik: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ einzuordnen ist.

2. In der Sache ist dem OLG ebenfalls zu widersprechen. Die Entscheidung steht und fällt mit der Frage, ob die Ansicht des OLG, eine „Vertretung“ i.e.S. des Pflichtverteidigers sei zulässig. Das ist m.E. nicht der Fall. Denn die Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf seine Person beschränkt; sie ist höchst persönlich (so auch Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 142 Rn 15; Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3636 f., jeweils m.w.N.; BGHSt 59, 284 = NJW 2014, 3320 m. Anm. Barton StRR 2015, 62; BGH NStZ 2012, 276; OLG Saarbrücken, RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117). Soweit einige Gerichte (OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Koblenz JurBüro 2013, 84 = RVGreport 2013, 17; LG Potsdam JurBüro 2011, 417 = AGS 2012, 65; LG Saarbrücken, Beschl. v. 30.6.2014 – 2 KLs 2/13) anderer Ansicht sind, ist das m.E. seit BGHSt 59, 284 nicht mehr haltbar.

3. Im Übrigen: Zu der Frage, dass nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr anfallen, ist schon viel geschrieben worden. Das muss man hier nicht wiederholen. Ich verweise dazu auf den o.a. Beschluss des OLG Karlsruhe und auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2101 ff.). In dem Zusammenhang liegt der Hinweis des OLG auf die (geringe) Dauer des Hauptverhandlungstermins an dieser Stelle neben der Sache.

Zu der Frage, warum die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG nicht entstanden ist, enthält der Beschluss des OLG kein Wort der Begründung. Die dürfte hier aber entstanden sein, da sich aus dem Beschluss ergibt, dass die Pflichtverteidigerin auch telefoniert hat. Das reicht aber für das Entstehen der Nr. 7002 VV RVG aus (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 7002 VV Rn 1 m.w.N.).

4. Für den Verteidiger lässt sich aus der Entscheidung ableiten, dass er in diesen Fällen sehr sorgfältig prüfen sollte/muss, welche Entscheidungen ergehen. Ggf. muss gegen einen Beschluss, der einen Antrag nicht voll ausschöpft, so wie hier, da Bestellung als „weiterer Pflichtverteidiger„ beantragt war, sofortige Beschwerde (§ 142 Abs. 7 StPO) eingelegt oder auf Klarstellung gedrängt werden, dass man nicht von einer Vertretung i.e.S. (vgl. auch § 5 RVG) ausgeht.“

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