Und als dritte Entscheidung dann noch das AG Köln, Urt. v. 15.03.2023 – 539 Ds 155/20. Es geht um die Strafbarkeit wegen Verbreitung pornographischer Schriften durch einen Rechtsanwalt durch Übersendung eines Schriftsatzes.
Nach den Feststellungen des AG hat der angeklagte Rechtsanwalt im Rahmen eines gegen ihn geführten Verfahrens vor dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln wegen eines Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 42b BRAO einen Schriftsatz an das Gericht, welcher mit mehreren pornographischen Fotografien versehen war. So waren u.a. auf zwei Abbildungen Gesichter von Frauen zu sehen, die Spermaflüssigkeit im Gesicht und im Mund verteilt haben und auf acht weiteren Fotos ist der Geschlechtsverkehr zwischen einer Frau und einem Mann dargestellt. Eine Übermittlung der Darstellungen war weder veranlasst noch war der Angeklagte hierzu aufgefordert worden.
Das AG hat den Angeklagten deswegen wegen wegen Verbreitung pornographischer Schriften gemäß §§ 184 Abs. 1 Nr. 6, 11 Abs. 3 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt:
„Mit Übersendung des Schriftsatzes vom 09.09.2019 hat der Angeklagte pornographische Schriften in den Machtbereich eines anderen, nämlich der Mitglieder der zur Verhandlung über das Verfahren 2 AnwG 21/15 — 10 EV 115/15 berufenen zweiten Kammer des Anwaltsgerichts Köln und der damit befassten Justizangehörigen gelangen lassen, ohne von ihnen, sei es ausdrücklich oder konkludent, hierzu aufgefordert worden zu sein. Ein mutmaßliches Einverständnis genügt nicht (Münchener Kommentar zum StGB/Hörnle, 21. Aufl. 2021, § 184 Rn. 66 m.w.N.), sodass es auf dessen Vorliegen nicht ankommt.
Die in dem Schriftsatz vorhandenen Abbildungen zeigen überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielende pornographische Darstellungen. Unter pornographischen Darstellungen versteht man solche Darstellungen, die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge ’sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher oder vergröbernder Weise in den Vordergrund rücken und die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt sind, sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreiten. Maßgeblich ist zunächst inhaltlich die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns und die Entmenschlichung der Sexualität, das bedeutet, dass der Mensch durch die Vergröberung des Sexuellen „auf ein physiologisches Reiz-Reaktions-Wesen reduziert“ wird (Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 184 Rn. 8 m.w.N.). Ferner kann formal die vergröbernde, aufdringliche, übersteigerte, „anreißerische“ oder jedenfalls plump-vordergründige — im Gegensatz zu einer ästhetisch stilisierten — Art der Darstellung Indiz für den pornografischen Charakter sein. Alleine das Vorliegen einer Nacktaufnahme führt somit nicht zwingend zur Einordnung als Pornographie. Maßgeblich ist vielmehr die objektive Gesamttendenz der Darstellung. Die subjektive Motivation des Verfassers ist nicht von Bedeutung. Eine Darstellung ist nur dann als pornografisch zu werten, wenn sie die in Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreitet (Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 184 Rn. 8).
Soweit der Angeklagte bereits in seinem Schriftsatz vom 09.09.2019 anmerkt, dass die Bilder frei im Internet verfügbar sind, ist dies unerheblich. Sinn und Zweck von § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB ist der Schutz vor ungewollter Konfrontation mit sexuellen In-halten. Normzweck ist damit der Schutz der Privatsphäre und des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung des Empfängers und nicht der Schutz der abgebildeten Personen (Münchener Kommentar zum StGB/Hörnle, § 184 Rn. 8).
Dem Angeklagten war auch bei der Übersendung bewusst, eine Grenze überschritten zu haben, da er sich im Verlauf des Schriftsatzes für die drastischen Darstellungen entschuldigt. Sodann folgen weitere Bilder.
Der Angeklagte hat auch seinen Schriftsatz nicht derart gekennzeichnet, dass die Empfänger des Schriftsatzes die Konfrontation mit den Abbildungen hätten vermeiden können. Zwar hat der Angeklagte in dem Schriftsatz darauf hingewiesen, dass die Abbildungen Beispiele für sexistische Darstellungen seien, es bestand jedoch weder eine Veranlassung solche Abbildungen zu übermitteln, da die Ausführungen auch ohne Beispielbilder durch Be- und Umschreibungen nachvollziehbar darzustellen gewesen wären, noch konnte der Leser des Schriftsatzes erkennen, dass pornographische Bilder folgen würden.
Soweit der Angeklagte meint, bei dem Schriftsatz vom 09.09.2019 handele es sich lediglich um eine „Verteidigungsschrift“ zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, im Sinne des § 193 StGB und nicht um eine „pornographische Schrift“, vermag das Gericht dieser Rechtsauffassung nicht zu folgen. Es trifft zu, dass die Abbildungen nicht isoliert, sondern im Kontext der inhaltlichen Stellungnahme des Angeklagten sowie im Kontext des Verfahrens vor dem Anwaltsgericht zu bewerten sind. Damit ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit als auch des Rechts auf Wahrnehmung berechtigter Interessen und eigener Verteidigung eröffnet. Infolgedessen hat eine Abwägung dieser mit dem von dem Schutzbereich des § 184 StGB umfassten Rechtssubjekt zu erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine polemische, mitunter sogar diffamierende Sprache zur Verdeutlichung der eigenen Position im jeweiligen Einzel-fall durchaus zulässig sein kann. Das gilt insbesondere für Äußerungen gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Der Betroffene darf nicht auf das zur Kritik not-wendige Maß beschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 09.02.2022 — 1 BvR 2588/22; Beschluss vom 19.05.2020 — BvR 2397/19; Beschluss vom 14.06.2019 — 1 BvR 2433/17; Beschluss vom 10.10.1995 — 1 BvR 1476/91). Hieraus folgt jedoch keineswegs, dass der Meinungsfreiheit und dem Recht auf Wahrnehmung eigener Interesse keine Grenzen gesetzt wären. Vielmehr treten diese Rechte insbesondere bei herabsetzenden Äußerungen, die als Formalbeleidigungen der Schmähung zu bewerten sind, hinter dem Ehrschutz zurück, BVerfG, a.a.O.).
Unter Heranziehung dieser Grundsätze und deren entsprechende Anwendung auf die hiesige Konstellation überwiegt das Schutzbedürfnis der Empfänger des Schriftsatzes vom 09.09.2019 gegenüber den Interessen des Angeklagten. Es ist anzunehmen, dass es dem promovierten und als Rechtsanwalt praktizierenden Angeklagten möglich und zumutbar gewesen wäre, seine Argumente durch Umschreibung der übersandten pornographischen Darstellungen in das Verfahren einfließen zu lassen und lediglich diejenigen Bilder zu übersenden, welche nicht dem Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB unterfallen. Dass ihm der Unterschied bewusst gewesen ist, konnte zum einen von ihm als praktizierender Rechtsanwalt erwartet werden zum anderen hat er dies durch die in dem Schriftsatz vom 09.09.2019 enthaltenen Formulierungen deutlich gemacht.
Ein Tatbestandsausschluss analog § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StGB liegt nicht vor. Es mangelt bereits an einer vergleichbaren Interessenlage. Die Regelung des § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StGB berechtigt nur zur Verschaffung und zum Besitz verfahrens-gegenständlicher Abbildungen (Münchener Kommentar zum StGB/Hörnle, 4. Auflage 2012, § 184b Rn. 50). Sinn und Zweck ist die effektive Verteidigung des Angeklagten. Eine Berechtigung zur Beschaffung und zum Besitz von Abbildungen, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind, besteht nicht. Gleiches gilt für die Besitzverschaffung an Dritte. Die Besitzverschaffung an Dritte innerhalb des von § 184b Abs. 5 StGB genannten Personenkreises ist nach der Regelungskonzeption eines umfassenden Verkehrsverbots bezüglich kinderpornographischer Schriften auch dem Strafverteidiger nur erlaubt, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsaufgabe erforderlich ist (BGH, Urteil vom 19.03.2014 — 2 StR 445/13, NStZ 2014, 514, 515). Die von dem Angeklagten übersendeten Abbildungen waren nicht streitgegenständlich. Im Übrigen wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
Andere zu einem Tatbestandausschluss oder einer Rechtfertigung führende Gründe liegen nicht vor…..“